Gedenken

Wie Loriot die Nation beglückte - und übrigens auch die Kurpfälzer

Vor 100 Jahren wurde Vicco von Bülow alias Loriot geboren. Eine Nation rollt ihm mit Dokumentationen, Ausstellungen und Filmen den roten Teppich aus. Und die Kurpfalz erinnert sich an das heimliche Logo der Buga 1975

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Eine Szene aus „Loriots große Trickfilmrevue“ . © picture alliance/dpa/Salzgeber/ Studio Loriot

„Hildegard, sagen Sie jetzt nichts!“ Doch die Dame, Evelyn Hamann hieß sie im echten Leben bekanntlich, ist ohnehin sprachlos. Die Suppennudel wandert dem wenig charmant um sie werbenden Geschäftsmann ein Abendessen lang gänzlich unromantisch durchs Gesicht: „Man ist begeistert.“ Kein anderer Künstler konnte sich im deutschen Fernsehen so erfolgreich über peinlich-steife Begegnungen lustig machen wie Komik-Grandseigneur Vicco von Bülow alias Loriot. Zu seinem 100. Geburtstag rollt ihm eine ganze Nation mit TV-Dokumentationen, Ausstellungen, Büchern und Filmausstrahlungen nun den roten Teppich aus. Pardon, im unvergleichlichen Sprachduktus des Jubilars muss hier natürlich von „Auslegeware“ gesprochen werden.

Loriots „Jäger aus Kurpfalz“ war das Logo der Buga 1975. © siehe Bildtext

Ohne Übertreibung kann Vicco von Bülow, der am 12. November 1923 in Brandenburg an der Havel als Bernhard Victor Christoph Carl von Bülow, und somit in den – wie er sagte – „weniger bedeutenden Teil“ einer weit verzweigten preußischen Militär-, Beamten und Künstlerfamilie von Stand geboren wurde, in Sachen Humor als Wahrer der von Marcel Reich-Ranicki so vehement angemahnten Fernsehkultur gelten.

Loriot: Ein Herz für Umständliche

Über Jahrzehnte haben wir so manchen Abend, Loriot sei Dank, gemütlich auf der „Sitzgruppe“ gesessen und uns an seinen Knollennasen und Sprech- wie Spielkunststücken erfreut. Seine Weisheit ist auch zwölf Jahre nach seinem Tod noch unübertroffen, sein Blick auf deutsche Schrulligkeiten liebevoll („Ich esse es ja. Aber nicht unter falschem Namen!“). Ob „Apfel Helene“, „Kosakenzipfel“ oder Quietscheente, Loriot erwischt uns Müller-Lüdenscheidts und Hoppenstedts dort, wo wir uns am privatesten fühlen: im Restaurant, in der Badewanne, im Konzert und beim Textil- und Möbelkauf. Der pflichtbewusste Deutsche zwischen Verlegenheit und Anstand, Steifheit und Umständlichkeit ist in seiner biederen Humorlosigkeit wie Ordnungsliebe stets dankbares Opfer seiner schwungvollen Feder gewesen.

Humorist und Demokrat

Er sei dabei, so hieß es gelegentlich, zu wenig politisch gewesen. In der Talkshow „3 nach 9“ sagte Loriot 1979 im Gespräch mit Marianne Koch einst: Satire richte sich „grundsätzlich gegen die Macht“. In einer funktionierenden Demokratie liege die Macht aber beim Volke – deshalb sei seine Zielrichtung der Wähler und Bürger. „Und nicht diese paar Nasen da oben.“ Schade, dass er nicht Knollennasen sagte, sind diese doch bis heute das ikonische Erkennungszeichen seiner Zeichenkunst.

