Musiktheater

Wie sich der NTM-Start auch für die Formel 1 qualifiziert

Das internationale Opernensemble des Nationaltheater Mannheim eröffnet die erste Sanierungsspielzeit in der Baumhainhalle des Mannheimer Luisenparks

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Ende mit dem unvermeidlichen „Libiamo …“ aus „Traviata“: Seunghee Kho, Estelle Kruger, Solocellist Fritjof von Gagern, Irakli Kakhidze und Ilya Lapich. © Maximilian Borchardt

Nein, das ist zwar kein Ort für unvergessliche Momente des Operngenres. Auch ist es sicherlich kein Saal, dessen Akustik den Musikern und Sängerinnen auf der Bühne hilft; dazu ist das alles zu trocken und nüchtern hier. Doch der Start des Orchesters und Opernensembles vom Nationaltheater Mannheim in die erste Sanierungsspielzeit darf in der Baumhainhalle dennoch als geglückt gelten, mehr: als Erfolg, weil der Abend musikalisch und auch durch die Moderation von Opernintendant Albrecht Puhlmann einfach lässig und mit Qualität über die Bühne geht.

Eigentlich war alles ja als Wiederholung des charmanten Ope(r)n Airs der vergangenen Jahre auf der Seebühne geplant. Die kühle und feuchte Witterung zog dem einen Strich durch die Rechnung. Die Baumhainhalle im Luisenpark erweist sich dann aber doch als mehr denn nur als Notnagel. Andernorts diskutiert man über den Tod der Kultur. Hier lauschen immerhin 900 (von 1000 möglichen) NTM-Fans konzentriert einem Gala-Abend mit Ouvertüren, Zwischenmusiken und Arien aus rund 125 Jahren Operngeschichte von Mozart bis Massenet. Puhlmann hatte ja bereits im Vorfeld klar gemacht, er könne sich ein häufigeres Gastieren im Luisenpark vorstellen, auf der Seebühne freilich vor allem im Sommer, aber auch die Baumhainhalle sei „kein schlechter Ort“.

Puhlmann moderiert charmant

Der aber hat freilich einige Tücken: So muss etwa allein die (sich an diesem Abend ohnehin nicht in Bestform befindende) Streicherbesetzung auf der schmalen Bühne sehr klein gehalten werden, was, wie man schon zu Beginn in der Ouvertüre zu „Le nozze di Figaro“ hört, Mozart weniger schadet, dafür aber freilich umso mehr größer besetzten Werken wie Massenets „Don Quichotte“ oder Verdis „La forza del destino“, weil der Streicherapparat als Kitt für die vielen Bläser kaum noch funktioniert und sich so etwas wie romantischer Schmelz nicht einstellen kann. Kehrt man den Nachteil indes zum Vorteil um: Es sind unter dem Dirigat von Kapellmeister Janis Liepins wundervolle Dinge zu hören, groovende Fagott-Linien, mäandernde Klarinetten und Oboen oder auch parlierende Flöten, die mit größerer Streicherbesetzung weniger durchdrängen.

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Und sängerisch funktioniert der von Puhlmann locker, spannend und charmant moderierte Abend mit dem internationalen Ensemble ohnehin bestens. Zurecht den größten Erfolg darf Bartosz Urbanowicz mit seiner Bartolo-Arie aus Rossinis „Barbier“ verbuchen. Zum einen schafft er mit dem „Signorina, un altra volta …“ die Qualifikation fürs Finale des nächsten Formel 1-Rennens; die Arie enthält das schnellste Buffo-Plappern der Operngeschichte. Zum andern überzeugt er durch komödiantisches Talent, das einen Ort und Zeit vergessen lässt – das schöne Bassbariton-Timbre sowie seine emphatische Gestaltung kommen obendrauf.

Seunghee Kho legt aber mit der Gräfinnen-Arie aus Mozarts „Figaro“ auch gleich die Latte hoch. Kontrolliert und konzentriert in der Tongebung, gestaltet sie das „Dove sono i bei momenti“ in perfekter klassischer Stilistik, bei der ihr Sopran fein und edelmetallisch schimmert. Antwort erhält sie umgehend von Ilya Lapich, dessen Bariton dem „Vedrò, mentre io sospiro“ Glanz und – cum grano salis – (Selbst)-Herrlichkeit verleiht. Die Koloraturbegabung Estelle Krugers ist bekannt. Einmal mehr unterstreicht die Sopranistin sie mit Marguerites Arie „Ô beau pays“ aus Meyerbeers „Les Huguenots“, wobei sie nach dem gelungenen Solo der neuen Soloflötistin Anissa Baniahmad die melismatischen Koloraturen immer in sattem Legato nimmt und nie in ein die Töne vereinzelndes Portato verfällt. Sung Has folgende Gemeinheit „Pif Paf Pouf“ gelingt dem Bassisten mit der innovativen Begleitung Meyerbeers genau so überzeugend und expressiv wie später Jelena Kordic die Hosenrollen-Arie „Il segreto …“ aus Donzettis „Lucrezia Borgia“. Bleiben Evez Abdulla und Irakli Kakhidze. Die beiden bestreiten gleich einen ganzen Programmteil mit Arien und einem Duett aus „La forza del destino“, und natürlich überwältigt Kakhidze wieder mit seinem strahlenden und dynamischen Tenor in „La vita …“, während Abdulla in „Morir! …“ vor allem mit den dunklen und gedeckten Farben seines Baritons wuchert.

Schade eigentlich, dass so ein gefeierter Gala-Abend nicht mehrmals gegeben wird, wo doch das Orchester und die Sängerinnen und Sänger, bevor es in drei bis vier Wochen mit Ex-Generalmusikdirektor Alexander Soddy zum „Ring“-Gastspiel nach Südkorea geht, in den kommenden Tagen für die metropolitanische Öffentlichkeit kaum mehr in Erscheinung treten als durch ein doppeltes Akademiekonzert und Kammermusikabende in Schwetzingen.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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