Heidelberg. Die guten Nachrichten zuerst: Bei der Eröffnung der 3. Biennale für Neue Musik wird auch gesungen und mit Instrumenten gespielt. Zudem sind die teils uraufgeführten Kompositionen allesamt fein gemacht, dringen direkt in den Geist und überzeugen. Punkt. Aber. Aber. Aber. Insgesamt tut das kleine Festival nur so, als würde es sich selbst mit einem Konzert eröffnen. Tatsächlich wird am Freitagabend im Betriebswerk nämlich vor allem geredet. Von mehreren Menschen mit dem Titel Prof. Dr.
Drei Professoren sprechen über Helmholtz und seine Musikästhetik
Wolfgang W. Müller moderiert da im professoralen Stil und ist alles andere als jemand, der ein Festival eröffnen könnte. Alfred Nordmann referiert da professoral über den imaginären Gast Hermann von Helmholtz (1821-1894). Und Philipp Brüllmann präsentiert da professoral ein interdisziplinäres Seminarprojekt zu Helmholtz‘ Musikästhetik an der Uni Heidelberg.
Mehrmals glaubt Müller sich in Seminarräumen und sagt „auf dieser Tagung“, und spricht so die Wahrheit aus, denn genau diesen Charakter hat dieses „Konzert”, das keines ist. Es wird geredet. Es wird viel geredet. Es wird noch mehr geredet, da kann Brüllmann noch so oft „in aller Kürze“ etwas darlegen – einige Leute verlassen das Kolloquium vor ihrem Ende, was schade ist, denn die „5 Haiku Settings” von Ursula Mamlok für Sopran und Flöte (Dorothea Jakob, Brigitte Shatunov) sind exzellente aktuelle Musik (mit Humor-Funken). Vermutlich werden sie nie wieder kommen.
Dieser Text geht nicht gegen die Wissenschaften. Mitnichten. Sie sind wichtig. Wir brauchen sie heute, in Zeiten alternativer Wahrheiten, mehr denn je. Er geht auch nicht gegen die zeitgenössische Musik. Sie ist wichtig. Wir brauchen sie heute, in Zeiten von gesellschaftlichen Glattbügelungs- und Konsenstendenzen, mehr denn je. Aber wie soll sie, die es ohnehin schwer hat, aus den eigenen Sphären auszubrechen, Publikum begeistern, wenn sie so theoretisch und trocken vor die Menschen tritt? Offenbar denken die Macher nicht an ihr ohnehin viel zu kleines Publikum, das zu annähernd 100 Prozent aus Musikern, selbst Komponierenden und Kulturschaffenden besteht.
Und wie sollen eigentlich exzellente und hochsensible Klangschaffende die so wichtige gesellschaftliche Relevanz bekommen, Komponierende wie Caspar Johannes Walter, dessen überzeugende „Labialklänge 5 – Helmholtz im Chaos“ hier genauso uraufgeführt werden wie das wunderbare „witnessing… – aushalten“ von Elnaz Seyedi, die mit grazilen Klangsphären durch Pfeifen der Singenden, durch nonverbales Singen und viele, ja, amorphe Klangfelder ihre Sprachlosigkeit ob der desolaten weltpolitischen Lage ausdrückt! Ein ganz feines Werk für sechs Stimmen, E-Gitarre, Klavier und Schlagzeug, dem man mehr Publikum wünscht, weil es subkutan die eigene Empfindsamkeit ankratzt.
Es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Hoffnungsschimmer, dass die zeitgenössische Musik, dieses zarte Pflänzchen der Kulturszene, mehr Beachtung finden und vom Elfenbeinturm herabsteigen könnte. Wir könnten sie in der Gesellschaft auch gut gebrauchen. Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Aber das Hoffen ist an diesem Wochenende wieder mal zu einer noch größeren Kraftanstrengung geworden. So nicht!
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