Sie kommt erstmals nach Mannheim, bestätigt Hanna-Elisabeth Müller, als Gast der Akademiekonzerte im Herbst 2026 mit den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss. Bis dahin passiert aber noch einiges: Tokio, Wien, Paris, Berlin, Salzburg und vieles mehr – die in Mannheim geborene Sopranistin ist längst ein Weltstar. Ein Interview.
Frau Müller, ich beziehe mich auf Ihr jüngstes Konzert in der Alten Aula Heidelberg. Was war das für ein Gefühl, zurückzukommen an so einen Ort, wo Sie Ihre Anfänge erlebt haben?
Hanna-Elisabeth Müller: Das ist natürlich die Heimat und schön, man kommt mit einem Lächeln. Es sind einfach so Glücksgefühle, würde ich sagen.
Vor zehn Jahren waren Sie doch noch Nachwuchskünstlerin des Jahres. Seitdem ist bei Ihnen viel passiert. Was waren die markantesten Erlebnisse?
Müller: Schwierig. Ich glaube, alles, was man als Künstler oder Musiker macht, bringt einen immer ein Stück weiter. Es gab sehr viele schöne Sachen, alle Debüts natürlich, Mailänder Scala und Wiener Staatsoper und die Met in New York. Ich müsste alles aufzählen, also auch die Orchester, mit denen ich viel und eng zusammenarbeite. Jedes kleine Konzert bringt mich wahrscheinlich genauso weiter wie jede große Opernvorstellung.
Es scheint, dass Ihre Liebe zum Lied und zum Konzert nach wie vor sehr stark ist. Aber Sopranistinnen wie Sie, nach denen sehnen sich doch die Opernbühnen. Müssen Sie viele Opernangebote ablehnen?
Müller: Ich versuche, ein gesundes Gleichgewicht zu finden. Konzert und Lied sind mir wichtig. Ich halte es für wichtig, dass man flexibel und wach bleibt auch für Nuancen auf kleinen Bühnen oder in kleinen Sälen. Wenn ich Oper singe und ein großes Orchester da sitzen habe, da werden andere Sachen abverlangt – von der Stimme und auch vom Künstler. Opernproduktionen dauern natürlich sehr lange. Wenn man drei im Kalender hat, ist ein halbes Jahr schon weg. Da denke ich mir: Drei ist eine gute Zahl.
Thomas Quasthoff hat mir mal gesagt, er hat viel Bach gesungen, um Flexibilität zu behalten. Viele junge Sänger machen den Fehler, zu früh große Partien zu singen und so ihre Stimme zu ruinieren. Wie kommt es, dass Sie so klug mit Ihrer Stimme umgehen?
Müller: Man braucht früh die richtigen Berater. Da habe ich ein paar, denen ich absolut vertraue. Neue Partien bespreche ich mit denen.
Sie arbeiten auch immer noch mit Rudolf Piernay zusammen. Wie oft sehen Sie sich?
Müller: Ein paar Mal im Jahr. Man muss in Kontakt sein, das ist das Wichtigste. Aber er lebt leider mittlerweile nur noch in London. Das ist schon eine Reise, aber die ist es mir wert. Und bei wichtigen Rollendebüts und bei wichtigen Konzerten, da kommt er auch immer noch. Das ist sehr schön.
Sie waren im Ensemble der Bayerischen Staatsoper. Das war Ihre einzige Festanstellung. Jetzt sind Sie frei unterwegs. Ist vielleicht das feste Engagement nichts für Sie?
Müller: Das würde ich so nicht sagen. Ich habe in der Zeit unglaublich viel gelernt. Es war absolut richtig, mit einem Haus eine Verbindung aufzubauen. Gerade als junger Künstler ist es schön, ein Orchester und einen GMD kennenzulernen – das gibt Sicherheit. Und wenn man dann zu anderen Orchestern oder Bühnen geht, kann man sich darauf berufen.
Spielt das Orchester anders, wenn es die Sänger kennt?
Müller: Wenn es die Sänger mag.
Ach was, dann spielen die leiser?
Müller: Die reagieren dann gleich und hören besser hin.
Also wenn ich künftig in der Oper sitze und ich merke, das Orchester ist zu laut, dann legt das die Vermutung nahe, dass das Orchester den Sänger nicht mag?
