Interview

Karlstorbahnhof Heidelberg 2024: Rekordjahr trotz Herausforderungen

Das Heidelberger Kulturzentrum hat seine Bilanz für 2024 veröffentlicht. Im Interview spricht die Geschäftsführerin über die Zahlen, den Umgang mit rechter Kulturpolitik, Claudia Roth und das Schallschutzproblem.

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Karlstorbahnhof-Geschäftsführerin Cora Malik (rechts) und Programmmacher Michael Müller wurden von Kulturstaatsministerin Claudia Roth mit dem Applaus-Award ausgezeichnet. © Michelle Dynio

Das Wichtigste in Kürze

- Der Karlstorbahnhof in Heidelberg verzeichnete 2024 einen Besucherrekord. - Geschäftsführerin Cora Malik betont die soziokulturelle Ausrichtung und Erfolge. - Herausforderungen bleiben Schallschutz und Finanzierung am neuen Standort.

Heidelberg. Im Jahresbericht für 2024 verzeichnet der Heidelberger Karlstorbahnhof einen Besucherrekord. Im Interview erklärt Geschäftsführerin Cora Malik, warum das Kulturzentrum auch am neuen Standort so gut funktioniert.

Frau Malik, Sie haben jüngst den Jahresbericht des Karlstorbahnhofs für 2024 veröffentlicht. Darin ist quasi von einem Rekordbesuch die Rede – schlüsseln Sie das bitte für unsere Lesenden auf.

Cora Malik: Noch nie hat der Karlstorbahnhof mehr Menschen erreicht und mehr Veranstaltungen durchgeführt als im Jahr 2024. Im Vergleich zu den letzten Jahren am alten Standort ist die Anzahl der Besucherinnen und Besucher von Karlstorbahnhof und Karlstorkino gemeinsam um knapp 50.000 Personen gestiegen. Das sind 60 Prozent mehr als am alten Standort. 2024 war das erste Jahr, in dem wir inhaltlich in den fast Vollbetrieb gegangen sind. Insgesamt fanden im Jahr 2024 im Karlstorbahnhof 1.062 Veranstaltungen statt. Die allermeisten davon haben wir gemeinsam mit einem breiten Netzwerk von Kulturakteurinnen und -akteuren und Initiativen umgesetzt.

Wobei: Mehr als 100.000 Gäste waren ja vor der Pandemie im Karlstorbahnhof jahrelang die Regel, oder?

Malik: Es gab vor der Pandemie Jahre, in denen rund 100.000 Besucherinnen und Besucher kamen. Die Pandemie hat allerdings auch das Ausgehverhalten stark verändert, was viele Veranstaltende noch immer an den Publikumszahlen deutlich spüren. Dass wir 2024 gemeinsam mit dem Karlstorkino 128.800 Besucherinnen und Besucher hatten, ist also nicht nur eine deutliche Erhöhung selbst im Vergleich zu den besten Jahren am alten Standort, sondern auch im Gesamtbild ein großer Erfolg.

Ist diese Resonanz auf die stärkere soziokulturelle Ausrichtung des Hauses zurückzuführen? Es gibt ja fast unzählige kleine Veranstaltungen, die wohl auf Teilnehmende aus dem neuen Stadtteil zielen.

Malik: Unser Ziel ist ein international konkurrenzfähiges Programm, das den unterschiedlichsten Perspektiven unserer pluralen Gesellschaft Raum gibt und so Zusammenhalt schafft. Dabei kommen mehrere Dinge zusammen: Zum einen unser kuratiertes Programm mit unserem preisgekrönten Musikprogramm im Zentrum, das eine große Resonanz erhält und auch weit überregional Publikum anzieht. Die höhere Kapazität unseres neuen Saals sorgt in diesem Bereich für Publikumszuwachs. Zum anderen versteht sich der Karlstorbahnhof als Plattform für Kultur und gesellschaftliche Akteurinnen und Akteure. Wir möchten den Kulturbegriff offen denken und haben mit unserer Arbeit im Bereich Community Arts mit vielen neuen Künstlerinnen und Künstlern Kontakte geknüpft. Wir erforschen, was es in der Kunstwelt noch braucht, um durchlässig und offen zu denken. Angebote der Beteiligung wie zum Beispiel die Theaterklubs im TiK oder größere Projekte wie aktuell HAPS City, das gerade im Emmertsgrund gestartet ist, sind uns wichtig.