Loriot sitzt im Sketch „Der 70. Geburtstag“ auf dem legendären Biedermeiersofa. © Radio Bremen/dpa

Zum Zeichnen riet ihm übrigens sein Vater, ein Beamter, den er stets für den komischsten Menschen hielt, der ihm je begegnet sei. Dass der bodenständige Mann ihn nach dem Notabitur in den Kriegsjahren nicht zu Jura oder Medizin drängte, sondern zur Kunst ermunterte, dankte Vicco ihm ein Leben lang. Sein Talent zur Tusche war unübersehbar: „Mit dem Strich kannst du es weit bringen“, sagte sein Zeichenlehrer an der Hamburger Kunstakademie. Das Schlimmste hatte er da schon hinter sich: Er folgte zunächst der Familientradition, wurde 1941 Soldat und kämpfte als Offizier an der Ostfront. Seine einschneidendste Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg: „Die spätere beschämende Erkenntnis, das Grauen des Krieges hingenommen und eingeordnet zu haben.“

Sketche, Filme und Cartoons

Aufgewachsen ist Vicco von Bülow bei seiner Großmutter in Berlin, wo er 2011 auch begraben wurde. Zu seinem besonderen Ton, seiner gewählten, oft kunstvoll bis künstlich verschraubten Sprache mit all den Umständlichkeits- und Komikfallen fand er in diesem Gemisch der Welten besserer Stände: zwischen Adel, Beamtentum und älteren Herrschaften. Ein auffallend hoher Anteil an schrulligen Opernbesuchern, pensionierten Prokuristen, greisen Pianisten und verklemmten Lyrikern bevölkert seine Sketche, Satiren, Zeichnungen und Filme.

Die Grabstelle des Schauspielers Bernhard-Viktor von Bülow alias Loriot. © Soeren Stache/dpa

Die Zeiten änderten sich vehement. Dass sein Humor sich dennoch bis heute nicht überlebt hat, verdankt der brandenburgisch-mecklenburgische Edelmann seiner Beobachtungsgabe. Seine Altersgenossen trafen auf den einstigen Werbe-Zeichner bereits in den 1950er Jahren, als er für Magazine wie „Stern“ und „Quick“ arbeitete. Die heutigen Boomer sind dann mit „Wum und Wendelin“ groß geworden („Thöööölke“) und seinen „altmodischen Typen“ später dann im frühen Berufsleben noch live und in Farbe begegnet. Jüngere kennen seine Filme „Ödipussi“ (1988) und „Pappa ante Portas“ (1991)zumindest noch von Fernsehwiederholungen oder aus dem VHS-Kassettenschrank der Eltern und Großeltern.

Die von ihm beobachteten Typen muss man einfach liebhaben, weil sie sich so herrlich selbst im Wege stehen – ganz wie wir selbst. Für Lottogewinner, Restaurantbesucher oder Jodelschüler gilt: „Das sieht sehr übersichtlich aus“, „Da hat man was Eigenes!“ und „Das ist fein beobachtet.“: Seine aus korrekter Sprache trocken herausskelettierten Aussagesätze wie auch seine exzellent ausgearbeiteten Dialoge gehören längst zum Zitatenschatz deutscher Dichter und Denker.

Die Kunst, natürliche Alltagsaggression in vermeintlich harmlose Sätze mit bürgerlichem Anstrich zu verkleiden, ist entlarvend und komisch zu gleich: „Brrrigitte kommst du mal?“, „Mein Gott, wie ungeschickt!“, „Das ist mir neu“, „Herr Ober, dürfen wir Ihnen vielleicht etwas bringen?“

Männer und Frauen...

Häufig widmet sich Loriot dem bürgerlichen Verhältnis zwischen Mann und Frau. Seine Paare sind nach langen Jahren wohl mehr aus Gewohnheit, denn aus Liebe zusammen: „Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen.“ Aus harmlosen Missverständnissen und sich kreuzenden Kommunikationslinien entzünden sich dabei bizarre Streits, aus denen sich satirischer Nektar saugen lässt. Die Ehe könne gar nicht negativer geschildert werden, befand Loriot in einem Fernsehinterview: „Dass es komisch ist, macht es nicht besser, nur genießbarer.“ Seine eigene Ehe mit seiner Jugendliebe Rose-Marie Schlumborn, mit der er zwei Töchter hatte, hielt dennoch über Jahrzehnte. Erst lebte die Familie in Berlin, später dann in einer Villa am Starnberger See.

