Bunt und nahezu blumig zeigt sich das extra zu diesem besonderen Zwecke gestaltete Werbematerial des Nationaltheaters (NTM), mit dem es ganz buchstäblich Publikum motivieren und mobilisieren möchte, während der fünf Jahre dauernden Spielhaussanierung in die Ersatzspielstätten zu kommen. Offiziell heißen sie natürlich Interimsspielstätten, das klingt weniger nach Ersatz. Grafisch hat man die sieben Signets, also optische Ortsmetaphern, so mit Zacken und Rundungen verbrämt, dass sie an Blumen erinnern. Da denkt man die BUGA, Mannheims andere Großbaustelle, irgendwie gleich mit. Egal, blühende Theaterlandschaften soll es natürlich fast im ganzen Stadtgebiet geben. „Wir ziehen mit euch um die Häuser“ heißt das gelungene Mobilitätsmarketingmotto, das man auch mit einem (leider recht drögen) Imagefilm populär machen will.
Schauspiel
Schauspielintendant Christian Holtzhauer hat den Mobilitätspakt längst geschlossen und setzt seinen beweglichen Theatertruck im ganzen Stadtgebiet ein. Diesmal nicht mit Shakespeare, sondern gleich zu Beginn der Spielzeit mit Carlo Goldonis Verwechslungskomödie „Diener zweier Herren“. Premiere ist am 21. September. Regie führt ein feministisches Kollektiv des ersten rein weiblichen Studentinnenjahrgangs der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, das sich „hfs_ultras“ nennt. Inoffiziell, so Holtzhauer, habe man der Spielzeit das Motto „Schöne neue Welt“ gegeben, die freilich in der zu betrachtenden Arbeitswelt von Georg Büchners „Woyzeck“ nicht wirklich schön sei, gesteht er ein (Premiere: 20. Oktober im Studio Werkhaus).
Wenn alles klappt, will das Schauspiel im Februar 2023 im Alten Kino auf Franklin dann den ursprünglich für Dezember angekündigten Brecht-Abend „Der gute Mensch von Sezuan“ in der Regie von Charlotte Sprenger zeigen, wo Sozialutopie und Kapitalismuskritik aufeinandertreffen. Vor Ort, also auf dem Franklin-Field, dem Platz vor der Sports Arena, arbeitet auch das Mannheimer Stadtensemble an der schönen neuen Welt und fragt in der vierteiligen Bürgerbühnenproduktion „Vier Jahreszeiten“ bei Bewohnern des jungen Viertels nach, wie man ein neues Wir-Gefühl entwickeln kann. Am 17. Oktober sind erste Recherche-Ergebnisse zu sehen.
Auch Kleinteiliges im Diskursformat hat die Sprechtheatersparte weiterhin im Angebot: „Das Haymatministerium“ mit Gesprächen zur postmigrantischen Gesellschaft wird ebenso fortgesetzt wie die Nachwuchsförderungsreihe „Ins kalte Wasser“. Neu ist die Veranstaltungsreihe „Islam im Theater - Theater im Islam“ (in Kooperation mit der Muslimischen Akademie Heidelberg) und die wiederbelebte Leseaktion „Mannheim liest ein Buch“, das mit lokalen Partnern am 12. Oktober an der Universität mit einer Lesung Karosh Tahas beginnt.
Junges Nationaltheater
Kinder- und Jugendtheaterintendantin Ulrike Stöck ist bei so viel Bewegung und Standortwechseln fast ein bisschen traurig, gesteht sie, dass sie von der Sanierungsphase nicht betroffen ist. Sie starte wie gewohnt im alten Schnawwl-Saal unter dem Alte-Feuerwache-Dach vor Zuschauenden ab 15 Jahren am 1. Oktober mit Kafkas „Der Verschollene“ in die Spielzeit, einem Abiturstoff, der einst „Amerika“ hieß und von Lara Kaiser inszeniert wird. Für Kinder ab acht Jahren setzt sie ihre Serie „Kliffhänger“ im TV-Format und mit Computerthematik fort, angedacht ist auch ein Extra-Abo für Fans der gut angelaufenen Theaterserie.