Müller: Nein. Dann sind die Musiker vielleicht auch mal müde und es gibt auch immer noch den Dirigenten, der im besten Fall alles unter Kontrolle hat.
Mailänder Scala, Wiener Staatsoper, Met – dort haben Sie an der Seite von Weltstars wie Renée Fleming oder Thomas Hampson gesungen. Was macht diese Leute eigentlich so besonders?
Müller: Dass sie irgendwie ganz normal sind und wahnsinnige Profis, sobald sie auf der Bühne sind. Das sind tolle Persönlichkeiten, tolle Menschen. Sowohl Renée und Thomas haben mich, als ich ganz blutige Anfängerin war, wirklich sprichwörtlich an der Hand genommen. Anja Harteros hat mir übrigens am meisten mit auf den Weg gegeben.
Nun waren Sie ja viel international unterwegs. Man sagt immer, das berühmte Regie-Theater mit seinen aktuellen Sichtweisen sei eine sehr speziell deutsche Eigenheit. Wie erleben Sie denn das Musiktheater in Deutschland im internationalen Vergleich?
Müller: Das deutsche Regie-Theater ist manchmal spannender, manchmal auch komplizierter, aber es bietet viel mehr Freiraum. In Deutschland und Europa findet man alles: von traditionellen Inszenierungen bis zu sehr modernen Produktionen. Diese Vielfalt gefällt mir, sie hält auch das Publikum wach und offen für Neues. Es darf auch mal etwas daneben gehen, nicht jede Produktion muss ein Erfolg sein – man lernt immer dazu. Schön finde ich, dass die Regie-Arbeit uns Sängern auch schauspielerisch viel abverlangt. Wenn es zu absurd wird, bin ich nicht immer der größte Fan, aber insgesamt bin ich sehr glücklich, dass es diese Offenheit und Experimentierfreude auf den Bühnen gibt.
Also Sie bringen sich gerne mit Ideen ein?
Müller: Das Schöne an Neuproduktionen ist die gemeinsame Arbeit. Es geht nicht nur darum, dass der Regisseur alles vorgibt – wir bringen eigene Vorstellungen mit, haben die Partie oft schon ausgearbeitet. Im Idealfall entsteht ein Austausch, bei dem man Ideen einbringen und gemeinsam ausprobieren kann. Manchmal merkt man, dass etwas nicht funktioniert, dann wirft man alles über den Haufen und beginnt neu. Es gibt aber auch Produktionen mit einem sehr festen Konzept, das kann ebenfalls gut funktionieren.
Gab es Momente, wo Sie zum Regisseur gesagt haben: Nee, das mache ich nicht?
Müller: Ja, gab es schon.
Was war das?
Müller: Ich sollte komplett vom Publikum weggedreht singen. Und das fand ich einfach nicht so toll.
Das ist ja noch harmlos. Schwierig wird es doch, wenn die physische Aktivität zu groß ist und man in Atemnot gerät.
Müller: Das hatte ich auch schon.
Und dann gibt es die Entkleidung. Ich habe mal eine Lulu gesehen in Basel. Da hat die Lulu tatsächlich splitternackt vorne an der Rampe gestanden. Und das stelle ich mir extrem schwierig vor.
Müller: Das muss jeder für sich selbst wissen. Ich habe Künstler erlebt, für die das künstlerisch so selbsterklärend ist im Konzept oder in der Rolle oder in der Geschichte, die sie da verkörpern und erzählen, dass das unproblematisch ist für die Menschen. Und dann dürfen die das natürlich machen.
Okay, die gehen dann quasi so darin auf, dass es gar keine Rolle mehr spielt.
Müller: Ja, das gibt es. Es gibt Menschen, die vergessen Bühne, die vergessen Publikum. Man hört das auch oft, dass Menschen sagen, sie werden zu einer Person, zu ihrer Rolle auf der Bühne.
Kann man sich da sängerisch noch kontrollieren, wenn das so ist?
Müller: Das weiß ich nicht, weil ich das überhaupt nicht bin. Also da kann ich gar nicht mitreden.
Das wäre dann sozusagen das Ergebnis von so einer Art Method Acting. Würden Sie das gerne auch machen können? Oder sagen Sie einfach: Nein, will ich nicht, ich brauche die Distanz zwischen mir als Person und der Figur, die ich darstelle?
