Interview

Was sogar Wolfgang Niedecken an Bob Dylans neuem Buch überrascht hat

Vor dem ausverkauften Konzert von Wolfgang Niedeckens BAP im Mannheimer Rosengarten sprach der Sänger über Bob Dylans neues Werk "Die Philosophie des modernen Songs"

Von 
Jörg-Peter Klotz
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POR_1DylanBob_honorarfrei_(c)WilliamClaxton © William Claxton

Mannheim. Herr Niedecken, als Sprecher des Hörbuchs „Die Philosophie des modernen Songs“ haben Sie bestimmt sehr früh von Bob Dylans neuem Werk erfahren. Was haben Sie erwartet, was Ihr lange so verschlossenes Idol darin offenbart?

Wolfgang Niedecken: Ehrlich gesagt, habe ich gedacht: Schade, ich hätte eigentlich gern „Chronicles 2“ gehabt, die Fortsetzung seiner Autobiografie. Das hatte ich ja auch schon eingelesen. Aber ich fühlte mich sehr geehrt, dass ich jetzt wieder angefragt wurde. Dann war ich total gespannt, was da kommt. Die erste Fassung bekam ich im Frühsommer, seitdem gab es noch ein paar Änderungen. Er schreibt über 66 Songs, von denen ich nicht annähernd alle kannte, als ich das Buch auf Kreta das erste Mal gelesen habe. Und mich wunderte, was er da macht.

Der Titel ist ja lustig gewählt – als ob Dylan eine Studie über Songwriting vorlegen würde. Das ist wieder eine seiner typischen …

Niedecken (lacht laut): … Nebelkerzen, genau!

Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund. Für mich liest es sich wie eine Fortsetzung seiner Radioshows der „Theme Time Radio Hour“. Die großartig ausgewählten Bilder ersetzen die Fantasie-Jingles und -Einspieler, seine Texte wirken teilweise, als ob Truman Capote literarischen Musikjournalismus schreiben würde.

Niedecken: Ja. Es liest sich auch so, wie er „Chronicles“ geschrieben hat. Ohne Chronologie. Mit dem selben Stil wie auch in der Radio-Show – und demselben Humor, den ich auf keinen Fall vermissen möchte. Er schreibt auch fiktionale Geschichten, bei denen das Lied nur der Ausgangspunkt ist. Er klebt nicht eng an dem jeweiligen Songtext. Sondern er denkt sich: So hätte es sein können – oder so hätte es nach dem Song weitergehen können. Teilweise sind auch harte Informationen dabei, von denen man keine Ahnung hatte. Denn er kennt sich ungeheuer gut im American Songbook aus. Er hat seine Kollegen wirklich sehr, sehr genau studiert. Vor allem diejenigen, die ihn beeinflusst haben. Teilweise hat er auch Songs ausgesucht, auf die man vorher im Leben nicht gekommen wäre.

Ausverkauftes Konzert von Niedeckens BAP im Rosengarten

  • Bob Dylan, als Robert Zimmerman am 24. Mai 1941 in Duluth (im US-Staat Minnesota) geboren, gilt als der wichtigste Songwriter überhaupt. Er hat seit 1962 über 100 Millionen Tonträger verkauft. 2016 erhielt er als erster Musiker den Nobelpreis für Literatur.
  • Die größten Hits unter seinem Namen: „Blowin’ In The Wind“, „The Times They Are A-Changin’“ oder „Like a Rolling Stone“.
  • Dylan-Coverversionen waren oft noch erfolgreicher: Peter Paul & Mary mit „Blowin’ In The Wind“ (1963), The Byrds – „Mr. Tambourine Man“ (1965), Jimi Hendrix – „All Along The Watchtower“ (1968), Manfred Mann – „Mighty Quinn“ (1968), Guns N’ Roses – „Knockin’ On Heavens Door“ (1987) oder Adele – „Make You Feel My Love“ (2008).
  • Dylans Einfluss als Texter ist selbst im Werk noch populärerer Kollegen wie den Beatles oder den Rolling Stones deutlich zu erkennen. Hierzulande bekennt sich Wolfgang Niedecken, geboren am 30. März 1951 in Köln, zu ihm als Vorbild. Der BAP-Frontmann erklärt, dass er durch Dylans „Like A Rolling Stone“ überhaupt erst dazu inspiriert wurde, selbst Songtexte zu schreiben. Zuletzt hat er die Duo-Tour „Dylan-Reise“ gespielt, unter anderem in Schwetzingen und Mannheim.
  • Mit Niedeckens BAP spielt er am Samstag, 5. November, 20 Uhr, im Mannheimer Rosengarten. Das Konzert ist laut Veranstalter Semmel Concerts restlos ausverkauft.
  • Am Mittwoch ist Bob Dylans Buch „Die Philosophie des modernen Songs“ erschienen (C.H. Beck, 409 Seiten, 35 Euro. E.Book: 27,99 Euro. Wolfgang Niedecken hat das Hörbuch ungekürzt eingelesen (21,95 Euro, MP3-CD). 

Ohja – welche sind das für Sie?

Niedecken: Nehmen wir „Volare“. Da habe ich erstmal gegrinst. Aber wieso eigentlich nicht? Es ist dann doch logisch: „Volare“ gehört seit den 1950er Jahren zur Popkultur, ein riesiger Welthit. Er fand ihn anscheinend inspirierend. Aber ich wäre vorher nie darauf gekommen, dass der Typ, der „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ geschrieben hat, irgendwas mit „Volare“ zu tun haben würde. Über Chers „Gypsies, Trams & Thieves“ habe ich gestaunt, auch „Black Magic Woman“ fand ich überraschend – in Santanas Version wohlgemerkt, nicht der von Peter Green. Bei „Don’t Let Me Be Misunderstood“ schreibt er über Nina Simones Interpretation, nicht über das unglaubliche Original von The Animals. Dabei haben die auch ihn beeinflusst, waren wichtige Steigbügelhalter im Rock.

