Ihr Herz schlägt für ungewöhnliche Kriminalstoffe in künstlerischen Milieus und düsterer Atmosphäre zu eigentlich glanzvollen Zeiten: Die Bad Dürkheimerin Britta Habekost schickt ihren Ermittler Julien Vioric in seinen zweiten Fall. Nach seinem vor einem Jahr erschienenen Debüt in „Stadt der Mörder“ kehrt er im frisch bei Penguin veröffentlichten „Melodie des Bösen“ zurück. Das Herz, das am Anfang der Geschichte steht, schlägt allerdings nicht mehr. Es liegt fein säuberlich seziert auf dem Grab Frédéric Chopins (1810-1849) auf dem Friedhof Père-Lachaise.
Schauplatz ist Paris im Frühling 1925: Der engagierte Lieutenant Julien Vioric, der nach seinem letzten grausamen Fall bei der Polizei gekündigt hatte, ist nach Paris zurückgekehrt. Hinter ihm liegt ein verzweifelter, aber erfolgloser Versuch, an der Küste von Antibes das private Glück zu finden und Abstand von seiner Arbeit zu gewinnen. Nun wird er von seinem Bruder, dem Polizeipräfekten, mit der Aufklärung eines neuen Falls betraut: Auf dem Grab von Chopin wurde ein menschliches Herz gefunden. Kurz darauf wird die Leiche des virtuosen Pianisten Pierre Loiseau ohne sein brutal entferntes Herz entdeckt. Aber handelt es sich bei der „Opfergabe“ auf Chopins Grab um Loiseaus Herz und um einen Hinweis auf den Täter?
Die Lesung
- Britta Habekost liest aus „Melodie des Bösen“ (Penguin Verlag, 464 Seiten, 22 Euro) am Donnerstag, 10. November, 20 Uhr, im Mannheimer Schatzkistl. Es gibt noch Karten an der Abendkasse (21,50 Euro).
Vioric fühlt sich an einen Fall zwölf Jahre zuvor erinnert. Damals hatte jemand auf den Stufen zum Théatre des Champs-Élisysée auch ein Menschenherz abgelegt. Der Fall wurde nie gelöst. Die zur selben Zeit verschwundene Klavierschülerin der Musik-Eliteschmiede Société Nationale de Musique Eugénie Forgée aus gutem Haus bleibt verschollen, die Möglichkeit, dass es sich um ihr Herz handelt, Spekulation.
Viorics Ermittlungen entführen den Leser in das berauschende Nachtleben des Paris der 1920er Jahre, das Paris der Jazzclubs und der „schwarzen“ Musik, der die geistige Avantgarde des Landes, die Surrealisten anhängen (die schon in „Stadt der Mörder“ die geistige Kulisse des Romans bildeten). Den progressiven Kräften erscheint das von der alten Musik vertretene „Gute, Wahre, Schöne“ in der Welt nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr möglich. Vioric, seine Kollegen und die Journalistinnen Héloïse und Lysanne begegnen bei der Aufklärung des Falls immer wieder der allgegenwärtigen Diskriminierung farbiger Menschen aus Frankreichs Kolonien durch die konservativ nationalistische Elite.
Bigotte Elite gegen Progressive
Zu dieser bigotten Gruppe zählt auch Viorics Bruder und der Leiter der (fiktiven) Société Nationale de Musique. Ihnen erscheint Jazz, mit seinen alle musikalischen und gesellschaftlichen Konventionen sprengenden Mitteln wie das leibhaftige Böse. Anhänger der Klassischen Musik und Liebhaber von Jazz, Erik Satie oder George Antheil prallen nicht nur im übertragenen Sinne aufeinander. Als sich Vioric, der mit Surrealisten wie dem Dichter André Breton befreundet ist, auf einer Party gegen Rassismus hochrangiger Polizisten stellt, wird er von Schlägern um den Sohn eines Vorgesetzten in die Schranken gewiesen. In diesem gesellschaftlich explosiven Klima entwickelt die 40-jährige Autorin, die mit Ehemann Chako Habekost die erfolgreichen „Elwenfels“-Regionalkrimis schreibt, eine gekonnt verästelte, über die kompletten 464 Seiten fesselnde Geschichte. Man muss nicht gleich wie bei Dostojewski-Lektüre das Personal des Romans auflisten, um die Übersicht zu behalten - oberflächliches Schmökern kurz vorm Einschlafen empfiehlt sich aber nicht. Wie immer faszinierend: Habekosts offenbar bis zum Hall der Schritte in einer bestimmten Pariser Straße genau recherchierte, detailverliebte Einbindung des Lokalkolorits.
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