Mannheim. Auch Kabarettisten verfolgen Politik von Berufs wegen. Deshalb ist die Berichterstattung zur Bundestagswahl für den Mannheimer Satiriker, Musiker und Autor Pflichtprogramm. Im Interview schildert der Klapsmühl’-Stammgast seine Eindrücke und liefert spontane Pointen.
Herr Hormuth, wir haben zusammen den Wahlabend verfolgt. Haben Sie jetzt noch etwas zu lachen?
Frederic Hormuth: Vielleicht, wenn ich mir vorstelle, wie Merz sofort die Grenzen dicht macht und Alice Weidel in die Schweiz abschieben lässt.
Wie überraschend war es noch, dass die wahrscheinlich unbeliebtesten Kandidaten aller Zeiten das schlechteste und zweitschlechteste Ergebnis von SPD und Union eingefahren haben?
Hormuth: Also für die beiden war es sicher überraschend. Sie neigen ja zu einer politischen Selbst-Berauschtheit, bei der ich nicht immer sicher bin, ob die durch „Eigenbedarf“ noch gedeckt ist. Die GroKo ist natürlich jetzt ungefähr so frisch wie „Die Mumie kehrt zurück“ aus dem Jahr 2001.
Merz hätte weit über 30 Prozentpunkte haben können, hätte er die Tassen im Schrank gelassen - das schrieb die Heidelberger Publizistin Jagoda Marinic am Sonntagnachmittag. Was hat den Kanzlerkandidaten der Union in den letzten Wochen geritten? Der Wahlsieg war ihm durch das Ampel-Versagen längst in den Schoß gefallen, hat er sich aus Angst vor dem Job noch selbst sabotiert?
Hormuth: Zu seiner „Politik für die, die noch alle Tassen im Schrank haben“ dachte ich spontan nur: Es gibt Tassen, wenn du die im Schrank hast, wird der ganze Schrank hässlich. Ansonsten glaube ich, dass sein Spruch vom Samstag nicht wahlentscheidend war, denn der Großteil seiner Wähler lebt nicht
Zur Person
- Frederic Hormuth ist alsKabarettist, Autor, Sänger und Pianist Dauergast auf Kleinkunstbühnen wie der Mannheimer Klapsmühl‘ am Rathaus.
- Am 1. November 1968 in der Quadratestadt geboren , sammelt er ab 1992 im Trio Die Allergiker Erfahrung.
- Seit 1995 spielt er Soloprogramme .
- Frederic Hormuth lebt im südhessischen Heppenheim .
- Mehr unter frederic-hormuth.de
in der digitalen Welt und hat das frühestens am Montag, mit Verlaub, gedruckt gelesen.
Die SPD hat etwas Neues versucht - mit Olaf Scholz als Kandidat mit Kanzlermalus. Auch kein Zukunftsmodell, oder?
Hormuth: Sie sollten das vielleicht nochmal konsequenter versuchen und Gerhard Schröder reaktivieren.
Die Randparteien AfD und Linke haben sich knapp verdoppelt, mit dem BSW als Bonus. Liegt das mehr an ihren besseren Social-Media-Strategien - oder an Merz, Scholz, Lindner und Habeck?
Hormuth: Eindeutig an diesen vier apokalyptischen Reitern der Politikverdrossenheit. Wobei die Linke aber mit der rhetorisch erfrischenden Rage von Frau Reichinnek nach Merzens Abstimmungs-Stunt wirklich punkten konnte.
Kann man eine blauschwarze „Große Koalition“ ausschließen- also Union mit AfD? Alice Weidels Arm ist ausgestreckt…
Hormuth: Ihr Arm ist ausgestreckt, aber das ist der Arm von Elon Musk und Steve Bannon ja auch. Und das macht Weidels Arm so unattraktiv,
dass selbst Merz widerstehen kann.
Wir scheinen ein Polit-Puzzle vor uns zu haben, aus Teilen, die nicht nur nicht zusammenpassen - sie leben teilweise in völlig verschiedenen Welten. In puncto Migration, Kernkraft, Klimapolitik. Als ob man Puzzleteile mit Legosteinen kombinieren muss, oder?
Hormuth: Das Land ist gespalten und die Lager stehen sich gegenüber wie wenn Donald Trump und Greta Thunberg zusammen im Fahrstuhl eingesperrt wären. Oder um Ihr Bild aufzunehmen: Die Aufgabe ist so komplex wie der Versuch, aus Semmelbrösel wieder ein Brötchen zusammenzupuzzeln.
Auf Europaebene muss eine neue Regierung sofort in einer neuen Champions League spielen - ohne vertraute Regeln, was die USA angeht. Wie kann man das alles schnell unter einen Hut bekommen - zum Beispiel eine klare gemeinsame Verteidigungspolitik, um einen möglichen Frieden in der Ukraine abzusichern?
Hormuth: Wenn selbst Frau Meloni trotz ihrer verschärften Honeymoon-Phase mit Elon Musk noch für die Unterstützung der Ukraine wirbt, habe ich homöopathische Anwallungen von Resthoffnung. Grundsätzlich könnte das latente Revival eines kultivierten Antiamerikanismus jetzt vielleicht der neue Kitt für ein neues Europa sein. Wir haben ja sonst nix.
Als Kulturschaffender und Musiker sind Sie ja ans Improvisieren gewöhnt. Wie würden Sie mit faktenferner Disruptionstaktik à la Trump umgehen - also, wenn der mächtigste Verbündete mit Freunden und Partnern umgeht wie ein Fuchs im Hühnerstall?
Hormuth: Grundsätzlich würde ich mir wünschen, dass europäische Politiker auch mal öfters disruptiv in Richtung Trump zurückbullshitten. Natürlich nur im Sinne der Meinungsfreiheit. Und um sein Gesicht dabei zu sehen.
Werden Ihnen FDP-Pointen fehlen?
Hormuth: Wenn ich mir vorstelle, wie Christian Lindner die nächsten Jahre in Elternzeit auf dem Krabbelteppich verbringt, dann schon.
Immerhin: Die Wahlbeteiligung ist so hoch wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Ist das der Hoffnungsschimmer nach dieser Wahl?
Hormuth: Nein, ich möchte 100 Prozent Wahlbeteiligung, aber natürlich nur bei Wählern, die dasselbe ankreuzen wie ich. Die anderen könnte man gezielt mit Freibier oder kostenlosen Kurzurlauben davon abhalten, mir in meiner Demokratie rumzupfuschen. Qualität vor Quantität, oder?
Keine Pointe: Angesichts nicht angekommener Wahlunterlagen für viele Auslandsdeutsche könnte die Wahl womöglich angefochten werden. Das wäre eigentlich ein fast logisches Ende einer verstümperten Legislaturperiode, oder?
Hormuth: Ich weiß noch, wie die Bundeswahlleiterin im Herbst ausgelacht wurde, als sie gesagt hat, das wird zu knapp. Vielleicht lässt man die Wahlunterlagen künftig nicht von der Deutschen Post, sondern von Amazon austragen. Dann kommen sie noch am selben Tag vor der Prognose um 18 Uhr an. Und man kann sie bei Nichtgefallen als Retoure zurückschicken.
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