Müller: Naja, ich verkörpere eine Rolle. Aber ich bin der Körper, der da rumläuft. Ich habe immer das Gefühl, ich kann in das Bühnengeschehen absolut eintauchen, kann Teil der Geschichte werden. Aber am Ende bin ich auch immer noch die Sängerin, die das singt. Und über die Stimme habe ich ja auch Kontrolle. Also würde ich dann die Kontrolle über mich komplett verlieren. Da bin ich, glaube ich, zu realistisch veranlagt.
Wie schätzen Sie denn die Zukunft der Oper ein? Man hat heute schon den Eindruck, dass die nachwachsende Generation sich etwas weniger für Oper interessiert und für diese Art von Repräsentationskultur auch. Wie sehen Sie das?
Müller: Oper und klassische Musik haben immer Schwankungen durchlebt. Entscheidend ist, wach zu bleiben für das, was Menschen heute bewegt und was den Zeitgeist trifft. Musik kann grundsätzlich jeden erreichen, aber oft fehlt den Menschen Zeit und Raum. Das ist im Kino das gleiche. Oper muss sich immer wieder neu behaupten, gerade heute, wo vieles online stattfindet. Es gilt, präsent zu sein, aber nicht aufdringlich, und zu zeigen, dass Oper aktuell ist. Die Geschichten sind nie altmodisch oder langweilig, auch wenn die Sprache manchmal ungewohnt wirkt. Leider verkleinert sich ja unser Wortschatz immer mehr, aber die Themen sind zeitlos und berühren auch heute noch. Wenn Freunde oder Familie von mir in die Oper kommen, sind sie begeistert und wollen wiederkommen. Der entscheidende Punkt ist, den ersten Schritt zu erleichtern. Denn wer einmal da war, merkt oft, wie lebendig und spannend Oper sein kann.
Sie haben das Kino angesprochen: Beide, Oper und Kino, sind ja audiovisuelle Kunstformen. Aber die Oper verlangt natürlich viel mehr Vorbildung.
Müller: Das Schöne ist, dass es in der Oper den berühmten Puls gibt. Im Kino nicht. Oper ist live, atmet, lebt und ist jeden Abend anders. Es gibt keinen Automatismus. Es ist jedes Mal neu, mit einem anderen Adrenalin auf der Bühne. Jeder Abend ist eine andere Kombination aus Künstlern, die sich zusammenfügen und was zum Leben bringen. Es gibt nichts Vergleichbares.
Ich habe ja von der Vorbildung gesprochen. In Bayreuth gibt es ja keine Übertitel, wenn Sie das Werk nicht kennen, sitzen Sie da sechseinhalb Stunden in der „Götterdämmerung“ und verstehen nur Bahnhof.
Müller: Ja, da müsste man wenigstens wissen, um was es geht. Das stimmt. Aber zum Glück gibt es in den meisten Opernhäusern Über- oder Untertitel.
Hanna-Elisabeth Müller
- Hanna-Elisabeth Müller ist eine der gefragtesten Lied- und Konzertinterpretinnen und zugleich auf internationalen Opernbühnen gefeiert. Ihren Durchbruch hatte sie 2014 als Zdenka in Strauss‘ „Arabella“ bei den Salzburger Osterfestspielen (Opernwelt „Nachwuchskünstlerin des Jahres“).
- Sie gastiert regelmäßig an Spitzenhäusern wie Bayerischer und Wiener Staatsoper, Metropolitan Opera, Semperoper, La Scala und Opernhaus Zürich. In der Saison 2024/25 debütiert sie als Rosalinde in „Die Fledermaus“ und singt die Contessa Almaviva an der Wiener Staatsoper, Eva („Meistersinger“) und Elettra („Idomeneo“) an der Staatsoper Berlin.
- Konzertauftritte führen sie u. a. mit Strauss‘ „Vier letzte Lieder“, Mahlers Sinfonien, Mozarts Requiem und Liederabenden nach Zürich, Berlin, Paris, Rom, Salzburg und Köln. Müller ist Pentatone-Exklusivkünstlerin, studierte bei Rudolf Piernay und besuchte Meisterkurse bei Dietrich Fischer-Dieskau, Julia Varady, Elly Ameling und Thomas Hampson.
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