Herbst des Lebens. Welke Blätter am Boden und auf dem Tisch. Tafelfreuden hat er trotz Suppenterrine und Teller vermutlich schon lange nicht mehr gesehen. Nur Erinnerungen bleiben, aber auch die haben keinen gesicherten Bestand. Denn Uma ist an Demenz erkrankt. Was die italienische Lyrikerin Roberta Dapunt in ihrem Gedichtzyklus „die krankheit wunder“ beschreibt, ist die allmähliche Auflösung eines Ichs und die davon nicht zu trennende Angst vor dem Vergessen und dem Vergessenwerden. Schließlich wird uns am Ende das Leben entrissen. Aber wohin? Meistens ins Vergessen und zu den stummen Zeugen von Vergänglichkeit und Vergeblichkeit. Ein Prozess, dessen Unaufhaltsamkeit Dapunts zutiefst berührende Texte zwischen Stille und knapper Dramatik immer wieder umkreisen.
Gemeinsam mit dem Regisseur Rainer Escher und dem Bühnenbildner Holger Endres haben die Schauspielerinnen Elisabeth Auer und Hedwig Franke den Gedichtzyklus Dapunts für das Theater Felina Areal in Mannheim bearbeitet. Herausgekommen ist eine Art Lesung, die Rainer Eschers kluge Regie variabel in kurze Abschnitte unterteilt. Mal sprechen Elisabeth Auer und Hedwig Franke die Texte allein, dann wieder zusammen oder im Wechsel, manchmal verändern sie ihre Positionen im Raum, zwischendurch erklingt Musik.
Bindungen gehen verloren
Die an Demenz erkrankte Uma war Roberta Dapunts Schwiegermutter. Sie hat sie betreut und gepflegt. Ein offenkundig intensiver Kontakt, der nicht immer einfach gewesen sein muss. Aus ihm jedenfalls entstand dieser Zyklus, in den vieles fast träumerisch leicht eingeflossen ist, als ginge es nicht um Leben und Tod, sondern um die Annäherung unterschiedlicher Existenzformen.
Umas Weg in die Dunkelheit beginnt mit dem allmählichen Verlust des Alltäglichen. Ihr letzter Halt in einer haltloser werdenden Welt ist für sie wohl der Bezug zum Göttlichen. Wenn die Sprache versagt, sind körperliche Berührungen wichtig. Irgendwann lehnt Hedwig Franke ihren Kopf an Elisabeth Auers Schulter. Eine kurze, aber ergreifende Szene. Die Bindungen zur Welt gehen verloren, jetzt reden die Texte von Schönheit und Wahrheit, von Zärtlichkeit und Verletzlichkeit.
Elisabeth Auer übernimmt die Rolle der Uma. Im Unterschied zur vital-verschmitzten, nuancen- und gestenreich agierenden Hedwig Franke hat sie den Part der Besonnenen übernommen, nur gelegentlich huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie verschließt sich, auch im Religiösen, wenn ihr etwas unter die Haut geht.
Dass der etwa einstündige Abend keine glatt funktionierende Konversation bietet, ist der einfühlsamen Endzeit-Poesie Dapunts zu verdanken, aber auch dem schönen Einverständnis der beiden Schauspielerinnen. Von ihnen lernen wir, dass der Nachsommer des Menschen keineswegs nur eine Fülle gereifter Gedanken bereithält, sondern auch Stunden der Einsamkeit und Kälte.
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