Hintergrund - Der Mannheimer Xavier Naidoo wird am Samstag 50 Jahre alt und hat sich längst ins Abseits der Gesellschaft rechter Verschwörungsideologen manövriert – wie kam es dazu?

Xavier Naidoo wird 50 - in Mannheim ist kaum jemandem nach Feiern zumute

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Teilt sein Rampenlicht mit den falschen Leuten: der Mannheimer Ex-Popstar Xavier Naidoo. © Alexandra Wey/Keystone/dpa

Mannheim. In Heidelberg läuft ab heute eine Art Festwoche zur Feier des 50. Geburtstags von Deutschrap-Wegbereiter Torch. Wenn am 2. Oktober für Xavier Naidoo dieses Jubiläum ansteht, werden sich die Feierlichkeiten in Mannheim in Grenzen halten. Viele legen gerade erst die Protestplakate gegen sein vom 9. Oktober auf 2022 verlegtes Konzert in der SAP Arena auf Wiedervorlage. Die Stadt hat sich schon 2014 von ihrem wohl berühmtesten Sohn distanziert. Alte Freunde und Weggefährten haben seit Ewigkeiten nichts von ihm gehört. Geschäftsbeziehungen wie etwa zu Michael Herberger oder dem All-Star-Projekt Alive & Swinging werden stillschweigend aufgelöst.

Als langjähriger Chronist dieser Karriere wird man permanent gefragt, wie es dazu kam, dass der vielleicht wirkungsmächtigste deutscher Popstar seiner Generation heute mit rechten Verschwörungsraunern im Abseits steht: „Wann ist Xavier Naidoo falsch abgebogen“, brachte ein „Spiegel“-Redakteur diese aus der Außenperspektive wohl zentrale Frage auf den Punkt.

Vom Superstar zum Problemfall

Xavier Naidoo wurde am 2. Oktober 1971 in Mannheim geboren. Nach dem regionalen Erfolg als Hauptdarsteller im Musical „Human Pacific“ schaffte der Sänger mit dem Album „Nicht von dieser Welt“ 1998 den Durchbruch. Kurz darauf realisierte er, sein lange geplantes Bandprojekt Söhne Mannheims zu aktivieren. Bis 2016 gelangen ihm solo mit den Söhnen und dem Duo Xavas elf Nummer-eins-Alben.

Seit 2011 nehmen Vorwürfe zu, Naidoo verbreite rechtspopulistisches, antisemitisches oder homophobes Gedankengut. In der Folge führte 2015 ein Proteststurm zur Rücknahme der Direktnominierung Naidoos für den Eurovision Song Contest. 2017 hagelte es für das Söhne-Lied „Marionetten“ Kritik bis in Regierungskreise. Ein als rassistisch verstandenes Video führte 2020 zu seinem Rauswurf bei der CastingshowDSDS. Danach distanzierten sich viele lange loyale Weggefährten.

Sein heiliger Ernst

Aus Mannheimer Sicht ist die Antwort kompliziert: Denn in seinem eigenen Verständnis war dieser Weg immer gerade, und dass das alles „Nicht von dieser Welt ist“, hat er schon 1998 im gleichlautenden Titel seines Debütalbums signalisiert. Von Anfang an polarisierte er im Licht der Öffentlichkeit mit seinem sehr individuell geprägten Glauben an Gott. Mit dem er begründete, warum er keine Autogramme gab, Preise nicht annahm und Mannheim für das neue Jerusalem hielt.

Das war nie eine PR-Masche, wie manche Kritiker meinten, sondern heiliger Ernst. 2001 outete sich Naidoo bei einer Bibellesung im Heidelberger DAI als Weltuntergangsprophet, Mannheim ist für ihn eine auserwählte Stadt, die am Jüngsten Tag gerettet wird - auch mit seiner Hilfe, in einer Rolle zwischen Prophet und Erzengel. Zumindest in seiner Welt.

Diese Vision hatte er schon gut zehn Jahre vorher, als ihm auffiel, dass der heilige Berg Zion der Heiligenberg sein muss. Dass der in Heidelberg liegt - derlei störende Fakten klammert der Sänger bis heute konsequent aus. Stattdessen suchte er in der Tradition des „Bibel-Codes“ nach durch Zahlen verschlüsselten Botschaften. Das Faible für esoterische Schnitzeljagden lässt ihn heute in Fridays For Future die Zahl des Teufels 666 erkennen - weil F der sechste Buchstabe des Alphabets ist. Wie kommt man zu solchen Einsichten? Anfangs im Stil mittelalterlicher Mystiker: Nicht schlafen, fasten, dazu Marihuana-Konsum in einem Ausmaß, das ihn Ende 2000 fast ins Gefängnis gebracht hätte.

