In der Welt der Physik gibt es den Begriff der Wechselwirkung, der die Verschränkung dessen meint, was auseinander strebt und dennoch inniglich verbunden ist. Auch das Surreale scheint aus dem Realen zu erwachsen, wie auch der Tod als Komplementärfarbe des Lebens angeschaut werden darf. Im Märchen aus der neuen Zeit „Der goldene Topf“ von E.T.A. Hoffmann begegnen sich Alltagswelt und eine phantastische Reise in die Region der Mythen, in der sich die Prinzipien des Bösen und Glaube, Liebe, Hoffnung gegenüberstehen.
Hoffmann, gemeinhin als Begründer der phantastischen Literatur angesehen, hat in seinem 1813 in Dresden entstandenen Kunstmärchen, eingeteilt in zwölf Vigilien (Nachtwachen oder Stundengebete), auch sich selbst gespiegelt. Der Tagmensch, der als braver Beamter sein täglich Brot verdient und dennoch von steten Geldsorgen geplagt ist, wandert nächtens in eine literarische Phantasiewelt, in der das Ich zum Es wird und ein assoziativer Kosmos von Zuständen des Überweltlichen entsteht. Alchimie und rationale Erklärungsversuche des Nicht-Begreifbaren korrespondieren miteinander.
Vitale Personenführung
Jürgen Popig, leitender Schauspieldramaturg am Theater Heidelberg, hat eine griffige Bühnenfassung erstellt, die an Hoffmanns Text und Szeneneinteilung bleibt, den Figuren aber Leben einhaucht. Eine Steilvorlage für Intendant Holger Schultze, dessen Inszenierung vitale Personenführung mit Witz und Charme kombiniert; bei Schultze darf Theater „gespielt“ werden, wodurch die Personen in heiterer Ironie zuweilen skurrile Eigendynamik entwickeln, um im Alten Saal des Heidelberger Hauses unmittelbar mit dem Publikum Zwiesprache zu halten. Die Inszenierung lebt dabei von einem Gesamtpaket, in dem Bühne (Marcel Keller), Kostüme (Erika Landertinger), Licht (Ralf Kabrhel) und Video (Hanna Green) in attraktivem Farbenspiel, sowie eingängige Musik (Günter Lehr) mit genauen Konturen ineinander greifen.
Ins Rittergut auf Atlantis
Im schillernden Farbenspektrum des Bühnenbaus öffnen sich Flügeltüren in die Welt des Fabelhaften. Davor stolpert Student Anselmus über den Apfelkorb, der ihn direkt in eine geheimnisvolle Welt befördert. Daniel Friedl spielt ihn als Naiven, der nicht recht weiß, ob er trunken ist oder tatsächlich eine Erweckung erlebt, die ihn direkt ins Rittergut auf Atlantis führt. Gerne möchte er mit Veronika zusammen sein, doch die will unbedingt Frau Hofrätin werden. Maria Dziomber gibt ihr jungmädchenfhafte, auch verlockende Züge.
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Ihr Papa, Konrektor Paulmann, wird von Olaf Weißenberg als jovialer, braver Bürger gezeigt, der sein Töchterchen dem gibt, der sich „Hofrat“ nennen darf.
Da zieht Anselmus den Kürzeren, denn Friedrich Witte, alias gut aussehender Registrator Heerbrand, macht das Rennen. Abgründiger kommt hingegen Andreas Seifert als Archivarius Lindhorst daher, der geheimnisvolle Schriftstücke von Anselmus kopieren lässt und über zauberische Kräfte verfügt, wenn er den Studiosus aus der Käseglocke, Verzeihung: Kristallkugel befreit, in die jener von der Apfelverkäuferin/Hexe verbannt wurde.
Elisabeth Auer schlüpft in variable Gestalt bis hin zur überdimensionierten Runkelrübe. Andreas Seifert tritt auch mit Zylinder und Biedermeier-Gehrock als Erzähler E.T.A. Hoffmann auf, derweil Hanna Green, Vladiena Sviatash und Sarah Wissner als Fabelwesen die Bühne bevölkern. Heftiger Premierenbeifall für ein ausgezeichnetes Bühnen-Märchen.