Politisch wird der Wert von Europa ja immer wieder diskutiert, hinterfragt, ja, sogar bezweifelt. An diesem Abend auf der Seebühne des Mannheimer Luisenparks steht er nicht einmal im Traum zur Debatte. Die Gründe dafür sind offensichtlich -und lohnen dennoch einer Erwähnung. Denn allein, wenn Hauptorganisator Michel Maugé bei seiner Eröffnungsrede deutlich darum bittet, zu Beethovens Europa-Hymne doch bitte aufzustehen, ist das schon ein Bekenntnis, das es in dieser Form häufig gar nicht mehr in die Realpolitik schafft. Dennoch ist in diesen Stunden sogar noch sehr viel wichtiger, wer hier spielt. Denn es sind mehr als 50 junge Musiker aus 27 Nationen, die sich - zum ersten Mal seit der Pandemie wieder vor Ort - eine Woche lang intensiv begegnen und proben durften, um dann für zwei klangvolle Tage zu einem Orchester zu werden. Das Projekt hat sich den tönenden Namen der European Young Orchestra Academy gegeben - und genau so modern präsentiert sie sich auch.
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Das spürt man in den Reihen bereits, als eigentlich noch ganz und gar Klassisches gespielt wird. Unter dem Dirigenten Jan-Paul Reinke, der ja jüngst erst dem Mannheimer Jugendsinfonieorchester zum großen Titel verhalf, klingt schon die „Günter von Schwarzburg“-Ouvertüre von Ignaz Holzbauer nach einem Feuerwerk für die Ohren. Voller Mut und Gestaltungsfreude und dennoch auch Präzision und Akkuratesse in den Piano-Passagen.
Teils scharf wie ein Messer
Kurz darauf darf sich mit Simone Meyer die erste Solistin des Abends beweisen. Mit der Leihgabe einer Amati-Violine von 1678 in den Händen, scheint der Solistin aus der Schweiz auch das letzte Bisschen Nervosität in der schwülen Sommernacht zu schmelzen. Denn - überwiegend gar mit geschlossenen Augen - Meyer spielt sich bei Mozarts fünftem Violinkonzert nicht einfach in eine Art Rausch: Die Solistin gestaltet ihren Mozart. Verleiht ihm Kontur, Anmut und Stärke. Meyers Bogenstrich ist dabei bisweilen scharf wie ein Messer, in den Tutti-Passagen aber gerne auch sanft wie eine Feder. Das ist an vielen Stellen beeindruckend, an manchen gar überragend.
Und doch längst nicht alles an Überraschungen, was der Abend zu bieten hatte. Denn um die eigene Innovationsfähigkeit unter Beweis zu stellen, begnügt sich das Orchester nicht damit, Beethovens Siebte einfach nur zu interpretieren: Die Partitur wird schlichtweg zum Crossover. In gleich zwei Sätzen ist es der Mannheimer Popakademie-Absolvent Jimi Joel Eyrich, der Beethoven visuell und elektronisch modifiziert zum Besten gibt und dabei den Rumpf des Originals zwar noch stehen lässt, aber deutlich auf die Club-Qualitäten des Komponisten verweist. Das Erstaunliche daran: dass dieser Beethoven nicht vollends zerfällt. Ohne Zweifel greift dieses Experiment ganz erheblich in musikalisches Material ein, das ebenso bekannt ist, wie es geliebt wird. Aber exakt dieser gestalterische Mut, von der Form abzuweichen und damit aus dem allzu Bekannten etwas Eigenes zu schaffen, imponiert. Selbst die Routiniers auf den Rängen applaudieren, und auch unter den jungen Musikern und Gestaltern selbst ist ein Stolz zu bemerken, etwas von Bedeutung vollbracht zu haben.
Wenn das kein Beweis dafür war, dass europäischer Zusammenhalt kulturell unglaublich viel Sinn macht, dann gibt es keinen!
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