Wiesbaden. „Willst du ein Museum bauen oder nicht?“, fragte der Architekt Fumihiko Maki seinen Freund Reinhard Ernst, der am zweiten Besprechungstag hundemüde war. Aber Maki hatte noch viel zu bereden. Jetzt erzählt Ernst diese Anekdote, die typisch für Maki und auch für Ernst ist, der sich von der Liebe des Japaners für Details anstecken ließ. Am Sonntag wird das Museum von Ernst eröffnet, nach drei Jahren Planung und fünf Jahren Bauen.
„Jeder Raum im Museum ist anders“, erklärt Direktor Oliver Kornhoff diese lange Zeit. So geht es von der 14 Meter hohen „Kathedrale“ zum Kasten mit 20-Meter-Bild. Diese ungleichen Räume halten den Besucher rege – wenn er nicht vor lauter Staunen den Inhalt vergisst, die abstrakte Kunst nach 1945.
Abstraktes lässt Raum für Vorstellungskraft der Betrachter
„Farbe ist alles“, lautet das Motto. Bei abstrakter Kunst, so der 78-jährige Ernst, ist der Betrachter frei in seinen Ideen, er kann sich vorstellen, was er will. So entpuppt sich das Haus als Gewinn für die Kunst – die Tickets für Sonntag sind alle weg. Bleibt nur das Warten auf den ersten regulären Tag am 25. Juni. Ohnehin ist vormittags nur für Kinder und ihr Farblabor offen.
Rund 60 Werke sind in der ersten Sammlungsschau zu sehen, die nach zwei Jahren wechselt. Die Sammlung, über 40 Jahre aufgebaut, umfasst rund 1000 Bilder und Skulpturen aus Europa, den USA und Japan. Sie wuchs im Verborgenen und ist der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. Nun verrät die kleine Auswahl die Freude an Farben, Formen und Fantasien.
Die Schau läuft über zwei Etagen und 1700 Quadratmeter. In der „Kathedrale“ deutet sich an, wie Maki mit „geliehenem Licht“ von oben arbeitet. Das fällt auf Morris Louis’ Bild „Loom“ von 1959 mit zweierlei Rottönen, dazwischen die pure Leinwand. Im Kapitel „Gegen den Strich“ indes geht es um die Bewegungen der Maler und der Besucher zum Verständnis der Bilder. Weitere 300 Quadratmeter gibt es für Sonderschauen – hier wird Fumihiko Makis Wirken geehrt, der 95-jährig kurz vor Eröffnung seines zehnten Museums starb.
Bau aus vier Kuben schon als „Zuckerwürfel“ bekannt
Das Museum lebt von vielen Besonderheiten, sagt Ernst. Der Akustikputz im Vortragssaal erweist sich beim Pressegespräch als ideal. Schön sind auch die Treppen aus dunklem Eichenholz, deren Kanten hell abgesetzt sind – zwei Beispiele für technische und ästhetische Perfektion. Und der Bau aus vier Kuben mitsamt großem Atrium, das im Haus für viel natürliches Licht sorgt, ist schon als „Zuckerwürfel“ bekannt.
Reinhard Ernst hat das Geld aus zwei Firmen in eine Stiftung gesteckt, die das Museum und soziale Einrichtungen für die Zukunft absichern. Das Museum kostet den Steuerzahler also keinen Cent, die Stadt hat das Grundstück nur verpachtet. Ernst ließ das Haus für 80 Millionen Euro bauen. Auch den Betrieb des Museums und die Sammlungserweiterung trägt die Stiftung.
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