Mannheim. Gegen Windmühlen haben wir schon häufig vergebens gekämpft. Doch in der Regel handelt es sich nicht um „Riesen“, wie Don Quijote fälschlicherweise glaubt, sondern um Alltägliches, an dem wir gründlich scheitern. Naheliegend also, dass Jakob Nolte die Cervantes-Übersetzung von Susanne Lange für seine poetisch verdichtete Bühnenfassung gelegentlich einer Realität annähert, deren Tücken oft nur mit viel Einbildungskraft überwunden werden können. Wir träumen uns hinaus, verlassen die bedrückende Enge persönlicher Erfahrungen und betreten bestenfalls verzaubertes Neuland. Was Friederike Drews im Auftrag des Mannheimer Nationaltheaters inszenierte, zeigt jedenfalls, dass die Macht der Phantasie eine dauerhafte Geschichte ist. Nicht nur literarisch. Zumal wenn es gilt, gedanklich für die aktuelle, in vielerlei Hinsicht desolate Zeit utopische Hoffnungen zu entwerfen.
Bewegtes Leben
- Miguel de Cervantes Saavedra wurde 1547 als Sohn eines verarmten Kleinadeligen geboren. Unterricht erhielt er in einem Jesuitenkolleg. Ob er studierte, ist ungeklärt. 1569 war er in Rom Kammerjunker eines Kardinals. Ein Jahr später ging er zur Armee und wurde im Kampf gegen die Türken schwer verletzt. Auf einer Reise geriet er 1575 in die Gefangenschaft algerischer Korsaren. Erst nach fünf Jahren wurde er freigekauft.
- 1592 erhält er eine Gefängnisstrafe wegen Unterschlagung. 1597 wird er aus dem Staatsdienst entlassen. In finanziellen Schwierigkeiten und chronisch krank schrieb er bis kurz vor dem Tod 1614 am zweiten Teil des „Don Quijote“.
Wenn das Stück im Alten Kino Franklin beginnt, betritt Don Quijote einen Steg zwischen den vorderen Sitzreihen und beklagt mit bewegenden Worten sein Zeitalter. Heute triumphiere die Trägheit über den Eifer, der Müßiggang über die Mühen, das Laster über die Tugend, Hochmut über Heldenmut und die Lüge über die Poesie. Ein Unzufriedener also, der das Vergangene ebenso überschätzt wie die verändernden Möglichkeiten von Gegenwart und Zukunft. Denn das von ihm angestrebte goldene Zeitalter der Gleichheit und Gerechtigkeit liegt nach wie vor in weiter, offenbar unerreichbarer Ferne.
Ev Benzing hat etliche zum Teil bunt bedruckte Behälter auf die Bühne stellen lassen. Man kann auf ihnen reiten, sie wie ein Gebirge erklimmen oder in ihnen verschwinden, um als Kasperlepuppen über den Rand hängend wieder zu erscheinen. Mehr ist anscheinend nicht notwendig, will man die Freiräume seiner Vorstellungskraft angemessen durchschreiten.
Ins Abenteuer stolpern
Matthias Breitenbach ist Don Quijote, ein großsprecherischer Träumer, der retten will, was sich wohl nicht retten lässt: die Welt. Manchmal ist er aufreizend arrogant, als gäbe es in seinem Innersten nicht auch jene bodenlose Verzweiflung, die ihn von Abenteuer zu Abenteuer stolpern lässt. Und dass er als Folge seiner ritterlichen Begeisterung Windmühlen mit Riesen und blökende Schafe mit feindlichen Heeren verwechselt, zeigt, wie leicht ein Mensch sich irren kann, wenn sein Mut zur Tat die realen Gegebenheiten übersieht.
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Ein famoser Kontrast zu ihm ist Annemarie Brüntjen als Sancho Panza. Keck, blond, mit Pferdeschwanz-Frisur, ohne Kissenbauch, folgt ihr geerdeter Realitätssinn widerstrebend den absurden Handlungen ihres Arbeitgebers. Sie ist nicht nur Blitzableiter für all dessen Missgeschicke, sondern auch eine Aufmüpfige, deren aufgeklärtes Misstrauen die faulen Seiten des Zaubers rasch begreift. Schließlich hat man für all den zur Schau getragenen Idealismus bereits eine Menge Prügel einstecken müssen.
Hinreißend ihr imitiertes Schlagzeugsolo. Dass der Romantext von Cervantes in dieser rigoros gekürzten Fassung erheblich Federn lassen musste, ist naheliegend. Und vielleicht ist das der Grund, weshalb die Inszenierung von Friederike Drews oft mehr dem harmlosen Regie-Einfall vertraut als einer konsequenten Bündelung inhaltlicher Motive.
Gemeinsamer Lachanfall
Die erfundenen und erzählten Geschichten werden zwar auf sympathische und amüsante Weise vermittelt, ergeben aber keinen tieferen Sinn. Abgesehen davon, dass Szenen wie die Kotz-Orgie von Don Quijote und Sancho Panza in eine Tiefkühlbox oder ihr gemeinsamer Lachanfall in der Schenke entschieden zu lang geraten sind.
Immerhin jedoch begegnet man bei Friedrike Drews zwei seltsamen Gestalten, die ihre Worte einfühlsam abwägen, um auf unterschiedliche Weise die Realität zu bewerten. Obwohl sie vermutlich ahnen, dass Wirklichkeit und Sprache längst auseinandergefallen sind. Denn angemessen beschreiben lässt sich jenes Dilemma, das wir Leben nennen, kaum noch. Was allerdings bleibt, ist der Zauber der Phantasie, dem sogar Skeptiker wie Sancho Panza folgen. Zwar empfinden wir die Welt zuweilen als Käfig, aber manchmal lassen sich im Vertrauen auf die Literatur seine Gitterstäbe ignorieren.
Wieder am 17.11; 9., 26. und 30. 12. Karten: 0621/1680-150.
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