Das Interview - Der neue Mannheimer Hausautor Necati Öziri über Karriere, Geld und das Stück „Gott Vater Einzeltäter“

Der neue Mannheimer Hausautor Necati Öziri über Karriere, Geld und das Stück „Gott Vater Einzeltäter“

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Mag Hip-Hop, spricht in vielen Bildern und gibt sich im Interview mit dieser Redaktion bescheiden: Der neue Hausautor des NTM, Necati Öziri. © Christian Kleiner

Er ist ein großer Hip-Hop-Fan, das merkt man schon am Duktus seiner Rede. Aber er spricht auch viel in Bildern, beschwört literarische Stimmungen herauf, wo andere vielleicht eher konkrete Antworten geben: Necati Öziri, Jahrgang 1988, ist eben Dramatiker. Und weil das so ist, wird auch ein Interview zu einem Ringen um Präzision und Eindeutigkeit, schließlich will auch Kunst beides nur sehr selten, wenn sie nicht ins Plakative wechseln möchte - ein Gespräch mit dem neuen Hausautor des Nationaltheater Mannheim.

Herr Öziri, sind Sie so etwas wie ein Existenzialist?

Necati Öziri: Nein, zumindest kann ich nicht behaupten, dass der Existenzialismus als philosophische Strömung meine Arbeit direkt auf eine besondere Art und Weise geprägt hätte.

Zumindest könnte man den Titel Ihres Stücks „Get Deutsch or die tryin’“ aus dem Jahre 2017 als ironisch-antiexistenzialistisch verstehen - im Sinne der Kritik an einer Vorbestimmung. Was genau verbirgt sich hinter dem Titel?

Öziri: Hinter dem Titel, ein Song-Zitat, verbirgt sich das Feuer, das in meinen Augen brennt, die Musik, die mein Leben gerettet hat. Sie nennen es wahrscheinlich Hip-Hop, ich nenne es Hypnose. Wissen Sie, ich habe ganz unten angefangen, und jetzt bin ich hier. Nur als Erinnerung für mich selbst trage ich heute noch jede einzelne Silberkette um den Hals, selbst wenn ich Zuhause bin. Wir können uns nicht nur auf die akademische Philosophie beziehen, wir müssen unsere eigenen Pyramiden bauen und unsere eigenen Hieroglyphen schreiben.

Sie machen mich neugierig: Was heißt, Sie haben ganz unten angefangen?

Öziri: Es war ein ständiges Rennen. Wir versuchten sehr, so sehr, zu überleben, obwohl wir jung waren, mussten wir stark sein. Ich konnte nie schlafen, Schlaf war der Cousin des Todes. Morgens wachte ich auf, dachte erst mal an Geld. Ich wusste, Erfolg war die einzig verdammte Option - Versagen keine. Aber du kriegst nur einen Schuss, verpass diese Gelegenheit nicht! Ein guter Freund hat dann gesagt: „Versprich mir, du erzählst meine Geschichte, wenn du groß rauskommst.“ Ich habe gesagt: „Wie denn?“ Und er: „Schau in meine Seele, vielleicht findest du dort Gold und wirst reich.“ Und so war es. Hasst es oder liebt es, aber die Underdogs sind jetzt oben, und ich werde scheinen, bis mein Herz stoppt. Schein so hell wie ein Diamant im Himmel! Wenn ich heute mit meinen Freundinnen und Freunden feiere, tanzen wir nicht, wir machen money-moves.

Klingt, als seien Sie reich geworden?

Öziri: Nein, zum Glück nicht: Mehr Geld, mehr Probleme …

Sind Sie der einzige Dichter, der nicht mehr Geld verdienen will?

Öziri: Ein Benz ist für mich auch nur ein Auto. Es geht nicht um Geld, es geht um poetische Gerechtigkeit in ein Lied gelegt. Wir kaufen uns aus dem Gefängnis frei, aber Freiheit kaufen können wir nicht. Wir kaufen Klamotten, die wir eigentlich nicht brauchen, Dinge, um unser Inneres zu verstecken, die dafür sorgen, dass wir uns selbst hassen und den Reichtum anderer lieben.

Das war jetzt aber ein eleganter Bogen, um die Frage nicht zu beantworten…

Öziri: Na gut, ganz ehrlich? Natürlich fragen wir uns: Lohnt es sich? Dann let me work it! Wenn du im Aufzug stirbst, dann sieh zu, dass du den Nach-Oben-Knopf drückst. Wie oft denk ich also: Bitch, besser du hast mein Geld und zahlst, was du mir schuldest.

Sie haben gerade gesagt, wir würden uns Dinge kaufen, die dafür sorgen, dass wir uns selbst hassen und den Reichtum anderer lieben. Was kaufen Sie, wofür Sie sich später selbst hassen?

Öziri: Zu viele Flaschen Wein, den wir nicht mal aussprechen können. Zu viele Schüsseln Grünes Zeug, und damit mein ich nicht Lucky Charms Müsli. Cash bestimmt alles um mich herum. Die Uhr, die ich trage? Hab ich gekauft. Das Haus, in dem ich lebe? Hab ich gekauft! Das Auto, das ich fahre? Hab ich gekauft… Aber am Ende geht’s ja um Liebe.

