Schwetzinger Festspiele

In Schwetzingen lässt Gott die Hosen runter und tritt ab

Die Schwetzinger Festspiele eröffnen mit Katja Riemann und der Oper Mike Svobodas, die den Sozialismus als wüstes Eden inszeniert. Das überzeugt nur punktuell.

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Es endet, wie es enden muss, wenn Gott unzufrieden ist: Auch Svobodas „Adam & Eva" birgt chaotische Momente. © Fernando Fath

Schwetzingen. Also das haben wir uns immer anders vorgestellt: Eden soll in diesem Stück ein wüster Ort sein? Es soll ein „waste land“ sein, eine grausame Einöde zwischen sozialistischen Lochfassaden in Plattenbauten und Forschern in farblosem Einheitslook? Alles ist grau. Alles nackt. Alles tot. Gott, die hier Andrea Moses heißt und im Nebenberuf Regisseurin dieses Abends ist, hat einen schlechten Job gemacht. Lebendig sind in dieser Guckkastenbühne nur Adam und Eva, die ständig notgeil an sich herumfummeln, kopulieren und sich der Zuneigung vergewissern. Und – natürlich – das Objekt der Begierde: der Apfel. In diesem Paradies namens Socialism reloaded baumelt er prall mitten im Geschehen an einem Drahtseil und ist vor allem eines: gelbrot und verführerisch.

Svoboda und seine Oper „Adam und Eva“

    • Der Komponist: Mike Svoboda, geboren 1960 auf Guam, studierte in Illinois und arbeitete eng mit Karlheinz Stockhausen zusammen. Bekannt für unkonventionelle Kompositionen, kombiniert er experimentelle Klänge mit Jazz und Minimal Music. Ausgezeichnet mit dem Schneider-Schott-Musikpreis, hat er über 40 Jahre Erfahrung. „Adam und Eva“ ist seine erste Erwachsenen-Oper.
    • Die Oper: Gott hat die Welt und Adam und Eva erschaffen, um ein ernstzunehmendes Gegenüber zu haben. Satanael verführt Eva, den Apfel zu probieren, während Gabriel sie vergeblich zu schützen versucht. Eva beißt in den Apfel und überzeugt Adam, es auch zu tun. Das Paar wird aus dem Paradies verbannt, erkennt Gut und Böse und erlangt Freiheit, während Gott trauert - und weint.

Hundertfünfzig (mitunter lange) Minuten später wird das Ding angenagt, die Erkenntnis gewonnen, der Eden-Sozialismus zu Grunde gegangen und die ach so bunte Erlebnis-, Individual- und Hedonistengesellschaft ausgerufen sein. Déjà-vu? 1989? Mauerfall! Auch der über die Bühne schlappende Bühnengott, der irgendwie verdammt aussieht wie Mauerbauer Walter Ulbricht, lässt da die Hosen runter und tritt ab. Unter Glitzern, Leuchten und blubbernden Hormonen heißt es dann: It’s Party-Time! Adam, Eva und die ganze Bibel-Bande widmet sich über einem schmerzenden Fünfertakt dem Credo einer neuen Zeit und singt: Love, beauty, serenity, novelty, mischief and mirth! Kapitalismus essen Seele auf. Auch nicht gut.

Eine Oper über Ur-Verführung und Weltanschauung

Klar, es geht um Verführung bei dieser Premieren-Eröffnung wie ja insgesamt bei diesen Schwetzinger Festspielen. Erstmals werden sie von Cornelia Bend verantwortet, die immerhin schon allein durch ihre Anwesenheit eine herzliche Note verströmt.

Eine Ur-Auf- zum Thema der Ur-Verführung gewissermaßen ist Mike Svobodas Oper „Adam und Eva“, zu der seine Lebenspartnerin Anne-May Krüger das Libretto schrieb - auf die Dramen-Vorlage des zwiespältigen Sozialistenmillionärsdandy Peter Hacks, dessen Stück 1972 die Genesis-Episode ins Hegel‘sche Große erweitert hat – zu Weltanschauung und politischer Überzeugung.

