Interview

Wie klassische Musik auch das junge Publikum erreichen kann

Benedikt Stampa ist der Intendant des Festspielhauses Baden-Baden, und richtet unter anderem das Takeover-Festival aus. Warum dieses viel mehr als Musikkonzerte bietet, verrät er im Gespräch

Von 
Georg Rudiger
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Benedikt Stampa ist Intendant des Festspielhauses Baden-Baden und Vorsitzender der Deutschen Konzerthauskonferenz. © Uli Deck/dpa

Seit 2019 ist Benedikt Stampa Intendant des Festspielhauses. Als solcher und als Vorsitzender der Deutschen Konzerthauskonferenz macht er sich Gedanken, wie es mit der klassischen Musik trotz deutlicher Publikumseinbußen weitergehen kann. Vor dem Takeover-Festival (2.-11. Februar) erzählte er im Gespräch von Fußballweisheiten, verlorenen Stammkunden und neuen Reizen.

Beim ersten Takeover-Festival vor zwei Jahren herrschten noch Maskenpflicht und Abstandsgebote. Sie wollten mit dem Festival eigentlich Nähe zwischen den Künstlerinnen und Künstlern und dem Publikum schaffen, das möglichst jung sein sollte. Zumindest tagsüber war es ziemlich leer im Festspielhaus. Wie zufrieden waren Sie mit der ersten Ausgabe?

Benedikt Stampa: Schon im ersten Jahr hat sich gezeigt, dass das Potenzial für ein solch neu gedachtes Festival vorhanden ist. Wir waren überrascht von der emotionalen Nähe, die trotz der von ihnen geschilderten Umstände möglich war.

Was haben Sie verändert?

Stampa: Das Takeover-Festival ist schon im zweiten Jahr zu einem Mehrgenerationen-Festival geworden. Die Freude an Nähe, Interaktion, dem lockeren Setting im Haus ist keine Frage des Alters. Wir schaffen es mit dem Takeover-Festival, die ganze Gesellschaft abzubilden, was Musikfestivals nicht häufig gelingt.

Partizipation ist ein wesentliches Element des Festivals. Sie bieten Workshops an, um Interessierte noch näher an die Musik und die Performance heranzuholen. Warum ist das für Sie wichtig?

Stampa: Partizipation ist viel mehr als Education. Es geht nicht darum, Menschen die Musik von Mozart zu erklären, sondern um die Ermöglichung von Teilhabe, indem man ein Konzert stärker in seinem Kontext erlebt. Das passiert vor Ort, aber auch digital im Vorfeld. Wir bieten mehr Gastronomie an, holen die Künstler ins Foyer und nehmen die Zuhörer auch mit hinter die Kulissen. Das kann man auch übertragen auf unsere anderen Festivals, in denen wir hauptsächlich klassische Musik präsentieren. Das eigentliche Konzert lassen wir unangetastet. Als Fußballfan würde ich sagen: Wichtig ist auf dem Platz.

Wie schaffen Sie darüber hinaus Nähe beim Takeover-Festival?

Stampa: Bei Get Well Soon können Workshopteilnehmer schon beim Soundcheck dabei sein, das Pablo Held Trio gibt Tipps, wie man selbst kreativ sein kann. Die Musik wird so auch ein Life-Coach. Wir bieten mehrere Tanzworkshops an, eine Einführung in Medienkunst am Laptop und Einblicke in die Arbeit mit einem präparierten Klavier und einem Synthesizer.

Der Klassikbetrieb hat nach der Coronapandemie ein Publikumsproblem. Gerade in der früheren Stammkundschaft, der zahlungskräftigen Altersgruppe 60+, gibt es laut einer aktuellen Umfrage des Instituts für kulturelle Teilhabeforschung Berlin deutliche Besucherrückgänge. Die junge Generation fängt die Verluste bei weitem nicht auf, zumal die musikalische Bildung immer weiter zurückgeht. Haben Sie im Festspielhaus Baden-Baden die gleiche Erfahrung gemacht?

Stampa: Ich kann das bestätigen. Wir hatten 2022 und 2023 rund 15 Prozent weniger Zuschauer als in Vorpandemiezeiten. Diese Situation haben wir aber antizipiert und mit einem starken Neukundenmarketing reagiert. Die verlorenen Stammkunden, die rund sieben Mal im Jahr gekommen sind, werden allerdings durch die vielen Neukunden in allen Altersschichten nicht ersetzt, da diese erfahrungsgemäß zu Beginn seltener kommen. Erst nach drei bis fünf Jahren und vielen positiven Konzerterlebnissen wird aus dem Neukunden ein Stammkunde.

