Gedenktag

Weltautor und streitbarer Demokrat: Thomas Mann zum 150.

Vor 150 Jahren, am 6. Juni 1875, wurde Thomas Mann geboren. Sein Ruf als Schriftsteller ist unbestritten - und viele halten ihn gerade heute für aktuell.

Von 
Thomas Groß
Lesedauer: 
Wenige Wochen vor seinem Tod im August 1955 besuchten der weltweit geachtete Schriftsteller Thomas Mann und seine Frau Katia noch einmal Lübeck, die Geburtsstadt des Autors, wo er den Ehrenbürgerbrief entgegennahm. © picture-alliance/ dpa/dpaweb

Das Wichtigste in Kürze

Thomas Manns bleibende Aktualität wird häufig gewürdigt, insbesondere jetzt, anlässlich seines 150. Geburtstags. Ursprünglich „unpolitisch“, wandelte er sich nach dem Ersten Weltkrieg zum überzeugten Demokraten. Im Exil wurde er zum weltweit anerkannten Repräsentanten der deutschen Kulturnation und sprach im Radio gegen den Nationalsozialismus. Er formte oft aus seinem Leben Literatur, beeinflusst von großen Autoren und Denkern. Seine Erzählwerke haben ironische Noten und sind bevölkert auch von tragikomischen Charakteren, was sie zugänglicher macht. Manns Literatur schärft den Blick für die Realität und trägt so zu seiner anhaltenden Relevanz bei.

Bleibende Aktualität wurde Thomas Mann zuletzt häufiger bescheinigt, nicht erst jetzt, zu oder kurz vor seinem 150. Geburtstag am 6. Juni. Eine Besonderheit des Autors, der erst am Ende des 1. Weltkriegs eine Wende vom „Unpolitischen“, als den er sich selbst beschrieb, zum überzeugten Demokraten vollzog, ist es vor allem, die man würdigt: Als streitbarer Demokrat bewährte er sich erst recht dann, als ihn die nationalsozialistische Herrschaft ins Exil getrieben hatte. Da wurde Thomas Mann zum weltweit anerkannten Repräsentanten eines anderen Deutschlands, der deutschen Kulturnation, der sich von Amerika aus in Radioansprachen unter dem Titel „Deutsche Hörer“ an die Menschen in seiner alten Heimat wandte. So nahm er erneut entschieden Stellung gegen den Nationalsozialismus.

Natürlich war Thomas Mann nicht der einzige deutsche Autor, der entsprechend dachte. Als Nobelpreisträger für Literatur, der mit seinen Werken hohe Auflagen erzielte, fand er damit aber größtmögliche Aufmerksamkeit in Europa und weltweit. Und heute, im tobenden Kulturkampf in der westlichen Welt zwischen politisch rechts und links, findet dieser sympathische Zug des Großschriftstellers Thomas Mann erneut Aufmerksamkeit und dient vielen als Vorbild.

Dabei wird freilich leicht übersehen, dass sich die Zeiten eben nicht vergleichen lassen oder, wenn doch, dann vor allem hinsichtlich der Zuspitzung und Polarisierung; man staunt mitunter, was jetzt alles als „sozialistisch“ gelten soll oder umgekehrt als rechts, wenn es nur ein wenig jenseits der Mitte zu verorten ist oder als irgendwie national, statt als kosmopolitisch gesinnt gilt. Ein engagierter Schriftsteller, wie es später Günter Grass oder Martin Walser waren oder heute Juli Zeh ist, war Thomas Mann nicht; er konzentrierte sich wesentlich mehr in seinen politischen Stellungnahmen – was freilich nicht heißt, dass er nicht als Vorbild dienen könnte.

Oft schöpfte der Schriftsteller aus seinem Leben und Erleben

Thomas Mann agierte als und war eben das: ein Repräsentant der Kultur. Zeitgeschichtliches spielte eine wichtige Rolle in seinem Werk: Im großen Roman „Der Zauberberg“ (1924) wird in langen Gesprächen die Grundlage einer demokratischen, menschlichen Gesellschaft erörtert und eine Kunst zurückgewiesen, die sich selbst genügt. Und der Teufelspakt, der im „Doktor Faustus“ (1947) verhandelt wird, ist auch ein Bild für die Verführung der deutschen Nation durch Hitler und den Nationalsozialismus. Von der gesellschaftlichen Wirklichkeit, wie sie jeder selbst erleben konnte, war schon sein erster großer Roman geprägt: „Buddenbrooks“ (1901), ein Buch, das laut Untertitel vom „Verfall einer Familie“ erzählt, ist von der Kaufmannsfamilie aus Lübeck inspiriert, in die der Autor und sein vier Jahre älterer, ebenfalls namhafter Schriftstellerbruder Heinrich hineingeboren wurden.

