Digitales Konzert - Deutsche Staatsphilharmonie spielt, während sich Zuschauer mit einem Roboter online im Konzertsaal umschauen können – eine Weltpremiere

Weltpremiere: Staatsphilharmonie zeigt Konzert aus Ludwigshafen weltweit

Von 
Wolfgang Bager
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Ludwigshafen. Fast fühlt man sich an Sternstunden des Fernsehens erinnert. Etwa an die erste Satelliten-Live-Übertragung am 25. Juni 1967. Zweieinhalb Stunden lang waren damals zum ersten Mal Beiträge aus aller Welt in Echtzeit zu sehen. Pablo Picasso, Maria Callas und die Beatles traten auf. Die Bildqualität war mäßig, aber alles live und in Farbe.

Ein bisschen von dieser Pionier-Atmosphäre hat am Freitag die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen wiederaufleben lassen. Auch hier eine Weltpremiere. Zum ersten Mal nimmt ein in Korea entwickelter 5G-VR-Auto-Reporter ein Konzert auf, um es live in alle Welt zu übertragen.

Bild und Ton nicht optimal

Der Einstieg ist holprig, die Übertragung beginnt nicht ganz pünktlich, bis dahin ist es nicht einfach, sich richtig einzuloggen. Doch dann sehen wir den Eingang zur Philharmonie, die Kamera fährt um den Bau herum, und schon tut sich die Türe zum Konzertsaal auf. Das Roboterwägelchen rollt zum Dirigentenpult, um dort seinen Standpunkt zu beziehen. Einen Kameramann oder eine Kamerafrau gibt es nicht, ebenso wenig eine Bildregie. Diese Aufgaben übernimmt der Zuschauer.

Die Kamera schaut, wohin der Zuschauer es will. Per Mausklick wandert der Blick durch den Saal. Vom Dirigenten hinauf ins Orchester, zu den leeren Publikumsreihen, in den Backstagebereich und nach diesem 360-Grad-Ausflug zurück zu Michael Francis. Schwungvoll beginnt der Chefdirigent der Staatsphilharmonie das dramatische Forte des ersten Satzes von Brahms’ 1. Sinfonie. Die Bildqualität lässt etwas zu wünschen übrig, ebenso der Ton. Dafür wird man durch die optisch freie Platzwahl entschädigt.

Exotisch muten die koreanischen Schriftzeichen am oberen Bildrand an. Auch die YouTube-Links erinnern daran, dass wir mit koreanischer Technik und auch für ein koreanisches Publikum unterwegs sind. Im Schnitt etwa 125 Zuschauer, die sich weltweit versammelt haben, um zu lauschen. Das verrät eine Einblendung mit den Nutzerzahlen.

Auch Beethovens 5. erklingt

Inzwischen treibt Francis seine Musiker dem Finale zu. Der Schlussbeifall kommt von den wenigen Glücklichen, die im Saal sein dürfen. Die Kamera bleibt dem Maestro bei seinen schnellen Schritten zum Bühnenausgang auf den Fersen, die Türe ist angelehnt und schon kommt Francis zurück. Er bedankt sich in Englisch beim virtuellen Publikum.

Während sich dann normalerweise der Zuschauer auf den Heimweg begibt, bleiben wir mit dem Roboter noch auf der Bühne. Man hört Gemurmel und sieht die Musiker einpacken. Und da niemanden etwas angeht, was da so gesprochen wird, erklingt aus dem Off Beethovens 5. Sinfonie. Nicht unpassend, denn häufig wird Brahms’ 1. Sinfonie eine Nähe zu Beethoven zugeschrieben.

Der Roboter hat seine Pflicht getan und wird eingepackt. In den nächsten Monaten warten noch Einsätze in Heidelberg, Polen, Mexiko und Brasilien auf das kleine technische Wunderwerk, das gestern in Ludwigshafen seine Weltpremiere feiern durfte.

Freier Autor Wolfgang Bager ist freier Kulturjournalist und lebt in Berlin. Nach abgeschlossener Buchhandelslehre in Villingen-Schwenningen und Studium der Germanistik und Philosophie in Heidelberg (Magister) hat er beim Südkurier in Konstanz seine journalistische Ausbildung absolviert, war dort Redakteur in der Politikredaktion und von 1993 bis zu seinem Ruhestand 2015 Leiter der Kulturredaktion. Seit 2016 berichtet er als freier Journalist für den Mannheimer Morgen und den Südkurier Konstanz über kulturpolitische Themen aus Berlin.

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