Intendant Benedikt Stampa

  • Benedikt Stampa hat von 1987 bis 1991 historische und systematische Musikwissenschaft sowie BWL an der Universität Hamburg studiert. Er erwarb ein Diplom in Kulturmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.
  • Zunächst arbeitete er in der Hamburgischen Kulturstiftung, war ab 1995 mehr als zehn Jahre lang Geschäftsführer der Laeiszhalle Hamburg und leitete des Hamburger Musikfest.
  • Bis 2018 war er 13 Jahre lang Intendant und Geschäftsführer des Konzerthauses Dortmund, wonach er schließlich 2019 zum Festspielhaus Baden-Baden wechselte.
  • 2015 gründete Stampa zudem takt1, eine unabhängige Plattform für online verfügbare klassische Musik, kuratiert von Experten.

Und wie sieht es langfristig aus? Stirbt das Publikum nicht weg?

Stampa: Die nächsten fünfzehn Jahre sieht es noch gut aus, weil die geburtenstarken, finanzkräftigen, musikalisch vorgebildeten Jahrgänge weiterhin in klassische Konzerte gehen werden. In dieser Altersgruppe 55+ möchten wir noch mehr Kunden gewinnen, wie auch bei den über Dreißigjährigen. Insgesamt gehen drei Prozent der Gesamtbevölkerung in klassische Konzerte. Wenn wir auf vier Prozent kommen, haben wir keine Sorgen mehr.

Wirklich?

Stampa: Der Repertoirebetrieb wird es auf Dauer schwer haben. Ein attraktives Programm ist Voraussetzung, aber es reicht nicht. Wir sind ein Festspielhaus. Hier kann man besondere Künstlerinnen und Künstler in einem besonderen Umfeld erleben. Diese Karte spielen wir. Ein Yannick Nézet-Séguin kommt wie selbstverständlich in Bermudas zu einem Business-Talk und Jonathan Tetelman, der gerade hier gesungen hat, ist total offen für Begegnungen mit dem Publikum.

Wichtig für Ihre Programmgestaltung ist eine Festivalstruktur von sieben, in diesem Jahr sechs Festivals. Ist die Festivalstruktur auch wichtig für Ihr Bemühen, neues Publikum zu generieren?

Stampa: Ich arbeite hier im Festspielhaus Baden-Baden - da sind die Festspiele schon Teil des Hausnamens. Heute sind die Menschen noch eventorientierter als früher. Das ergreifen wir als Chance, hier ein Programm zu bauen, das für die nächsten zwei, drei Dekaden überlebensfähig ist. Baden-Baden war schon im 19. Jahrhundert ein Sehnsuchtsort. Hier wurde nicht nur neueste Musik präsentiert, sondern auch in den Salons über sie gesprochen. Daran knüpfen wir an, indem wir vielerlei Kontaktmöglichkeiten mit Künstlerinnen und Künstlern schaffen, die im normalen Tourneebetrieb nicht möglich sind. Unsere Gäste aus Amerika kommen hier Yannick Nézet-Séguin, dem musikalischen Direktor der Metropolitan Opera, näher als zu Hause in New York.

Jetzt steht aber erst einmal das Takeover-Festival an, das am 2. Februar mit Konzerten von Get Well Soon und dem Pablo Held Trio eröffnet wird.

Stampa: Mit Konstantin Gropper von Get Well Soon, Pablo Held oder auch Christian Löffler stellen wir starke Persönlichkeiten in den Mittelpunkt, die ganz unterschiedliche Musik machen: von Indie über Jazz bis zu Neoklassik. Mit Coreo haben wir eine Formation, die gleichzeitig tanzt und singt. Am zweiten Festivalwochenende präsentieren wir mit der Compagnie Käfig aktuellen Urban Dance aus Paris, der eher in den Banlieues verortet ist als auf der Champs-Élysée.

Und auf welche Veranstaltung freuen Sie sich ganz persönlich?

Stampa: Auf Christian Löffler, gerade weil ich bisher nicht viel mit Neoclassic anfangen konnte. Er hat jetzt auch gerade zwei neue Singles herausgebracht, die viel gehört werden. Da ist viel Dynamik zu spüren - das interessiert mich.

Freier Autor Georg Rudiger beobachtet von Freiburg aus das Musikleben im Südwesten, der Schweiz und auch mal in Südafrika. Meistens schreibt er über Klassik, gelegentlich aber auch über Jazz und Pop, wenn er nicht gerade am Cello sitzt.

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