Klingt dann noch sehr, nun ja, kommunistisch? Warum kommen Sie aus dieser für Sie offenbar so schmerzhaften und hassenswerten Spirale nicht raus?

Öziri: Wir müssen uns mehr selbst lieben und weniger Angst haben. Aber Liebe ist kein Verb, es ist dein Blick in den Spiegel. Es geht nicht um den Hund im Kampf, es geht um den Kampf im Innern des Hundes. Manchmal suche ich nach Wegen, „Ich liebe dich“ zu sagen, aber ich steh’ irgendwie nicht auf Lovesongs, also schreib ich einfach über LSD. Einfach weil da Angst ist… Angst, dass das, was auf der Erde passiert, auch auf der Erde bleibt. Und ich kann diese Gefühle nicht mit mir mitnehmen, also hoffentlich lösen sie sich auf. Wenn ich Angst wegrauchen könnte, würde ich den Scheiß drehen und zwei tiefe Züge nehmen. Aber auch das geht nicht. Also müssen wir damit umgehen: Das Leben hat mir Zitronen serviert, ich machte Limonade daraus. Wissen Sie, ich bin ein Survivor, ich werde nicht aufgeben, ich werde nicht aufhören und ich werde noch härter arbeiten.

Sie sprechen ständig von Hass, Angst, Liebe. Ist das ein Vorgeschmack auf das Stück, das sie als Hausautor in Mannheim präsentieren werden?

Öziri: Ja, eine Auftragsarbeit für das Nationaltheater Mannheim. Sie riefen mich immer wieder auf meinem Handy an, spät nachts, wenn sie meine Liebe brauchten, und ich weiß, wenn meine Hotline blinkt, kann das nur eins bedeuten. Es wurde ein Stück über Männlichkeit, Gewalttäter und Väter und heißt „Gott Vater Einzeltäter“. Die Ausgangsfrage: Wie können wir uns nur so alleine lassen, in dieser Welt, die so kalt ist? Vielleicht sind wir einfach wie unsere Väter, zu bescheuert? Gewalt ist ein männliches Problem. Alle respektieren den Schützen, aber der Andere, der vor der Waffe, lebt für immer.

Klingt nach einem feministischen Stück. Spielen auch Frauen mit, sind sie die Opfer, von denen Sie sprechen?

Öziri: Frauen sind am Start, aber nicht um die Opferrolle zu spielen. Als Typ hab ich dazu nichts zu sagen. Die amerikanische Rapperin MC Reed You-Did Buttler Asshole sagte mal: Es geht nicht darum, dass Frauen schwach sind, so von Natur aus, sondern das Game macht erst die Verletzlichkeit von Frauen. Ich bin mit allem cool. Ich glaub’, die Ehe ist etwas, nicht zwischen Mann und Frau, sondern zwischen Liebe und Liebe. Wir alle glauben an etwas. Und ich glaube dir sogar, wenn du sagst, du hast deinen Glauben verloren. Ich glaube auch nicht, dass ich jemals loskommen werde, von all den Rapperinnen und Rapper, die meine Worte in jedem - sogar diesem - Interview beeinflusst haben: Kendrick Lamar, Rihanna, Drake, Ludacris, Eminem, Beyoncé, Cardi B, 50 Cent, P.Diddy, The Notorious B.I.G., Missy Elliot, MC You-Did Buttler, Kanye West, Frank Ocean, Wu-Tang Clan, Asap Rocky, sogar Prince. Ich könnte ein ganzes Interview machen und nur diese Künstlerinnen und Künstler zitieren.

Dann beschließen wir doch mit einem Lieblingssatz - aber nicht von einer Rapperin, sondern aus Ihrem für Mannheim geschrieben Stück.

Öziri: „Ich hatte mal einen Plan im Leben: Kämpfen, befehlen, siegen, töten, sterben… ersetz jedes Wort mit ficken. Aber dann kamst du.“

Ab Januar 2021 neuer Mannheimer Hausautor

  • Das Leben: Necati Öziri wurde 1988 in Datteln geboren und hat Philosophie, Germanistik sowie Neue Deutsche Literatur in Bochum, Istanbul und Berlin studiert. Er war Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung und unterrichtete an der Ruhr-Universität Bochum formale Logik.
  • Der Dramaturg: Seit 2017 ist er Dramaturg des Theatertreffens und Leiter des Internationalen Forums. Öziri war von der Spielzeit 2013/14 bis zur Spielzeit 2017/18 Teil der Dramaturgie des Maxim Gorki Theaters.
  • Der Autor: Öziris Stück „Get Deutsche or die tryin’“ kam in der Regie von Sebastian Nübling im Maxim Gorki Theater heraus und wurde zum Heidelberger Stücke-markt eingeladen. Sein aktuelles Stück „Die Verlobung in St. Domingo – ein Widerspruch“ wurde ebenfalls von Nübling am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt und vom „Gorki“ übernommen.
  • Der Hausautor: Für das NTM, dessen Hausautor er im Januar 2021 werden wird, hat er ein Auftragswerk geschrieben. Öziri spricht von einem Stück über Männlichkeit, Gewalttäter und Väter. Es heißt „Gott Vater Einzeltäter“. Die Uraufführung ist für Januar 2021 geplant, Regie: Sapir Heller. 

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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