Konzert

Alexander Soddy sendet beim Akademiekonzert ein Tschüs in Zuckersüß

Es war sein Abschiedskonzert von Mannheim. Generalmusikdirektor Alexander Soddy sagt im Mannheimer Rosengarten mit überwiegend filmischer Musik von Korngold, Rota, Morricone Ade - und begeistert

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Emotionale Explosionen: Veronika Eberle und GMD Alexander Soddy im Mozartsaal beim Musizieren von Erich Korngolds Violinkonzert D-Dur. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Man muss sich das nur einmal vorstellen: Während Deutschland und halb Europa nach 1945 in Schutt und Asche liegen, während Kunstschaffende und Komponisten verzweifelt an die Kunst aus der Zeit vor dem alles zerstörenden Faschismus auf dem Kontinent anzuknüpfen versuchen, während jemand wie Pierre Boulez 1947 eines seiner klanglich brutalsten und strukturell radikalsten Werke schreibt (die Klaviersonate Nr. 2) - da führt ein Österreicher im amerikanischen St. Louis ein Werk auf, das wie ein Gegenentwurf zu all dem klingt: schön, schwelgerisch, auf verschwenderische Art voller Blüte, Samt und Nektar. Süß!

Auch Erich Korngold, so heißt der Mann, versteht sich als modern. Doch seine Musik huldigt Wagner mehr als allem, was von 1900 bis 1945 war. Klar, der Mann arbeitet in Hollywood!

Eine monumentale Emotionsexplosion

Man hört das im Mannheimer Rosengarten beim Akademiekonzert auch seinem Violinkonzert D-Dur op. 35 an. Geschrieben hat er es schon in den 1930er Jahren, und wenn Korngold nicht jüdische Wurzeln gehabt hätte - rein ästhetisch wäre man in - Pardon! - Goebbels’ Reichskulturkammer wohl gar nicht so unzufrieden gewesen mit seiner runderneuerten Romantik.

Die Violinistin Veronika Eberle aus Donauwörth lässt sie von Beginn an luxuriös blühen und strömen. Ihr Ton ist voller Leidenschaft, Seele und Emphase, was sich auch im starken Vibrato widerspiegelt. Genussvoll und prächtig könnte man nennen, was sie neben Dirigent Alexander Soddy und dem Nationaltheaterorchester da schafft.

Es ist Dirigent Alexander Soddys Abschiedskonzert. © Manfred Rinderspacher

In den von Korngold oft notierten Diskanthöhen flötet ihre Stradivari süßlich und prangt mühelos über dem riesigen Orchester, im letzten Satz fackelt sie eine virtuose Wunderkerze ab - mit allerlei hingeworfenen Springbögen (Ricochets), Pizzicati, Doppelgriffen und schnellen Skalen. Es ist eine monumentale Emotionsexplosion mit Röhrenglocken und Harfe. Einen filmischen Touch hat das in jedem Fall auch, aber richtigen Hollywood-Kitsch wusste das einstige Wunderkind Korngold dann doch noch irgendwie zu vermeiden. Fast.

Nur ein einziges Buh

Es ist Soddys Abschiedskonzert. Thema: filmische oder filmnahe Musik. Am Ende gibt es die berühmten Ovationen für Soddy (mit einem einzigen Buh). Am Anfang eine Rede des zuständigen Bürgermeisters Michael Grötsch (mit keinem einzigen Buh). Grötsch zitiert aus dem „Mannheimer Morgen“, erinnert an das, was NTM-Opernintendant Albrecht Puhlmann 2016 und Soddy selbst damals zu Soddys Vertragsunterzeichnung als Generalmusikdirektor gesagt haben. Er freut sich darüber, wie sich die einstigen Erwartungen dann auch voll erfüllt haben. Dem ist nicht zu widersprechen. Soddy hat das Orchester tatsächlich zu neuen Höhen geführt, vor allem, was die klangliche Stabilität und Spieldisziplin angeht.

Ein bisschen Zirkus und Jahrmarkt

Man hört es auch an diesem Abend. Die Programmatik fürs Abschlusskonzert eines GMD ist aber durchaus gewöhnungsbedürftig. Edward Elgars „Cockaigne“, Korngolds Violinkonzert, die Suite „The Sea Hawk“ und Nino Rotas „Otto e mezzo“ sind zwar nicht unbedingt, was unter leichter Muse subsummiert wird. Aber für ein Orchester und Publikum, das Jahrzehnte lang von Mozart, Wagner und Strauss träumte, fühlt es sich „leicht“, mitunter auch etwas nach Zirkus und Jahrmarkt an.

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Stefan M. Dettlinger
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Gerade Korngolds paramountverdächtiger Breitbildscore „Sea Hawk“ mit sieben (!) Schlagzeugern, zwei Harfen, Celesta und Klavier ist aber auch raffiniert gemacht. Die kompakt blasende Blech- und Holzbläsersektion des NTM kommt voll auf ihre Kosten, die Streicher lassen selbst eisige Herzen schmelzen, und das Ganze ist ein üppiges Klangfest der Sinne, die mit Worten, etwa breite Farbpalette, nur dürftig beschrieben ist.

Soddy greift zum Mikrofon

Natürlich fragt man sich in Rotas Suite spätestens beim Einsatz des Drumsets samt Uff-tha-uff-tha-Rhythmik und Rauschejazzbesen auf der Snaredrum, ob Soddy jetzt seine wahre (Easy Listening)-Seele zeigen, gleich Crooner-mäßig das Mikrofon in die Hand nehmen und mit den Stimmbändern loslegen wird.

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Aber nein. Erst am Ende des Konzerts und dem stürmischen Beifall tut er es - doch nur, um sein ehemaliges Instrument, das NTO, über den grünen Klee zu loben und - in Anwesenheit des Kulturbürgermeisters - reichlich Promotion zu machen. Und um die Zugaben anzusagen: John Barrys „Out of Africa“-Musik und das berühmte „Love Theme“ von Ennio Morricone, eine Art Klarinetten-Arie, in der Patrick Koch mit wunderschönem Ton die Einsamkeit der Seelen in den Weiten unbeseelter Welten beschwört. Schöner geht’s nicht.

Ein Abschied und ein Neuanfang

Jetzt geht er also endgültig. Als GMD ist Soddy ja schon vor einem Jahr (nach Wien) gezogen, nun gibt er den Chef bei den Akademiekonzerten auf. Sein Nachfolger, Roberto Rizzi Brignoli (RRB), ist ein ganz anderer Typ. Auf englische Ordnung und in gewisser Weise auch Unaufgeregtheit folgt (norditalienisches) Temperament und Drama, das Rizzi Brignoli neulich im Interview so formulierte: „Meine Klangidee ist extrem dramatisch, mit viel Spannung und Ausdruck in jeder Note - egal ob sie nur begleitet oder gezupft wird von einem Kontrabass oder einer Harfe.“ Ganz klar: Das wird eine Umstellung werden. Für uns, das Publikum. Und für die Musikerinnen und Musiker (die RRB auch unbedingt haben wollten). Da bleibt nur eins: Benvenuto, signor Rizzi Brignoli! All the best in Vienna, Mr Soddy!

Heute, Dienstag, 20 Uhr wird das Konzert wiederholt.

Nächstes Akademiekonzert: 3./4. Juli (Info: 0621/260 44).

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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