Warum geht er so vor?

Niedecken: Dylan geht es offenbar um die Interpretation, nicht um die Urheber. Da habe ich jetzt auch etwas umgedacht, denn normalerweise konzentriere ich mich auf die Originalversion eines Songs. Coverversionen sind für mich nur Bearbeitungen. Das ist alles schon sehr erstaunlich. Vor allem, wenn man die Gegenprobe macht und schaut, wer alles nicht auftaucht.

Mir wären da auch viele Songs von Jack White, Bruce Springsteen, Wilco, den Eels, Kendrick Lamar oder Gregory Porter eingefallen. Stattdessen stammen die einzigen Lieder aus diesem Jahrtausend von Warren Zevon (2003) und John Trudell (2001). Nach 1980 finden überhaupt nur sechs Berücksichtigung im Dylan Buch.

Niedecken: Das ist schon irre, wer da alles nicht vorkommt. Kein einziger Beatles-, Stones- oder Kinks-Song, nicht einmal Neil Young oder Chuck Berry. Meine Heiligen fehlen fast komplett. Auch U2. Aber er hat sicher keine Kärtchen oder Listen danach sortiert, damit er allen gerecht wird, die er schätzt. So denkt er nicht. Dann wäre es womöglich auch ziemlich langweilig geworden. Die Liste ist auch sicher nicht abgeschlossen.

Es hätten 666 Songs sein können, und es würden immer noch viele große Namen fehlen.

Niedecken (lacht): Ja. Gott sei dank gibt es inzwischen längst Playlists mit den meisten Liedern. Die Songs habe ich wiederholt durchgehört. Das ist ein Gewinn. Selbst ich hänge ja in einer musikalischen Blase. Leute empfehlen mir Songs, von denen sie wissen, dass sie etwas mit Dylan, den Stones, Beatles, Kinks oder The Who zu tun haben. Da hat mich Dylan jetzt mal herausgeführt. Toll!

Statt einer Song-Poetik oder Musikphilosophie liefert Dylans Buch immerhin verstreut Lektionen darüber, was man von Rocksongs besser nicht erwartet. Etwa: „Wieso denkt man, ein Sänger würde plötzlich eine Wahrheit offen- baren, wenn er in einem Song eine Geschichte erzählt?“

Niedecken: So sieht es ja auch aus. Dylan würde niemals belehren – wenn wir seine religiöse Phase einmal ausklammern. Aber selbst dabei war er auf der Suche, und ist keiner Mode oder einem Trend hinterhergelaufen. Er hat immer sein Ding gemacht, genau wie jetzt wieder bei diesem Buch.

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Manches übertreibt er auch massiv: Aus der Country-Kummernummer „Here Stands The Glass“ von Webb Pierce macht er einen halben Veteranen-Blockbuster voll grausamster Kriegsverbrechen.

Niedecken: Das ist in dem Song alles nicht enthalten. Er spinnt das Lied einfach weiter. Oder erfindet auch mal eine Vorgeschichte. Aber das zeigt nur, dass ein Song auch Ideen hervorrufen kann – und die Fantasie anregen. Das führt er hier vor. Oder nehmen Sie „My Generation“. Der Klassiker von The Who hat ihn wohl auch inspiriert. Ich dachte immer, sie würden den Text mit der Zeile „Ich hoffe, ich sterbe, bevor ich alt werde“ mal bitter bereuen. Das wird aber nie passieren. Der Song ist eine Momentaufnahme aus der Zeit, als Pete Townshend so gedacht hat. Das ist auch okay. Stellen Sie sich vor, man hätte beim Schreiben im Kopf, dass der Text auch in 50 Jahren aktuell sein muss. Dann kannst Du nur noch „Ohoohoohoo“ singen.

Mir kam es so vor, dass Dylan Pete Townshend für den Text ziemlich abbürstet. Ihnen nicht?

Niedecken: Nein. Aber er geht nicht zimperlich mit den Kollegen um, das stimmt. Sogar die Beatles bekommen am Rande ihr Fett weg. Ich weiß aber, dass Dylan Pete sehr schätzt. Sonst hätte er The Who nicht auf dem letzten Album erwähnt. Das ist eine große Ehre. Nach dem Motto: Der Meister hat mich bemerkt.

62 Songs stammen von Männern, nur vier von Frauen. Selbst Bob Dylan ist wohl nur ein alter, weißer Mann, oder?

Niedecken: Da führt er keine Listen. Dylan ist keiner Political Correctness verpflichtet. Genau, wie er bei allen anderen Dingen sein Ding macht, wird er auch in diesem Punkt den Teufel tun und auf eine Quote Rücksicht nehmen. Das macht er nicht!

Erwarten Sie noch „Chronicles 2“, die Fortsetzung der Autobiografie?

Niedecken: Ich habe dazu keine verlässlichen Informationen, aber da gibt es bestimmt schon etwas in der Schublade. Am liebsten wäre mir eine Trilogie – oder wenn er es immer weiter fortschreiben würde.

Bob Dylan - Die Philosophie des modernen Songs - die Playlist zum Buch.

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