Enjoy Jazz

Wie Lukas DeRungs das Chaos als kosmische Ordnung erscheinen lässt

Mit der Uraufführung seiner "Kosmos-Suite" gastierte Lukas DeRungs bei Enjoy Jazz in der Mannheimer Konkordien-Kirche. In der Interpretation des Jazzchor Freiburg mit Jan Dittmann, Jonas Esser, Karim Saber und Laurence Wilkins faszinierte das Opus Magnum.

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Lukas DeRungs (links) mit seinem Quintett und dem Freiburger Jazzchor bei der Uraufführung seiner „Kosmos“-Suite in der Konkordienkirche Mannheim. © Stefan M. Dettlinger

Mannheim. Vielleicht ist der Titel hier einfach so sehr Programm und buchstäblich zu verstehen, dass er auch den Umstand erklärt, dass sich vieles in diesem erstaunlichen Werk von Lukas DeRungs erst mal nur als Ahnung einer noch nicht ganz fassbaren Ordnung anfühlt. Die in der Mannheimer Konkordienkirche jetzt uraufgeführte „Kosmos-Suite“, so etwas wie ein profanes Jazz-Oratorium, ist sicher etwas, das nicht sofort verstanden werden kann. Zu komplex. Zu opulent. Zu lang ist es dazu. Zum einen fasziniert das mit Jazzquintett und -chor farbigen Rausch und universelle Klangsprache versprühende Opus. Zum anderen spürt man immer wieder auch einen Hang zu Willkür, Patchwork, Collage, wie sie Komponisten wie Bernd Alois Zimmermann (1960 mit den „Dialogen“) hof- und konzertsaalfähig gemacht haben.

Im Detail gelingt hier dem Absolventen der Musikhochschule Mannheim immer wieder das Wunder, den Jazzchor Freiburg zum klassischen Jazzinstrumentarium Drums (Jonas Esser), E-Gitarre (Karim Saber), Kontrabass (Jan Dittmann), Flügelhorn (Laurence Wilkins) und Klavier (DeRungs) in strukturelle Zusammenhänge zu verstricken, will sagen: Der exzellent singende Chor aus dem Breisgau ist nicht nur Klangteppich- und Harmonielieferant fürs sensibel aufspielende Quintett. Er wird zur musikalischen Substanz selbst.

Unendliche Weite

Das ist keine Selbstverständlichkeit. So ziehen in der voll besetzten Kirche die Stile und Darstellungsformen über das Firmament wie Planeten und Sonnensysteme in Galaxien. Fusion, New Age, wilde Free-Explosionen, Modern, klassischer Jazzchorgesang und oratorische Tutti wechseln sich ab - und plötzlich überrascht DeRungs mit einem Ausflug in die franko-flämische Vokalpolyphonie: Als sei es ein Satz von Palestrina und Konsorten vertont er das „Here is no love that hides beneath its shoal“ (Hier gibt es keine Liebe, die sich unter ihrem Schwarm versteckt) in traditionellem Kontrapunkt und Imitationstechnik - und nicht nur der stilistische Wandel deRungs ist hier beeindruckend, auch, dass die Freiburger das alles auswendig singen. Leider ist der Satz nicht auf dem tollen Album, das überhaupt nur etwa halb so lang ist wie dieses Live-Konzert.

So wechseln sich also extrem intensive Einzelmomente ab mit einer Weite, in der das musikalische Material nicht ganz zwingend ist und nach Halt sucht. Ein Funke mehr Konzentration (wie auf dem Album) hätte gut getan. So aber bleibt immer noch ein exzellentes und gefeiertes Konzert, das in der Unendlichkeit des Alls nur noch ein paar Millimeter Raum bis zum Gipfel hat.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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