Loriot und die Oper

Der Zeichner, dem eine späte Fernsehkarriere beschieden war, galt als glühender Opernfreund. 1979 dirigierte er in einem Live-Sketch die Berliner Philharmoniker, er war Stammgast der Bayreuther Festspiele und ist auch als Opernregisseur in Erscheinung getreten („Der Freischütz“ in Ludwigsburg, „Martha“ in München). Durch seine Musikliebe wurde der launige wie kenntnisreiche „Ring an einem Abend“ auch in Mannheim zum angenehmen Pflichttermin für Opernfreunde, die ihre helle Freude an den freundlich erzählten, komplexen Ränken nordischer Götter haben. Deutsche Umständlichkeit ist eben auch mit viel Humor nicht kleinzukriegen.

Würdigungen

  • Das Bundesfinanzministerium ehrt den Schauspieler, Humoristen und Karikaturisten Loriot (1923-2011) Zum 100. Geburtstag mit zwei Sonderbriefmarken.
  • Die Doku „Loriot100“ von André Schäfer ist seit dieser Woche in der ARD-Mediathek verfügbar. Zur breiten Programmpalette gehören auch eine Podcast-Reihe, Sondersendungen sowie Wiederholungen seiner Kinokomödien.
  • Das Caricatura Museum in Frankfurt am Main zeigt bis 25. Februar 2024 laut eigener Auskunft „die große offizielle Ausstellung“ zum 100. Geburtstag unter dem Titel „Ach was! Loriot zum Hundertsten“.
  • In Brandenburg an der Havel, wo er 1923 zur Welt kam, eröffnet am 12. November die Schau „Heile Welt“ im Stadtmuseum. Bis 31. Mai 2024 erinnert die Sonderausstellung nach offiziellen Angaben „an ein ganz besonderes Kapitel seines Lebens“.

Apropos Mannheim: In Zusammenarbeit mit dem damaligen Bundesgartenschau-Pressesprecher Klaus E. R. Lindemann entsteht ein Buga-Maskottchen, das 1975 millionenfach auf Briefmarken, Aufklebern und T-Shirts zu sehen ist: Ein knollennasige Jäger aus Kurpfalz reitet im grünen Barockkostüm auf einer Flinte, aus deren Lauf eine Margerite lugt.

Das Ei ist hart

Loriot war kein Komiker, kein Comedian, kein Entertainer und schon gar keine Ulknudel. Vicco von Bülows Figuren sind – und nehmen sich –sehr ernst. Nichts steht eben dem Bemühen, ein Ei zu schälen, einen Antrag zu machen oder Ordnung ins Altpapier zu bringen mehr im Wege, als der selbst auferlegte Anspruch, es besonders richtig machen zu wollen. Der einzigartige Humorist und Satiriker Vicco von Bülow hat den Deutschen dabei nicht nur auf den Frühstückstisch, sondern auch tief in die bürgerliche Seele geblickt. Die Unzulänglichkeit des einst korrekten Deutschen, trotz anerzogenem Anstand Mensch sein zu dürfen, ist der Quell, aus der sich seine „von innen kommende Heiterkeit, die fröhliche Basis für das harmonische Miteinander“ stets nährte.

Da nützen weder Form noch Bildung, der Mensch ist eben nicht perfekt, doch dadurch keineswegs suboptimal. Für diese Erkenntnis sind dem Alltagshumanisten Vicco von Bülow Freunde seiner humoristischen Studien gängiger Umständlichkeiten dankbar. Bei Hosenkauf, Heiratsantrag oder Restaurantbesuchen scheitert der Mensch anständig an der Tücke des Banalen: an einem Kosakenzipfel, der Kalbshaxe Florida, wehenden Haarsträhnen, rutschenden Trägern, schief hängenden Bildern – und klebenden Nudeln.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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