Stück der NIbelungenfestspiele

Wie die Welt nicht nur am Wormser Dom in Stücke fällt

Die „Hildensaga“ von Ferdinand Schmalz zieht von den Nibelungenfestspielen nach Berlin ins Deutsche Theater unter anderem mit Ulrich Matthes

Von 
Frank Dietschreitt
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Spielen in Berlin (v.l.): Ulrich Matthes als Nornen Svenja Liesau (Brünhild) und Juli-schka Eichel (Kriemhild). © Thomas Aurin

Worms. Die Zeit steht einfach nicht still. Manchmal glaubt man, sie für einen Moment anhalten und das drohende Unheil verhindern zu können. Doch dann dreht sie sich einfach immer weiter, ist ein Mahlwerk des unaufhaltsamen Schicksals, ein Mühlstein, der alle in den Abgrund ziehen wird. Auf einer steil aufragenden, sich ständig kreisenden Scheibe wirbeln Götter die Menschen durch Zeit und Raum, spinnen Nornen die Schicksalsfäden, wollen Gutes bewirken, erreichen aber nur das Gegenteil.

Dann müssen sie tatenlos mitansehen, „wie diese Welt in Stücke fällt“, muss Gott Wotan erkennen, dass wir uns auf „dünnem, dünnem Eis“ bewegen, und die mit Blut besudelte Brünhild, die sich mit Kriemhild verschwistert hat, um das Gewaltmonopol des Patriarchat zu zerschlagen und sich für erduldetes Leid an ihren Peinigern zu rächen, prophezeit einen langen Kampf bis die Gleichstellung der Geschlechter erreicht ist: „Dort draußen lauern wölfische Zeiten.“

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Im Deutschen Theater Berlin inszeniert Regisseur Markus Bothe die „Hildensaga“, den vom österreichischen Autor Ferdinand Schmalz grandios übermalten Nibelungen-Mythos, als Menetekel des Untergangs. Die Welt ist düster, karg und leer, eine schwarze Scheibe, auf der niemand mehr Halt findet, Götter abdanken müssen, verklärte Helden zu fiesen Vergewaltigern mutieren und von ihren Opfern in den Orkus der Geschichte verbannt werden.

Nibelungen-Mythos als Menetekel des Untergangs inszeniert

Uraufgeführt wurde diese radikale Neu-Deutung des germanischen Helden-Epos bei den Nibelungenfestspielen 2022 in Worms als Wasserschlacht in sumpfiger Moor- und Flusslandschaft. Totenschädel und Leichen trieben am Ende durchs blutige Wasser. Seither ist die Aufsehen erregende „Hildensaga“ mehrfach nachgespielt worden, im Theater Baden-Baden, im Münchner Volkstheater, an der Wiener Burg. Das Bedürfnis, die alte Geschichte von Siegfrieds vermeintlichen Heldentaten und hinterlistigen Tarnkappen-Siegen über widerspenstige Königinnen aus feministischer Perspektive neu zu erzählen und zu einem Abgesang auf eine dem Untergang geweihte Welt der Krisen und Katastrophen umzudeuten, ist groß.

Ulrich Matthes als Norne im roten Seidenkleid

Die durch düstere Zeiten stolzierenden Recken plustern sich auf, tragen T-Shirt und Jeans, knallbunte Latzhosen und Bonbonfarbene Pelzmäntel, kichern wie kleine Kinder und wollen nicht kapieren, dass Brünhild (Svenja Liesau) und Kriemhild (Julischka Eichel) keinen Bock mehr auf Machos haben. Die Machtspiele und Vergewaltigungsfantasien von Siegfried (Janek Maudrich), Gunther (Florian Köhler) und Co. finden sie schlicht zum Kotzen. Wenn sich die wissenden Blicke der betrogenen und belogenen Königinnen treffen, wächst kein Kraut mehr gegen ihre Wut und ihre Rachsucht.

Da kann sich „Norne“ Ulrich Matthes in seinem schicken roten Seidenkleid noch so sehr in Schicksalsfäden verspinnen oder Gottvater Wotan (Felix Goser) zum eingeschnappten Wüterich werden, der gegen seinen Bedeutungsverlust rebelliert: Der Tod hält reiche Beute. Gemordet wird im riesigen Knochen-Skelett eines Drachens.

Denn die Zeit der feuerspeienden Märchen und Monster ist längst vorbei. Man kann nur noch davon berichten. Alles was geschieht, wird erzählt, ist ein einsamer Schrei in der Dunkelheit. Mord und Vergewaltigung finden im Kopf des Zuschauers statt. Es gibt keine Schwerter, es fließt kein Blut. Es gibt nur die Wörter, die sich in Raum und Zeit verlieren und uns mitten ins Herz treffen. Aufregend.

Wieder am 3., 11., 14. April, Karten unter 030/30 28 44 12 25

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