Heidelberg. Wer sich im Heidelberger Stadtteil Handschuhsheim auskennt, wird das pittoreske Anwesen auf Seite 18 von „Karikaturen und Bildergeschichten“ erkennen: Das zweiseitige Beinahwimmelbild „Volles Haus“ zeigt die Heimstätte, in der die hochrenommierte Karikaturistin und Zeichnerin Marie Marcks bis zu ihrem Tod 1914 gelebt, gearbeitet und fünf Kinder großgezogen hat.
Das runde Tor von der Handschuhsheimer Landstraße zum Innenhof öffnet den Blick auf ein buntes Treiben zwischen Familienleben und Arbeit. Rechts davon erahnt man nur den vermeintlichen kleinen Laden, dessen wechselnder Schaufensterinhalt aufmerksame beziehungsweise kunstsinnige Passanten jahrzehntelang unterhalten, angeregt oder nachdenklich gemacht hat.
Ideales Last-Minute-Weihnachtsgeschenk
Am 25. August 2022 wäre die gebürtige Berlinerin 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat ihre langjährige Weggefährtin und Verlegerin Antje Kunstmann eine wunderbare Werkausgabe veröffentlicht – ein ideales Last-Minute-Weihnachtsgeschenk zum Entdecken und Wiederentdecken der bedeutendsten Karikaturistin der Bundesrepublik.
Nicht nur für Freunde von Satire und Karikatur, sondern fast noch mehr für zeit- und kulturgeschichtlich Interessierte und vor allem für Feministinnen und Feministen.
Die mit 58 Euro äußerst preiswerte Ausgabe besteht aus zwei etwa 220-seitigen Bänden ungefähr im DIN-A4-Format: „Karikaturen und Bildgeschichten“ versammelt nach acht Themen geordnet quasi die „Greatest Hits mit einem instruktiven Vorwort von F.W. Bernstein und einem Gespräch mit der Hauptdarstellerin zum Schluss. Hochinteressant ist der Mix aus Bild und Wort im zweiten Band „Marie, es brennt! Autobiographische AufZeichnungen 1922-1968“.
Diesen beschließt Herausgeberin Antje Kunstmann mit einem persönlich gehaltenen, sehr lesenswerten Nachwort. Typisch für ihren Verlag: Allein haptisch ist der Umgang mit den beiden Büchern ein großes Vergnügen.
„Sie hatte die Gabe, den Zumutungen des Alltags das Komische abzugewinnen“, schreibt die Münchner Verlegerin über Marie Marcks. Das gilt auch für das Politische, das die Wahl-Heidelbergerin lange unter anderem für die Süddeutsche Zeitung“ karikaturistisch begleitet hat. Ihr klarer Blick auf Ungerechtigkeiten, auch in Hierarchie- und Geschlechterverhältnissen, war völlig unideologisch, eher pragmatisch und lebensklug. Aber getragen von Haltung. Eine Perspektive, die den identitätspolitischen Gefechten unserer Zeit sehr guttäte. Wohl deshalb empfiehlt der „Spiegel“ diese Ausgabe als Geschenk „Für Mütter und Töchter, die über Alice Schwarzer streiten“.
Info: „Die große Marie Marcks“. Kunstmann Verlag, 448 Seiten, 58 Euro.
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