Ohnehin formte Thomas Mann oft aus seinem Leben und Erleben seine Literatur; die (platonische) Liebe des Gustav Aschenbach zum schönen Jüngling Tadzio im „Tod in Venedig“ (1912) ist auch eine Gestaltung von Manns eigener unterdrückter Homosexualität. Mehrmals widmete er sich aber auch früheren Epochen, in „Lotte in Weimar“ (1939) und dem „Erwählten“ (1951), und sein umfangreichstes Werk, der Romanvierteiler „Joseph und seine Brüder“ (1933-43), nahm gar eine Geschichte aus dem Alten Testament auf, um diesen Mythos, gemäß einem Grundanliegen des Schriftstellers, „ins Psychologische und Humane“ großformatig umzudeuten.

Der Autor Thomas Mann

Thomas Mann, geboren 1875 in Lübeck, starb 1955 in der Schweiz, wo er zuletzt gelebt hatte; 1933 verließ er Deutschland und lebte bis 1952 mit seiner Familie vor allem in den USA.

Er gilt als einer der großen Erzähler des 20. Jahrhunderts; 1929 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt.

Zum 150. Geburtstag des Autors gibt es einige Neuerscheinungen, unter anderem eine neue Biografie von Tilmann Lahme („Thomas Mann. Ein Leben“, dtv, 28 Euro). In Lübeck findet am Jahrestag ein Festakt statt. tog

Insgesamt war Thomas Mann viel konkreter als Franz Kafka, mit dem er um das Prädikat „einflussreichster deutschsprachiger Autor des 20. Jahrhunderts“ konkurriert. Kafka bemühte sich, keine lebensweltlichen und zeitgeschichtlich realen Vorgänge in seinen Werken identifizierbar zu machen. Deshalb dürfte Thomas Mann, trotz seiner Neigung zum Weitschweifigen, heute auch populärer sein als Kafka, der nie etwas dagegen hatte, als rätselhaft zu gelten, und sich damit begnügte, ohne große Reichweite zu schreiben. Ein Autor wie Robert Musil kann im Verhältnis zu den beiden Genannten heute ohnehin nur noch als Geheim- oder Expertentipp gelten.

Beeinflusst von Wagner, Goethe und von Philosophen

Mit dem auch selbst zugesprochenen Prädikat Repräsentant eines anderen Deutschlands hatte es bei Thomas Mann immer seine Richtigkeit. Obwohl er das Gymnasium vor dem Abitur verließ, war er zumal kulturell hochgebildet. Namentlich Schopenhauer, Wagner und Nietzsche haben ihn beeinflusst, daneben etwa die Romankunst Fontanes. Und zeitlebens prägte ihn kein Geringerer als Goethe, für Mann die „sublimste Erscheinung großen Deutschtums und großen Menschentums überhaupt“. Dass der deutsche Großautor und Kulturrepräsentant Thomas Mann sich in dessen Werk spiegelte, ist wohl kein Wunder. Der Faust-Roman ist da nur das deutlichste Zeugnis unter vielen, wenngleich Mann nicht zuletzt auch auf das ältere Volksbuch über den zur Legende gewordenen historischen Faust Bezug nahm. In „Lotte in Weimar“ tritt der Dichterfürst auch selbst auf.

Im kalifornischen Pacific Palisades lebten Thomas Mann, aufgenommen 1947, und seine Familie während des amerikanischen Exils stilvoll und standesgemäß. © picture-alliance/ dpa/dpaweb

Zeitgemäß und stilbildend für die Literatur wirkte Thomas Mann auch durch die ironische Note seines Erzählens. Man kann ihm eine gehobene Unterhaltsamkeit bescheinigen, zu der nicht zuletzt tragikomische Charaktere beitragen, wie der haltlose und hypochondrische Christian Buddenbrook oder im „Zauberberg“ Karoline Stöhr mit ihren Bildungsschnitzern. Auch Parodien gibt es, etwa auf den Dichterkollegen Gerhart Hauptmann in der Figur des Mynheer Peeperkorn, ebenfalls im „Zauberberg“. Und Werke wie „Königliche Hoheit“ (1909) oder die in der Tradition des Schelmenromans stehenden „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ (1954) sind ohnedies eher heiter angelegt.

Nicht allzu anstrengend wirkt die Lektüre auch deshalb, weil sich Thomas Mann in der Regel nicht nur feine Andeutungen gestattet, sondern einer deutlichen Motivstruktur und Symbolik folgt. Aber immer erschafft er doch eine eigene literarische Wirklichkeit, die den Blick auf die landläufige Realität verändern und schärfen kann. Nicht zuletzt dies macht ihn zu einem Autor, der mit Recht als aktuell geblieben gilt.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke