Klassik - Roberto Rizzi Brignoli dirigiert das Nationaltheaterorchester mit Schuberts „Tragischer“ und Beethovens „Heroischer“

Wie Roberto Rizzi Brignoli und das NTO unerträgliche Leichtigkeit produzieren

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Derzeit oft in Mannheim zu Gast: der Generalmusikdirektor am Teatro Municipal de Santiago de Chile Roberto Rizzi Brignoli im Rosengarten. © Manfred Rinderspacher

Dieser Mann steht in letzter Zeit auffällig oft am Pult des Nationaltheaterorchesters (NTO). Die Anmerkung könnte deshalb wichtig sein, weil das Nationaltheater unter Druck nach einem Nachfolger für Alexander Soddy sucht. Mannheims noch ziemlich exakt zweieinhalb Monate lang amtierender Generalmusikdirektor sucht dann das Weite und wird nach sechs Jahren ein gut sortiertes, diszipliniertes und hochmotiviertes Orchester hinterlassen, das auf allen Positionen gut dasteht. Kein Zweifel: Mit der „Götterdämmerung“ am 30. Juli wird eine exzellente Phase fürs NTO und Soddy enden.

Roberto Rizzi Brignoli dürfte einer der gehandelten Nachfolger sein. Der Italiener, dessen Alter man auch nach längeren Recherchen im weltweiten Web und Nachfragen beim Management nicht herausbekommt („da diese Informationen unter den Datenschutz fallen, müssen wir erst das Einverständnis des Künstlers einholen“ – der Nein sagt) – er dirigierte zuletzt schon die „Freischütz“-Premiere am Goetheplatz. Dass der als Spezialist fürs italienische und französische Opernrepertoire geltende Mann nun geballt typisch „deutsches“ Repertoire in Mannheim dirigiert, ist schon auffällig. Auch im 7. Akademiekonzert steht im Mozartsaal des Mannheimer Rosengartens neben dem Österreicher Franz Schubert ein deutsches Heiligtum: Beethoven mit seiner „Eroica“. Man könnte schon auf den Gedanken kommen, dass mit der Trias Weber-Schubert-Beethoven ein Beweis erbracht werden soll.

Dann eines gleich vorweg: Roberto Rizzi Brignoli ist ein solider und agiler Kapellmeister, der das NTO mit sehr vielen dirigentischen Gesten steuert, der mitunter kleinste metrische Einheiten schlägt und dabei sehr beweglich, elastisch, fast nervös agiert. Kein Zweifel: Er schafft Ordnung und Transparenz. Ein Revolutionär der Interpretation ist er indes nicht, niemand, der Extreme sucht, herausstellt und sich auf eine aufreibende dialektische Suche nach der deutenden Wahrheit begibt.

Letztes Akademiekonzert

  • Termin: 13./14. Juni, 20 Uhr im Rosengarten-Mozartsaal.
  • Programm: Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 2 c-Moll „Auferstehung“.
  • Besetzung: Anne Schwanewilms (Sopran), Okka von der Damerau (Mezzosopran), Orchester, Chor und Extrachor des Nationaltheater Mannheim, Dirigent Alexander Soddy.
  • Info: Restkarten regulär zu 15/24/33/39 und 48 Euro, mit MorgenCard zu 15/21,60/28,80/35,10 und 42,30 Euro (Telefon: 0621/260 44 und im Netz: musikalische-akademie.de).

Breite statt Staccatissimo

So klingen Schuberts Ouvertüre zur „Zauberharfe“ und seine „Tragische“ 4. Sinfonie c-Moll überaus kultiviert und elegant. Rizzi Brignolis große Stärke ist es, das Orchester zu einer blühenden Melodik und Sanglichkeit zu verführen. Holzbläser strahlen, Streicher schwelgen, bisweilen, etwa im Allegro vivace der Sinfonie, tänzelt nicht nur Rizzi Brignoli mit den federleichten Achtelauftakten des Hauptthemas, sondern auch die Streicher und Bläser des NTO. Alles zusammen führt zu einem feinen und edlen Schubert-Sound, der schwebt und eine schier unerträgliche Leichtigkeit des Traurig-Seins verbreitet, bei der wir auch Bedauern darüber spüren, dass uns von den mehr als zehn vollendeten Bühnenwerken Schuberts quasi nie etwas auf den Opernbühnen des Landes begegnet.

Bei Beethoven ist Rizzi Brignolis musikalisches Zentrum im Lyrisch-Melodischen noch augen- oder besser: ohrenfälliger. Gleich bei den ersten beiden Es-Dur-Akkorden der 3. Sinfonie wird deutlich: Die Reise geht in eine andere Zeit, in die Vergangenheit. Wo in Partituren Staccato oder gar Staccatissimo, also ein scharfes Abstoßen des Klanges steht, spielt das NTO plötzlich breite, wuchtige Akkorde, was sich im folgenden auch durch das Allegro von brio durchzieht. Allein das Tempo mit etwa 144 auf die Viertel ist sehr langsam. Es gibt von Beethoven die Angabe 60. Aber auf den ganzen Dreiertakt! Simon Rattle macht das auf etwa 58, Herbert von Karajan sogar noch auf 52. Rizzi Brignoli befindet sich auf Otto-Klemperer-Niveau: 48 (144:3). Logisch: Er muss Viertel dirigieren.

Was dabei entsteht, ist ein lyrisch ausgewogener, doch allzu gediegener Beethoven, ein bisschen klingt er bequem und – wenn man böse sein will – wie fürs Wohnzimmersofa. Dem grimmigen Revolutionär fehlt die umstürzlerische Kraft, das Subversive, Systemsprengende. Am meisten fällt das an den dramatischen Spitzen auf, die zu harmlos vor sich hinschnurren. Selbst der sechsfach hemiolisch gehämmerte dissonante Quintsextakkord gerät da nicht zur unfassbaren musikalischen Kampfzone. Er klingt eher komfortabel.

Beethoven macht keine Angst

Den zweiten Satz, auch schlicht als „Trauermarsch“ bekannt, nimmt Rizzi Brignoli dagegen in mittlerem Adagio-Tempo. Es zeigt sich auch hier sein tiefes Gespür für die Schönheit von Motiven, Figuren und Themen, die das NTO wirklich mit viel Liebe und Seele spielt. Alles scheint logisch und homogen. Doch scheint wieder eine ganze Dimension zu fehlen, das Tiefe, Dunkle, die zerstörerische Kraft, als könne man direkt zu den Sternen (ad astra), ohne Umweg durchs Raue (per aspera). Das alles ist freilich auf hohem Niveau zu hören, klanglich und musikalisch sehr gut (erfreulich, wie präsent und perfekt die Hörner im Scherzo-Trio musizieren). Doch Angst macht dieser Beethoven nicht, auch nicht in den fantastischen Variationen am Ende, die sich (symptomatisch?) zu viel in dynamischen Grauzonen bewegen.

Einen schönen Abend erleben die herzlich applaudierenden Gäste dennoch. Aber soll Kunst nicht mehr geben als nur schöne Abende?

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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