Literatur - Jörg Magenau hat eine Doppelbiografie der eigenwilligen Brüder Ernst und Friedrich Georg Jünger geschrieben

Zwei Brüder - ein Geist

Von 
Wolf Scheller
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Ernst Jünger (rechts, hier mit seinem Bruder Friedrich Georg) war Schriftsteller und Philosoph. Er wurde 1895 in Heidelberg geboren.

© DLA-Marbach

Ernst Jünger war sehr viel mehr als eine Symbolfigur der Nationalkonservativen in Deutschland. Und sein jüngerer Bruder Friedrich Georg, als Schriftsteller und Vordenker der ökologischen Bewegung weit weniger bekannt, dürfte heute seine Leser eher im graswurzelgrünen Bereich finden als bei der Rechten. Die Brüder standen zeitlebens in enger Verbindung miteinander, auch wenn das Verhältnis durch die zweite Ehe, die Ernst Jünger bald nach dem Tod der ersten Frau schloss, vorübergehend getrübt wurde.

Derlei Erkenntnisse verdanken wir der Doppelbiografie von Jörg Magenau, der als ehemaliger Zeitungsjournalist durch ähnliche Arbeiten über Günter Wallraff und Martin Walser bekanntwurde. Mit seiner jüngsten Arbeit begibt sich Magenau gewissermaßen in vermintes Gelände, denn auch heute noch gilt der fast 103 Jahre alt gewordene Ernst Jünger vielen als kaltherziger inhumaner Exponent einer den Krieg und seinen Schrecken verherrlichenden Literatur.

Diesem einschränkenden Missverstehen eines der bedeutendsten Schriftsteller der Moderne hat sich Magenau auf elegante Weise entzogen, indem er, gestützt auf ausgiebige Recherchen, munter über Leben und Werk der beiden Jünger-Brüder erzählt und sich von zeitgeistverhafteten Urteilen fernhält. Auf diese Weise erfahren wir eine Menge aus dem privaten Umkreis der Brüder, die sich immer viel zu sagen hatten, häufig gegenseitig besuchten, über lange Strecken auch zusammengewohnt haben, gemeinsame Reisen unternahmen. Gleichwohl wurde der Ältere unter Zeitgenossen so berühmt, wie man es als Schriftsteller nur sein kann, während der Jüngere nach seiner schweren Verwundung im Ersten Weltkrieg und dem Jurastudium als Lyriker nur einem kleineren Kreis vertraut war und sich erst mit seinem Buch "Perfektion der Technik" (1946) als literarischer Kritiker der modernen Fortschrittsgläubigkeit etablieren konnte.

Ernst Jüngers Visionen

Obschon die Geistesverwandtheit und politische Übereinstimmung zwischen beiden nie in Zweifel stand, kommt ein wichtiger Unterschied nicht so resolut zur Sprache. Ernst Jünger ist der Autor eines bestimmten Blickes auf die Welt, seine in der zweiten Lebenshälfte erkennbare Sehnsucht nach Wüsten und Urwäldern, seine Visionen und seine Lust am Abenteuer hatte im Blickfeld des jüngeren Bruders keine Entsprechung. Magenau geht davon aus, dass Friedrich Georg den Visionen des Bruders "etwas Entscheidendes" hinzugefügt habe, "den ökologischen Aspekt". Aber dafür hat sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg kaum jemand interessiert. Und als die Zeit dafür reif war, scheute ihr "Geist" davor zurück, sich auf das Werk eines Bruders von Ernst Jünger zu berufen.

Magenau bleibt in seinem Urteil über Friedrich Georg Jünger hochgestimmt: Die "Perfektion der Technik" stehe in einer Reihe mit der "Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer oder den Überlegungen von Günther Anders und André Gorz. All dies müsste der Leser dieser Doppelbiografie vermutlich erst noch nachprüfen. Leichter hingegen fällt es dem Biografen, Stimmungsbilder aus der Frühzeit der beiden Jünger-Brüder zu vermitteln. Die Jahre der Kindheit, der Adoleszenz im bürgerlichen Milieu unter der strengen Regie des Vaters, eines Apothekers. Die Schuljahre mit unterschiedlichem Erfolg, Ernst, der Empörer, der sich in Frankreich zur Fremdenlegion meldet, nach Afrika geht und mit Mühe vom Vater zurückgeholt wird.

Der hochdekorierte Soldat

Ernst und Friedrich Georg - der Jüngere eifert dem Älteren nach - treffen sich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, der Ältere wird an dessen Ende mit dem Pour le Mérite hochdekoriert. In der Zwischenkriegszeit die gemeinsame Erfahrung der Boheme - und dann nach 1933 die gefährliche Entschiedenheit, mit der sich Ernst Jünger den nationalsozialistischen Machthabern verweigert und damit auch im privaten Bereich die Geltung seiner Moral durchsetzt. Beider Erschütterung über die Gräuel der von Deutschen verübten Verbrechen. Schließlich die Todeserfahrung auch im engsten Familienkreis. Die jüngeren Geschwister sterben alle vor Ernst.

Zu dem Verdienstvollen dieser Biografie darf man auch den Leseeindruck zählen, dass es Magenau gelungen ist, sich seinem Sujet unvoreingenommen zu nähern und sich nicht von rechten oder linken Meinungssoldaten beeinflussen zu lassen.

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