Längst stellt er auch öffentlich unser ganzes Weltbild in Frage und hat viele prominente Kollegen in Kontexten wie der Show „Sing meinen Song“ damit verblüfft, als er ihnen beweisen wollte, dass die Erde eine Scheibe sei. Die fragten dann am Ende von Interviews gerne unsereinen, ob er das ernst meinen würde. Sicher sein konnte man da nicht - auch Naidoos Humor ist oft skurril.

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Dass der Sänger heute als staats-, demokratie- und wissenschaftsfeindlich gilt, Corona-Masken wutentbrannt wegschleudert und in Videos die Gesellschaft von Hooligans und muskelbepackten Rockern sucht, hat eine Ursache: Er ist in vielerlei Hinsicht vor der Aufklärung stehengeblieben, quasi ein mittelalterlicher Mensch mit tiefem Misstrauen gegen Politiker, Parteien und - im Stil der Trump-Anhänger - dem tiefen Staat. Das äußerte er auch in unserem letzten großen Interview 2010, in dem am Rande erste Aussagen zu einer Kindstöter-Sekte im Stile des Falles Dutroux fielen. Ein Vorläufer des als homophob kritisierten Xavas-Hidden Tracks von 2012 und -von populären Verschwörungsfantasien wie Pizzagate oder Quanon.

Attribute wie rechtsextrem, Reichsbürger-affin oder antisemitisch gehen aber am Problem vorbei. Für Naidoo gibt es kein Links und Rechts, nur Oben und Unten - Hauptsache, das Verhältnis zu Gott stimmt. Was man von seinen politischen Analysen zu halten hat, beantwortet sich damit von selbst.

„Worin besteht überhaupt das Problem? Was hat er denn gemacht? Es gilt doch Meinungs- und Kunstfreiheit“, fragen trotzdem immer noch viele Mannheimer - weil er unbestritten glänzend singt, großzügig und respektvoll ist, lange sehr viel für seine Heimatstadt getan hat. Alles begann, als Naidoo 2011 im „Morgen Magazin“ der ARD die Souveränität der Bundesrepublik in Frage stellte. Vorher wäre niemand auf die Idee gekommen, ihn in die rechte Ecke zu stellen. Das Kind einer Flüchtlingsfamilie, die nur dank eines jüdischen Onkels nach Mannheim kam. Einen Künstler, der vor rund 20 Jahren im Osten mit Udo Lindenberg gegen Rechte Gewalt tourte und als Teil der Brothers Keepers den antirassistischen Hit „Adriano“ prägte (was er heute eine Jugendsünde nennt, zu der er „vergewaltigt worden sei - mit fast 30).

Das ließ die Vorwürfe lange absurd erscheinen und sicherte ihm zusammen mit seinem Talent und großer Kollegialität die Loyalität der Musikszene, von Fernsehsendern und Fans. Und es übertönte das deutschtümelnde, sektiererische Geraune in einigen Texten.

Kein Telegram mehr von X

Wenn es einen Wendepunkt gab, waren es die Auftritte am 3. Oktober 2014 bei Demos vor teilweise rechtsextremem Publikum. Da entstanden Kontakte, etwa zum Rechtsausleger-Magazin „Compact“, das ihn inzwischen zum Querdenker-Idol gemacht hat. Dass Naidoo seitdem zunehmend Leuten, die seine Eltern wohl niemals ins geheiligte Deutschland gelassen hätten, seine im Mainstream-Pop erarbeitete Reichweite auf einem nach ihm benannten Telegram-Kanal oder via YouTube gibt, ist unentschuldbar. Und seine rassistischen Äußerungen, die 2020 zum Rauswurf bei der RTL-Show „DSDS“ führten, haben auch der Solidarität von Künstlerfreunden wie Kool Savas, Wolfgang Niedecken, Michael Mittermeier oder Jan Delay ein Ende gesetzt. Letztere vermuteten in Interviews mit dieser Redaktion, dass Naidoo und Co. schlichtweg Hilfe bräuchten.

Vielleicht muss man diese einzigartige Einmann-Querfront gar nicht mehr so ernst nehmen: Wie die Popularität seiner Musik bröckelt auch der Status als Aushängeschild und multikulturelles Deckmäntelchen einer Gegenöffentlichkeit, die kleiner, aber immer radikaler wird. Weil der von zwei Administratoren geführte Naidoo-Telegram-Kanal Mitte Juli plötzlich umbenannt wurde und er selbst dort keine Inhalte mehr teilt, wie Extremismusforscher Josef Holnburger beobachtet hat: „Die Gefahr, die von ihm ausgeht, wird dadurch geringer. Aber man muss abwarten, was passiert, wenn er seine Auszeit beendet.“

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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