Entscheidende Szene der biblischen Menschheitsgeschichte: Sataniel in Gestalt der Schlange (rechts: Manuela Leonhartsberger) verführt Eva (Tina Josephine Jaeger) zum Biss in den Apfel. © Fernando Fath

Das funktioniert hier nur punktuell gut. 130 reine Minuten zeitgenössisches Musiktheater für eine Geschichte, die die Autoren des ersten Buchs Mose in zwei Minuten erzählen und die jeder kennt, sind mehr als gedehnte Zeit - da können die abwechslungsreichen Stilistiken Svobodas, mit der er uns unablässig bombardiert, und das überflüssige Hineinmontieren zweier Musical-Einhörner nicht helfen. Über weite Strecken vor allem in Teil eins des Abends breitet sich immer wieder Leere unter dem instrumental-vokalen Dauerbeschuss aus – da können das hr-Orchester (das des SWR war nicht verfügbar für die hauseigenen Festspiele), der Extrachor aus Linz sowie Tina Josephine Jeager (Eva), Alexander York (Adam), Morgane Heyse (Gabriel), Manuela Leonhartsberger (Sataniel), die Einhörner Génesis Beatriz López Da Silva und Felix Lodel sowie Sprecher Sebastian Hufschmidt (Gott) noch so gut spielen, singen, sprechen und agieren. Musikalisch wirkt vieles zu unkonzentriert, beliebig, nicht zwingend. Schon zu oft gesagt: Weniger hätte mehr sein können.

Auch Diktatur ist gewissermaßen Absolutismus

Nun kann der Schlossgarten in Schwetzingen ja deutlich mehr mit dem Paradies verwechselt werden als die DDR, und es hat ja eine besonders würzige Note, dass dieses Stück, das den Sozialismus gewissermaßen als den Garten Eden postuliert und verklärt, sich auf diesem absolutistischen Terrain abspielt.

Schwetzingen wird politisch. Die Welt ringt um gesellschaftliche Systeme und Ideologien, und auch das Befolgen religiöser Überzeugungen kann schließlich politisch und gewissermaßen zu einer Form von Absolutismus werden. Die Herrscher sind dann Götter oder Propheten, in deren Namen unterdrückt, verletzt, gemordet wird. Darum kümmert sich bei dieser Verführungs-Orgie am zweiten Festivaltag dann auch keine Geringere als Katja Riemann zusammen mit Geigerin Franziska Hölscher, Pianistin Marianna Shirinyan und dem Doppel-Schlag „Karneval des Glücks“ und „ver-Führung“.

Widmeten sich dem Glück und unguten Ideologien: Franziska Hölscher, Marianna Shirinyan und Katja Riemann. © Bianca Bapst

Riemann ist ja eine echte Rampensau. Man weiß es und erlebt es im Mozartsaal. Sie kann es kaum erwarten, zu agieren. Sogar wenn Shirinyan und Hölscher allein Musik machen, brodelt in ihr ein Vulkan. So greift sie in Roger Willemsens Fassung von Saint-Saëns „Karneval der Tiere“ auch selbst zu Tenor-Blockflöte, Glockenspiel oder Xylophon – immerhin erstaunlich. Ein wenig dadaistisch ist Willemsens Fassung schon, bisweilen scheint sie dem Schema „Hauptsache Reim“ zu folgen, aber sehr lustig und gelungen: Im Mozartsaal verbringen die Gäste mehr als 90 pausenlose Minuten mit humorvollem Entertainment, um dann in einer Art „Late-Night-Session“ ab 21.30 Uhr nochmals 75 Minuten volle Dröhnung (Mit)-Gefühl zu erleben.

Während Shirinyan und Hölscher Großartiges von Strawinsky, Crumb, Mahler oder die überaus faszinierende Sequenza VIII für Violine solo von Luciano Berio spielen, erzählt Riemann – und das macht sie exzellent – Geschichten über die Anschläge von Hanau oder im Pariser Bataclan, wobei sie auch den Facebook-Post Antoine Leiris‘ einfließen lässt, der mit seinem „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ um die Welt ging. Das alles ist hochprofessionell, sympathisch und nahegehend – genau die richtige Mixtur aus Unterhaltung, Geist und Bildungsanspruch. Bends erstes Festival-Wochenende darf schon mal als Erfolg gelten. So haben wir uns das vorgestellt.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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