Zum Leben gehört, dass es fast immer anders kommt, als man denkt. So verlief auch das als feucht-fröhliche Jubiläumsparty geplante Wiedersehen unserer „Diskurs-Bande“, wie ein promovierter Leser unser Schicksalsquartett nennt, ganz anders als erwünscht. Sagen wir es so: Randalezentrale würde noch besser treffen, was wir zum Hundertsten dieser Kolumne darstellten. Aber eins nach dem anderen.
Also: Es begab sich zu der Zeit, als vor meiner Haustür ein alter Porsche mit quietschenden Reifen anhielt. Bela! Er war der erste Gast, was kein Wunder ist: Er hat das schnellste Geschoss. Alya und Caro fahren Rad. Bela ist die Umweltsau. Aber er steht dazu. Genau so wie zu seiner Passion für Taylor Swift, Luxusartikel von Fred Perry und den FC Bayern. Oder „Downton Abbey“. Bela ist maximaler Mainstream. Aber er hört noch Russen: Rachmaninow.
Der Streit aber entfachte sich an etwas anderem. Alya isst vegetarisch. Caro vegan. Einer, der Rachmaninow hört und ein Beethovenianer wie ich – wir essen Tiere. Wir vier nippten also am zweiten oder dritten oder fünften Glas Sekt (wer weiß das schon noch), als Caro sagte: „Sag’ mal, ist das dein Ernst, dass das einzig vegane auf diesem Buffet die Zigaretten für danach sind?“ Ich bejahte. „Ihr fleischfressenden Saurier seid wirklich das Allerletzte“, sagte Caro – und Alya nickte ihr auch noch zu. Tja.
Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn Bela jetzt diesen einen Satz nicht gesagt hätte: „Woher wollt ihr eigentlich wissen, dass Pflanzen gefressen werden wollen?“ Alya und Caro schauten Bela an, als hätte er ein Menschenbaby verschluckt. „Ich meine“, so führte der aus, „Pflanzen sind doch auch Lebewesen. Die schützen sich durch Dornen und Bitterstoffe, durch Gift und Substanzen, weil sie nicht gefressen werden wollen. Dieser Typ da, na wie hieß er noch … Wohlleben, der hat doch gesagt, dass Bäume sich Botschaften senden, sich um den Nachwuchs und sogar Alte und Kranke kümmern. Bäume, das sage nicht ich, sollen ein Gedächtnis haben und Schmerz empfinden. Ja, wenn ihr Salat esst, wurde diesem Salat Schmerz zugefügt. Außerdem habt ihr noch einer Armee armer Raupen das Essen weggefressen!“
Was Bela während seines mit zahlreichen Gesten sekundierten Vortrags nicht bemerkte, war, dass Caro hinter ihrem Rücken die Schale mit dem Dressing aus Olivenöl, Zitronensaft, Salz und Pfeffer (fürs Rindercarpaccio) genommen hatte. „Noch ein Wort …“, sagte sie, und während Alya, deren Konto an Gewaltbereitschaft zum Platzen angeschwollen war, Bela einen Tritt gegen das Schienbein gab, leerte Caro die Schale über Belas frisch gewaschenes Haar. Ich habe Bela noch nie so erlebt. Er wehrte sich. Meine Wohnung verwandelte sich in ein Schlachtfeld. Ich will nicht mehr daran denken.
Unser Wiedersehen habe ich mir jedenfalls anders vorgestellt. Und eine Debatte über Ernährung in Zeiten des Klimawandels auch. Aber zum Leben gehört eben, dass es fast immer anders kommt, als man denkt. Vielleicht sollte ich, statt Kolumnen zu schreiben, über Gewaltprävention bei Menschen, Tieren und Pflanzen forschen.
Schreiben Sie mir: mahlzeit@mamo.de
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-wie-eine-jubilaeumsparty-zur-wilden-schlaegerei-ausgeartet-ist-_arid,1952470.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.demailto:mahlzeit@mamo.de