Eröffnungsrede - Maja Göpel hält zu Beginn der Veranstaltung einen einführenden Vortrag

Zeit der Einhörner

Von 
Maja Göpel
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In der sechsten Folge der Mannheimer Reden am Nationaltheater Mannheim analysiert Maja Göpel: So geht es nicht weiter! Die Welt muss sich ändern, nachhaltiger, sozialer werden. Und der Mensch? Er muss davon träumen und zur Verwirklichung das Beste aus sich herausholen.

Als Wissenschaftlerin besteht meine hauptsächliche Aufgabe nicht darin, mich mit Fabelwelten zu beschäftigen. Bei uns geht es um Konzepte, Theorien, Modellierungen, Prognosen, Abwägungen, Zahlen und natürlich immer auch die ökonomischen Kosten. Als Mutter von zwei Mädchen ist es dagegen meine Aufgabe, mich mit Fabelwelten zu beschäftigen. Unser Haus ist voll davon. Auf Fragen danach, was sie einmal werden möchte, antwortet meine Vierjährige mit tiefer Überzeugung: ein Einhorn. Ob sie dafür in eine besondere Schule gehen müsse? Nein, Mama. Ich muss nur fliegen lernen!

In diesem Moment beginnt sich ein Gedanke zu formen. Was, wenn es Zeiten gibt, in denen fliegen lernen besser ist, als zu viel Abwägen? Wenn wir die globale Nachhaltigkeitsgesellschaft nicht als durchgemessenes, kalkuliertes und elektrifiziertes Ingenieurprodukt angehen, sondern als die Fabelwelt der Erwachsenen? Das gute Leben für alle Menschen in Frieden und im Einklang mit der Natur ist doch genau das: der Ausdruck tiefer Wünsche und Träume. Geteilter Träume.

Wir haben sie sogar in eine politische Agenda 2030 gegossen, deren fünf Ps nach jeder Dosis Tagesschau gar nicht anders wirken können als traumhaft: People, Planet, Prosperity, Peace und Partnership sind die Grundlagen würdevoller menschlicher Existenz und Ziel internationaler Zusammenarbeit (Menschen, Planet, Wohlstand, Frieden, Partnerschaft).

Aber was machen wir nun mit diesem Traum? Voller Verve ins Imaginieren, Experimentieren und neu Kreieren einsteigen? Nein. Wir halten ganz fest an unseren Vorstellungen von Realität, wie sie heute ist, und argumentieren, dass „nur“ 120 km/h fahren gegen den Menschenverstand verstößt. Dass Menschen nun mal primär Konsumenten sind und daher nicht genug Planet für alle da ist. Dass die heilige Wirtschaftsform der Finanz-Dominanz instabil wird, wenn wir diesen Planeten oder soziale Arbeitsbedingungen erhalten möchten. Denn Steuern sind leistungsverachtende Tabuzone und nicht grundlegende Instrumente der Gemeinwohlsicherung. Daher ist es auch unmöglich, die Profiteure dieser Wirtschaftsform wieder zu mehr Verantwortung zu bringen als für ihren eigenen Wohlstand und Lebensstil.

Hohle Versprechen

So weit, so gut, so stichfest die Argumente, warum jede tiefergreifende Veränderung dieser Realität unmöglich wäre. Also verharrt die Politik in Versprechen des „weiter wie bisher“ – oder nun auch zurück zu dem, was noch viel besser war. Konzerne bewerben uns weiter mit Versprechen des großartigen Lebens, wenn wir nur nie aufhören zu kaufen. Aber tief drinnen spüren die meisten von uns, dass beide Versprechen hohl sind. Dass Realität heute eben nicht Realität morgen sein wird. Das macht Angst. Und die ungeglaubten Geschichten des „weiter so“ verstärken diese viel mehr als dass sie Beruhigung und Raum für Verarbeitung bieten. Wir suchen Schuldige. Gehen in Abwehrhaltung. Holen für uns noch mal schnell das Meiste raus und suchen endlose Leistungssteigerungen in der Technik. Fahren immer schneller geradeaus, den Blick fest im Rückspiegel oder in der manipulierten Weltanschauung unserer Smartphones.

Tief humanistische Träume

Wie sollen wir so fliegen lernen? Wo schimmert der Horizont auf, hinter dem es sogar noch weiter geht? Welchem Kompass können wir noch folgen? Woher kommt Vertrauen und Hoffnung in einer solch verwirrten Zeit?

Dies sind die Fragen, die ich heute mit Ihnen bewegen möchte. Ich freue mich außerordentlich, das mit Klaus Töpfer gemeinsam tun zu dürfen. Ich bin fest überzeugt davon, dass sie selbst ein gutes Gefühl dafür haben – es nur in unserer Realität heute so wenig um Fühlen und so viel um Zählen geht. Deshalb möchte ich mit ein paar Träumen meiner Nachhaltigkeitsgesellschaft schließen. Tief humanistischen Träumen, wie Martin Luther King sie formuliert hat.

Ich habe einen Traum, dass unsere Kulturen die tief biologischen Wurzeln unserer Existenz wieder erinnern und wertschätzen. Die Luft die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, das Essen, das wir zu uns nehmen, unser gesamtes körperliches Wohlbefinden ist mit Mutter Erde verwoben. Ich träume davon, dass wir Treuhänderinnen dieses wunderschönen Zuhauses werden und es würdevoll teilen. Ich habe einen Traum, dass unsere menschgemachte Realität, die Gestalt unserer Städte und Landschaften, die Wirtschaftsweise unserer Gesellschaften, der Aufbau unserer Organisationen und Institutionen uns beflügelt, die Essenz von Leben zu spüren und das Beste in uns hervorzubringen.

Ich habe einen Traum, dass unser Bildungsverständnis und lebenslanges Lernen das volle menschliche Potenzial in den Blick nimmt und das in uns stärkt, wo künstliche Intelligenz scheitert: Kreativität, Einfallsreichtum, Mitgefühl, Empathie, Liebe.

Besonders in turbulenten Zeiten wie heute entsteht Hoffnung selten aus der Überzeugung, dass die Dinge so kommen werden wie wir wünschen. Hoffnung entsteht, so Vaclav Havel, aus der tiefen Überzeugung, das Richtige in diesem Moment zu tun. Turbulente Zeiten sind Zeiten der Einhörner.

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"Mannheimer Rede" mit Maja Göpel und Klaus Töpfer (komplett)

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Mannheimer Rede mit Wissenschaftlerin Maja Göpel und Klaus Töpfer

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Maja Göpel

Maja Göpel, geboren 1976, ist Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen – kurz WBGU. Der WBGU wurde 1992 unter anderem vom damaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) im Vorfeld des „Erdgipfels von Rio“ als unabhängiges wissenschaftliches Beratergremium gegründet.

Die diplomierte Medien-Wirtin hat in Politische Ökonomie promoviert. Sie lehrt an der Leuphana Universität Lüneburg und ist Mitglied zahlreicher Organisationen, darunter des Club of Rome und des Deutschen Sustainable Development Solutions Network, zu Deutsch: Lösungsnetzwerk für nachhaltige Entwicklung.

Als Generalsekretärin des WBGU arbeitet sie an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zum Thema Nachhaltigkeitstransformationen. Sie lebt bei Berlin auf dem Land und hat zwei Töchter. dms

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