Generalsanierung

Grundstein des Mannheimer Nationaltheaters entdeckt

Bei Grabungsarbeiten für die Generalsanierung ist ein Bagger zufällig darauf gestoßen. Wie er aussieht, was drin steckt und wie die Grundsteinlegung 1954 abgelaufen ist

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Peter W. Ragge
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Zerbeult und geschwärzt, aber erhalten: der 1954 verlegte und jetzt entdeckte Grundstein für den Neubau des Nationaltheaters. © Thomas Tröster

Mannheim. So etwas hat er noch nie gesehen, in mehr als 35 Jahren als Pressefotograf nicht. „Sonst glänzen die immer wie neu“, staunt Thomas Tröster. Aber nun hat er erstmals die Kupferkassette eines Grundsteins fotografieren können, der wieder aufgetaucht ist: den am 18. Juni 1954 gelegten Grundstein des Nationaltheaters. Das ist so ungewöhnlich, dass Oberbürgermeister Christian Specht am Donnerstagfrüh eigens auf die Baustelle der Generalsanierung am Goetheplatz kommen will, um sich den Fund anzusehen.

Adressbuch, Broschüren, Programmhefte, Pläne: ein Teil des Inhalts des jetzt entdeckten Grundsteins des Nationaltheaters. © Thomas Tröster

„Es war Zufall, dass der nicht auf dem Lkw gelandet ist“, sagt Marcus Augsburger, der Technische Betriebsleiter des Nationaltheaters. Bei Aushubarbeiten für die neuen Räume, die unterirdisch für das Theater geschaffen werden, sei ein Bagger auf einen Behälter gestoßen, der sich als Teil vom Grundstein entpuppt hat. „Es wusste keiner, wo der liegt und dass er da liegt“, so Augsburger. Aber er ist nicht mit dem Aushub abtransportiert, sondern in einen Baucontainer gebracht worden.

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Der Bagger hat die inzwischen schwarze Kupferkiste zwar kräftig verbeult, aber sie hat sich als stabil erwiesen. Ihr Inhalt ist hervorragend erhalten geblieben. Es handelt sich um ein Mannheimer Adressbuch von 1954, dem Jahr der Grundsteinlegung, und den „Mannheimer Morgen“ vom Tag der Grundsteinlegung. Die Verwaltungsberichte der Stadtverwaltung der Jahre 1949/50 und 1951/52 sind zu sehen, mehrere Programmhefte des Nationaltheaters, die Ausgabe der „Mannheimer Hefte“ zum 175-jährigen Bestehen des Nationaltheaters, die Broschüre „Mannheim im Aufbau“, „Richters Reiseführer“ mit dem Titel „Mannheim – Metropole an Neckar und Rhein“, ein Stadtplan und das Programm der Grundsteinlegung.

Im Grundstein des Mannheimer Nationaltheaters liegen Akten, Pläne und eine große Urkunde

Hinzu kommen Aktenbündel über die Planung und Pläne im Maßstab 1:100 sowie die beglaubigte Abschrift eines Zwischenzeugnisses für einen Mann, ausgestellt vom Rat der Stadt Chemnitz, wo nicht ganz klar ist, warum sich das im Grundstein befunden hat. Wein und Münzen, sonst traditioneller Teil von Grundsteinen, sind im Baucontainer nicht zu sehen. In Berichten über die damalige Grundsteinlegung von 1954 ist aber davon auch nicht die Rede.

Juni 1954: Oberbürgermeister Hermann Heimerich, weitere Vertreter der Stadt und Handwerker legen auf dem Goetheplatz den Grundstein. © Marchivum

Der wichtigste Inhalt – und sehr gut erhalten, nur das Papier ist etwas gewellt – stellt natürlich die Urkunde über die Grundsteinlegung im Format A 3 dar, unterzeichnet vom damaligen Oberbürgermeister Hermann Heimerich, den Vorsitzenden der Gemeinderatsfraktionen und dem Kuratorium der Stiftung Nationaltheater, die den Neubau mitfinanziert hat. In der Urkunde ist daher von „großzügigen Spenden aus der Wirtschaft“ und „Opferbereitschaft der Bürger“ die Rede. Schließlich haben bereits 1949 Persönlichkeiten wie Florian Waldeck, Carl Reuther und Richard Böttger die Gesellschaft der Freunde des Nationaltheaters ins Leben gerufen, 1953 eine eigene „Stiftung Nationaltheaterbau“. 1952 und 1956 richtet sie je eine Tombola aus, die zusammen eine Million D-Mark erbringt – nicht nur ein wichtiger Grundstock, sondern auch ein Bekenntnis der Bürger und ein Signal an die Landesregierung, die daraufhin zwei Millionen D-Mark für die Gesamtbaukosten von 13 Millionen Mark bewilligt.

Das alte Mannheimer Nationaltheater wurde 1943 zerbombt

Und das alles in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit! Am Tag der Grundsteinlegung klaffen noch viele von Bomben gerissene Baulücken, sind zahlreiche Dächer lediglich provisorisch geflickt, von Bombensplittern vernarbte Fassaden nicht ausgebessert. Aber „viel zu viel Sonnenschein“ liegt an jenem 18. Juni 1957 über „dem flaggen-gesäumten Goetheplatz“, heißt es im damaligen „MM“-Bericht. „Tausend geladene Gäste, Prominente in dunklen Anzügen, außerhalb des Mäuerles um den Bunker Kinder im Gras, Straßenbahnen und Busse schlichen auf Sammetpfötchen durch die Goethestraße und den Friedrichsring, in den Fenstern der umgebenden Wohnbauten Kopf an Kopf viele Sehleute“. Willy Birgel, Ida Ehre, Ludwig Schmitz – alle damals großen Mannheimer Theaterleute sind da. Nach drei symbolischen Hammerschlägen von Oberbürgermeister Hermann Heimerich auf den Metallbehälter des Grundsteins erklingen Beethovens „Leonoren-Ouvertüre“ und das „Meistersinger“-Vorspiel. „Aller Pessimismus verblasst vor den Aufbautaten des deutschen Volkes. Wir alle werden reicher um diesen Theaterbau“, sagt der Hamburger Bürgermeister Max Brauer, der für den Deutschen Bühnenverein spricht, der anlässlich des Baubeginns in Mannheim tagt.

Der Neubau belege „die unauslöschliche Liebe der Mannheimer zu ihrem Theater, den Willen zu schöpferischer Tat und die Bereitschaft zu äußersten Opfern“, schreibt der damalige Erste Bürgermeister Jakob Trumpfheller über die Grundsteinlegung unter Verweis auf die Urkunde. „Ungeheure Schwierigkeiten der Nachkriegsjahre vermochten nicht, die Liebe der Mannheimer zu ihrem Theater auszulöschen“, heißt es in der Urkunde. Sie nimmt Bezug auf das 1943 durch Bomben zerstörte Nationaltheater in B 3 und schildert „das Zusammenwirken von Bürgerschaft, Stadtrat und Stadtverwaltung“, durch das man „mit unerschütterlicher Beharrlichkeit“ das Wagnis eines Theaterneubaus angehe, der „die Bildung des Verstandes und des Herzens mit der edelsten Unterhaltung vereinigt“.

Redaktion Chefreporter

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