In Kooperation mit dem Marchivum fragt sie (ab 14) mit „Für alle Ewigkeit“ (14. Dezember), wie es nach NS-Terror in Deutschland zu einer „neuen Rechten“ kommen konnte und wie sich rechtes Gedankengut tradiert. Mit „Is’ Luft drin“ geht sie nach „Bällen“ und „Matsch“ mit Allerkleinsten nun auf eine theatralische Forschungsreise zum Thema Schaum. In Kooperation mit der Oper wird das Bilderbuch „Der Tigerprinz“ ab 14. November im Musensaal des Rosengartens zum Musiktheater für junges Publikum. Karten für die neue Saison gibt es übrigens ab 22. Juli an der Theaterkasse.
Musiktheater
Die Oper von Albrecht Puhlmann zeigt gleich noch ein weiteres musikalisches Familienstück im Rosengarten, nämlich „Don Quijote und Sancho Panza“ (16. Dezember). Los geht die Spielzeit aber bereits am 17. September mit einem „OpernAir auf der Seebühne“ im Luisenpark. Der Freiluft-Operngala zum Auftakt folgt im Schwetzinger Rokokotheater dann am 25. September Mozarts Singspiel und Heckenoper „Bastien und Bastienne“ in der Regie von Claudia Plaßwich. Im November wird 30 Jahre „Loriots Ring an einem Abend“ gefeiert, bekanntlich nicht nur für Wagnerianer ein Vergnügen.
Am 17. Dezember soll dann die im Bau befindliche Oper am Luisenpark, bekannt als „OPAL“, endlich eingeweiht werden - und zwar mit der hierzu entstehenden Produktion „Créations“, die unter der Leitung des italienischen Dirigenten Salvatore Percacciolo musikalische Schöpfungsgeschichten von Monteverdi bis Rossini erzählen will. Puhlmanns Tour d’horizon endet mit einem Nachschlag oder besser Ausblick ins neue Jahr, wenn Giacomo Meyerbeers Grande Opéra „Die Hugenotten“ auf die Bühne des Theaters im Pfalzbau kommen wird.
Tanz
Auch Tanzintendant Stephan Thoss hat eine Schwäche für Loriots Humor und zeigt ab 9. Dezember sein weihnachtliches Tanzstück „Nüsseknacker“ im Tanzhaus Käfertal, das nach Umbau des Zuschauerraums nun 160 Sitzplätze hat. In seine Choreographie des romantischen Handlungsballetts (das erste im Tanzhaus) hat er „9,9 Rätsel-Zitate“ aus Loriot-Sketchen eingebaut, schließlich wäre der Humorist heuer 99 Jahre alt geworden. Den Start in die erste „Außerhaus“-Spielzeit bestreitet ein Nachholtermin: Die populäre „Choreographische Werkstatt“ inszenierender Ensemblemitglieder (21. Oktober) ist diesmal nicht Abschluss, sondern Auftakt der Saison. In der Alten Schildkrötfabrik Neckarau, einem weiteren originellen Tanzort, der - wie auch das Stromwerk in der Neckarstadt - als historisches Mannheimer Filetstück an Privatleute verkauft wurde, zeigt Thoss ab 5. November „Krieg“. In kyrillischer Schreibweise bedeutet dies auf Russisch „Schrei“ und führt als Motto durch einen Chopin-Abend, der von Flucht und Trennung erzählt.
Heiterer geht es bei „Mannheim on Move“ zu, einem Videowettbewerb, dessen Beiträge alles abbilden dürfen, was in Bewegung ist. Und die ist bekanntlich wichtig, gesundheitlich und kulturell, vor allem, wenn ein Theater mit seinem Publikum „um die Häuser ziehen“ will.
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