Mannheim. Anna Karenina heißt sie in Russland, in Frankreich Emma Bovary und bei Theodor Fontane Effi Briest. Literarisch ein weites Feld ist die Darstellung des bürgerlichen Frauenschicksals im 19. Jahrhundert, an dessen Ende Henrik Ibsen mit „Hedda Gabler“ nachzieht. Ob es den Norweger frustriert oder amüsiert haben mag, dass sich in den zwölf Jahren seit seiner berühmteren „Nora“ im vermeintlich wohlanständigen Puppenheim der Bourgeoisie nichts getan hat, ist nicht überliefert. Fest steht dennoch, dass er in seinen Vierakter trotz tragischen Ausgangs viel Wortwitz und Humor hat einfließen lassen.
Tim Egloff, einst Schauspieler am NTM, wohin er wiederholt als Regisseur zurückkehrt, ist klug genug, diesem komödiantischen Ton des Dramatikers und zweimaligen Fast-Nobelpreisträgers zu folgen. Egloff vertraut eingeschriebenem Wortwitz, zeigt Gespür für dessen doppeldeutigen Pointen.
Man muss auch Schauspieler haben, die diesen Weg mitgehen. Wenn Michael Fuchs in Idealbesetzung als Richter Brack nonchalant „Ich bin hintenrum“ sagt und damit nicht nur den Weg über die Terrassentür meint, ist das dem Publikum im Schauspielhaus mit Recht einen Lacher wert - strebt der rührige wie schmierige Honoratior doch ein „schönes Dreieck“ (-sverhältnis) mit der hübschen gelangweilten Hedda und deren Forscher-Gatten Tesmann an. Der ist freilich wissenschaftlich zu beschäftigt, um solche Dinge zu merken. Selbst auf der gerade beendeten sechsmonatigen Hochzeitsreise sind ihm alte Pergamente und Bibliotheken wichtiger als seine verwöhnte und wenig verliebte Gattin Hedda.
Immerhin einen Doktortitel hat er vom Honigmond mitgebracht, von dem er schnell Tantchen Jule (zu jung besetzt und doch gekonnt: Ragna Pitoll) erzählen muss. Matthias Thömmes verleiht dem schrulligen Kulturforscher die ewig freundliche Jovialität des Ignoranten und wird von Thea Hoffmann-Axthelm (Bühne und Kostüm) in unvorteilhaftes Aral-Blau gekleidet, damit er mit Richter Brack in schmutzig-fiesem Karottenorange und der smaragdgrün gewandeten Hedda auch ein scheußlich-schönes Farbdreieck bildet. Wozu? Damit der eher klassische, mätzchenfreie und unaufgeregt-solide Vorbühnenabend unter einem kuriosen Klappspiegel nicht als langweilig gilt, muss Farbe ins Spiel: Der Pigmentverdichtung im Kostüm folgt in zweieinhalb Spielstunden nicht selten Plakativität bei den Figuren.
Das gilt leider auch für die traurige Titelheldin.
Anmut, Schönheit und aristokratische Herkunft, hat die Generalstochter mitgebracht, Geld indes wenig. Macht nix, die Frau gilt als Kracher des Jahrgangs und Tesman ist aus Renomméegründen bereit, tief in die Schuldscheinkiste zu greifen, um Hedda den angemessenen Life-Style zu bieten.
Sabine Fürst gibt diese schwierige Rolle (mit wenig Sympathiebonus) buchstäblich verspielt. Gelangweilt wälzt sie sich in Tüchern und Gardinen, mal albern, mal lasziv, mal ironisch schmierenkomödiantisch - und wirft sich bei „Ich hatte Angst vor dem Skandal“ tatsächlich in Adele-Sandrock-Pose. Das ist vielleicht der Preis, den es für Komödienton zu zahlen gilt. Schnell wird Fürsts Ton dann scharf, wenn sie sich zu ihren unbeliebten Bühnenschwestern, zur herrischen Salome, grausamen Medea oder intriganten Lady Macbeth wandelt, die „einmal im Leben Macht über einen Menschen haben“ möchte. Doch hat sie auch tiefgründige Momente, etwa wenn „in Schönheit sterben“ zum verzweifelten Ausbruch einer letzten Hoffnung auf etwas Besseres wird.
Ganz bodenständig gibt sich - groß und ernst - Anne-Marie Lux als Thea Elvsted, die den Schritt wagt, einer bürgerlichen Ehehölle ins Ungewisse zu entfliehen. Was beide allerdings an dem geläuterten Lebemann Lövborg (Benjamin Pauquet) finden, bleibt in dieser Inszenierung weibliches Geheimnis. Die Aura gelebter Höhen und Tiefen bleibt in dieser Darstellung eine Behauptung des Textbuchs, das mit Ausnahme des gestrichenen Dienstmädchens Berte in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel vorlagengemäß abschnurrt.
Seine Figuren lässt Egloff dabei immer ein wenig zu früh auftreten und macht sie zu stummen Zeugen der sie betreffenden Konversation. Ein gelungener Kniff, der zeigt, wie knapp und risikodicht Ibsens dramaturgische Justierungen bei den Szenenfolgen ist.
„Früher oder später fügt man sich in das Unvermeidliche“, sagt Richter Brack. Für Hedda ist das jetzt, wo sie den geliebten Lövberg in einen dann doch nicht so schönen Tod manövriert hat, keine Lösung mehr, sie zickt und intrigiert bis zum finalen Schuss. Den kommentiert wiederum Brack perfide mit einem Zitat Heddas: „So etwas tut man doch nicht!“ Sie ist ihr eigenes Opfer. In der ihr anerzogenen, gelebten und doch gehassten Welt des Wohlstands und Anstands bleibt für Hedda Gabler und Anna Karenina und Emma Bovary und ... – nur erlösender Widerstand im Freitod. Traurig. Dennoch herzlicher und langanhaltender Applaus für Ensemble und Regie im Schauspielhaus.
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