Zur Person



  • Cora Malik wurde am 26. April 1980 in Heidelbergs Altstadt geboren . Die Kulturmanagerin lebt mit dem Fotografen Luigi Toscano und der gemeinsamen Tochter in Mannheim.
  • Von 2001 bis 2003 studierte Malik BWL mit Schwerpunkt Kultur- und Freizeitmanagement an der FH Heilbronn/Künzelsau. 2005 schloss sie die Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau im Heidelberger Karlstorbahnof ab.
  • Zu Cora Maliks beruflichen Stationen zählen unter anderem die Heidelberger Literaturtage, Mannheims Alte Feuerwache, das Kulturamt Heidelberg, die Konzertreihe Delta Connection der BASF, das Festival Enjoy Jazz und das Magazin „Meier“ (Leitung Veranstaltungen/Marketing). 2014 wurde sie Geschäftsstellenleiterin bei Enjoy Jazz.
  • Sie wechselte im April 2019 als Abteilungsleiterin Fundraising ans Nationaltheater, bevor Malik 2020 die Geschäftsführung des Karlstorbahnhofs übernahm. Dort hatte sie sofort den U mzug des Kulturzentrums aus der Altstadt in den Süden zu managen. jpk

Ähnlich divers wie das Programm ist ja auch die Einnahmenseite. Das scheint mir wesentlich mehr zu sein als am alten Standort, oder?

Malik: Wir haben ordentlich an Einnahmen zugelegt. Wir erwirtschaften rund 50 Prozent unserer Mittel selbst. Gleichzeitig haben wir am neuen Standort hohe Betriebs- und Personalkosten. Hier hoffen wir sehr darauf, dass dies in den aktuellen Haushaltsverhandlungen der Stadt Heidelberg berücksichtigt wird und der Zuschuss an die realen Bedingungen an diesem Standort angepasst werden. Davon profitiert am Ende nicht nur unsere Arbeit, sondern auch dutzende kleinerer Initiativen, denen wir Raum und Unterstützung geben.

Und von was sprechen wir einnahmeseitig im Einzelnen?

Malik: 1.247.000 Euro Erträge aus Veranstaltungen und Gastronomie, 135.700 Euro eingeworbene Spenden und Projektfördermittel, 192.000 Euro Erträge aus Vermietungen sowie Werbung, bisher 1.105.000 Euro kommunaler Zuschuss, 350.000 Euro Landeszuschuss.

Und kann man sich mit diesem im regionalen Vergleich hohen Budget alle inhaltlichen Wünsche erfüllen – oder gibt es noch unverwirklichte Pläne?

Malik: Der Karlstorbahnhof hat kein Programmbudget, sondern muss seine Inhalte selbst erwirtschaften. Das Wünscheerfüllen gibt es so nicht, die Rahmenbedingen zwingen uns wirtschaftlich zu denken. Es ist ein ziemlicher Spagat.

Stehen für 2025/26 noch Neuerungen auf der Agenda?

Malik: Wir möchten die Clubkultur wieder stärker bespielen. Das konnten wir bisher nur eingeschränkt durch die Überschreitung der Schallemissionswerte bei der Nachbarschaft. Zudem wollen wir weiter austesten, wie sich die Kunst und wir uns als Institution immer mehr öffnen können. Dabei entstehen ständig neue Ideen. Zuerst sind wir aber darauf angewiesen, dass das Haus nun von der Stadt strukturell nachhaltig aufgestellt und unsere Arbeit unterstützt wird.

Was waren Ihre persönlichen Highlights im Programm, was hat Ihr Team am meisten gefeiert?

Malik: Für mich gibt es nicht „dieses eine Konzert“. Mich begeistert es, wenn ich mehrere Tage abends im Karlstorbahnhof bin und jedes Mal andere Publikumsgruppen sehe. Oder wenn Publikum aus verschiedenen Veranstaltungen in der Zentrale zusammenfließt. Das ist mir ein inneres Fest und mir wird bewusst, ein Haus kann für viele da sein. Man will uns häufig in Schubladen stecken. So recht mag das nicht funktionieren und das ist genau so wie eine Kultureinrichtung sein soll: ganz viele verschiedene Schubladen. Breit aufgestellt zu sein heißt auch, viele mitzudenken, Publikum wie Künstlerinnen und Künstler.

Die Konzertlandschaft mag sich verändert haben, trotzdem gastieren im Karlstorbahnhof nach wie vor Live-Attraktionen wie Deutsch-Rap-Altmeister Curse am 17. Januar 2025. © Peter Tippe

Der Karlstorbahnhof wurde von der scheidenden Bundeskulturstaatsministerin Claudia Roth mit dem Applaus-Award für ein herausragendes Live-Programm ausgezeichnet. Zu Recht – aber ich finde schon, dass man bemerkt, dass Booking im Vergleich etwa zu 2004 oder 2014 komplizierter geworden ist. Ich würde sagen, dass man generell und damit auch im KTB zum Beispiel weniger aufstrebende internationale Acts sieht. Darauf war Ihr Haus früher ja abonniert. Oder täuscht das?

