Es ist, wann immer sich jemand dieses Liederzyklus’ annimmt, ein Großereignis. Nun hat es also Christopher Diffey getan, der Australier, seit sechs Jahren einer der maßgeblichen Tenöre am Nationaltheater Mannheim. Zusammen mit Nathan Harris, neuer Solorepetitor am Haus, lotet er nicht nur Schuberts „Winterreise“ aus, sondern auch die noch recht neue Ersatzspielstätte Kulturhaus Käfertal, in dessen von Klinkern und Beton geschaltem Saal die beiden richtig gut klingen – auch, weil der nur zur Hälfte bestuhlte Raum gut gefüllt ist.
Streng und geschwind steigen die beiden ein. Harris und Diffey machen sofort mit „Gute Nacht“ und dessen Vers „Fremd bin ich eingezogen“ klar, dass sie sich hier nicht in wolkiger Gefühlsduselei verlieren werden, sondern Schuberts Musik und Wilhelm Müllers Worte eher noch als Klassiker begreifen, die mit den vielen Rubati Chopins oder den stürmischen Ausbrüchen Schumanns noch nichts zu tun haben. Die Grundsatzfrage ist bei dieser Auffassung dann allerdings: Woher kommt die ergreifende, ja, niederschmetternde Expressivität? Die Tiefe dieser Wanderung eines alten armen Mannes, der, mittel- und lieblos, nur noch den Tod herbei sehnt?
Diffey macht das wirklich gut, seine Stimme bewahrt immer Contenance, die Töne singt er, bestens mit Harris’ solidem Spiel synchronisiert, aus einem Legato heraus kultiviert an, lässt sie in Körper und Maske aufblühen und erzeugt einen Wohlklang, an dessen Ende tenoraler Schmelz mit metallischen Spurenelementen steht. Und auch der Text ist – man kennt ihn freilich bestens – gut verständlich. Unter dem Strich allerdings gerät das auf Dauer eine Spur zu brav, zu monochrom, zu schön und zu wenig charakterisiert.
Die Amplituden des Ausdrucks und der Gefühle, der Dynamik, der Farben und Formen und Vokale (zu ähnlich) und Konsonanten (zu weich) schlagen nur leicht aus. Diffey bleibt mit lyrisch schimmerndem Timbre im Schönklang eines Mezzopiano und -forte verhaftet – ob er nun von den „Schmerzen“ der „Erstarrung“ singt, die „Krähe“ um „Treue bis zum Grabe“ bittet oder im „Wegweiser“ von der Straße berichtet, „die noch keiner ging zurück“.
Es heißt ja, Schubert habe eine jugendliche Tenorstimme gehabt. Möglicherweise sind auch unsere Hörgewohnheiten heute von allzu kräftigen und expressiven Stimmen „verbildet“ worden, die teils stark charakterisieren und mit Kolorit und Diktion dick auftragen. Diffey hingegen klingt immer lyrisch und warm. Vielleicht wäre Schubert doch ziemlich zufrieden mit ihm gewesen.
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