Malik: Die Branche hat sich in den letzten zehn Jahren insgesamt sehr verändert. Wir haben in den letzten zwei Jahren mehr deutschsprachige Acts im Programm, das sehe ich als einen bundesweiten Trend, der sich auch in den Charts abbildet. Dazu können wir aufgrund unserer Größe inzwischen auch internationale Acts präsentieren, die viel Publikum ziehen und trotzdem für viele hier Neuentdeckungen sind, zum Beispiel die Fado-Sängerin Ana Moura oder die niederländisch-türkische Popmusikerin Karsu. Mit Mixed Frequencies haben wir seit diesem Jahr außerdem eine Programmreihe, um mehr aufstrebende Musikerinnen auf die Bühne zu bringen – am heutigen Donnerstagabend spielt dabei die griechische Künstlerin Σtella in unserem Klub.

Apropos Claudia Roth: Wie beurteilen Sie die Amtszeit der Grünen-Politikerin? Ihr Handling des Antisemitismus-Skandals bei der Documenta wurde ja scharf kritisiert.

Malik: Die Umstände und Abläufe um die Documenta waren komplex und haben viele Leerstellen im Kulturbetrieb und auch im breiten politischen Umfeld sichtbar gemacht. Grundsätzlich finde ich, dass Claudia Roth an vielen Punkten einen erfrischenden Wind in die Kulturpolitik gebracht hat. Es wurden Themen und Engagement auf Bundesebene sichtbar und besprechbar: Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb, Diversitätsdebatten oder auch die Auslegung des Kulturbegriffs wurde für mein Verständnis erweitert.

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Ihr Haus kommt für mein Empfinden erstaunlich geräuschlos durch die hohen Wellen der kultur- und identitätspolitischen Debatten – bei sehr klarer Haltung pro Diversität. Gibt es auch Gegenwind – etwa von der AfD im Gemeinderat?

Malik: Es gibt bei manchen Themen eine breite Empörungswelle, der wir uns nicht anschließen möchten. Wir versuchen einen Weg zu finden, verschiedene Perspektiven im Programm abzubilden und uns davor damit auseinanderzusetzen, auch innerhalb des Teams. Natürlich gibt es da verschiedene Reibungspunkte, aber nicht jede Diskussion dazu muss öffentlich geführt werden.

Der KTB ist ja ein sehr offenes Haus – wie gehen Sie zum Beispiel mit AfD-Politikern um?

Malik: Dass nicht jedem unsere offene Haltung gefällt, ist okay, wir müssen nicht jedem gefallen. Wir haben unsere Grundsätze, die Bestandteil der Hausordnung sind. Wer sich nicht dran hält, wird des Hauses verwiesen. Punkt.

In den USA sehen wir die Anfänge einer autokratischen, repressiven Kulturpolitik. In manchen deutschen Städten versucht die AfD Einfluss zu nehmen. Heidelberg wird sicher noch lange eine Insel der Seligen für Diversität und Inklusion bleiben. Aber haben Sie trotzdem schon einmal überlegt, wie Sie auf die Einflussnahme rechtspopulistischer Kulturpolitiker reagieren würden?

Malik: Man sollte das durchdenken, um nicht überrascht zu sein. Es ist wichtig, innerhalb der Publikumsstrukturen breit aufgestellt zu sein und es ist wichtig, dass man seine internen Strukturen so aufstellt, dass es Mechanismen gibt, die die Grundhaltung schützen. In Heidelberg kann man sagen: Wir sind mehr und das ist gut so.

Ich habe die Sportfreunde Stiller bei Ihrem Auftritt im Karlstorbahnhof begleitet. Eine auf allen Bühnendimensionen erfahrene Band, die extrem begeistert von der Ausstattung und Betreuung war. Ist das Feedback der Kreativen immer so euphorisch?

Malik: Absolut. Der Karlstorbahnhof hat ein tolles, extrem engagiertes Team und ein Haus, das technisch auf dem neusten Stand ist. Das sorgt für große Anerkennung und Zufriedenheit sowohl bei Künstlerinnen und Künstlern als auch bei Vermietungen für Firmenevents oder andere Veranstalter.

Die Sportfreunde Stiller spielten 2024 eines der Highlight-Konzerte im neuen Karlstorbahnhof - und waren voll des Lobes. © Rudolf Uhrig

Weniger schön ist das Schallschutzproblem im Club-Bereich. Sind da Lösungen in Sicht?

Malik: Der Karlstorbahnhof ist eine Liegenschaft der Stadt Heidelberg. Der Gemeinderat hat im letzten Jahr eine bauliche Verbesserung des Klubs genehmigt, diese ist nun fast abgeschlossen. Beim Saal laufen noch Tests. Es bewegt sich etwas, das ist gut.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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