Musiktheater

Was Mannheimer Opernfreunde an die Wiener Staatsoper lockt

Jonas Kaufmann gilt als Startenor, obwohl ihm entsprechenden Allüren fremd sind. Als einfühlsamer Calaf steht ihm eine harte "Turandot" gegenüber, die von der Sopranistin Asmik Grigorian zum Niederknien gesungen wird

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Jonas Kaufmann und Asmik Grigorian in der Wiener „Turandot“. © M. Rittershaus

Mit schlohweißem, offenem Haar, ausgebreiteten Armen und dem Gestus einer Hohepriesterin setzt Asmik Grigorian im zweiten Akt zum Bravourstück „In questa reggia“ an. In ein Hochzeitskleid (Kostüme: Ursula Kudrna) hat Claus Guth sie nicht ohne Grund gewandet. Ihre Mordlust auf Freier rechtfertigt Turandot mit dem Schicksal ihrer Ahnin Lou-Ling. Doch diese, die chinesische Prinzessin, ist fraglos selbst jene traumatisierte Braut, für die Hochzeit und Vergewaltigung eins sind oder eben bereits wurden ...

Grigorians Spitzentöne blühen auf, lodern, glühen wie rotes Eisen, das eiskalter Stahl werden will. So sieht er aus, der Ansatz von Regisseur Claus Guth, der in den 1990er Jahren als Newcomer für das Nationaltheater Mannheim „La Traviata“ (1994), und „Drei Einakter“ (1992, Schlosstheater Schwetzingen) inszenierte. Den China-Kitsch belässt er in der Requisitenkammer, um in der Wiener Staatsoper zeitlos auf psychologisches Kammerspiel, detailverliebtes Handwerk und bestes 1990er Bildertheater zu setzen.

Grüße aus Wien nach Mannheim

Puccinis Opernletztling erzählt Guth als Drama einer Frau, die kein Opfer mehr sein, sondern Täterin werden will und ihrem Leben so im Wege steht. Den Märchencharakter des Stoffes übersetzt Guth in zwar kühle, aber durchaus symbolistische Bilder zwischen Kafka, Freud und Poe. Der Handlung muss er aber letztlich folgen, schließlich sind wir an der Staatsoper Wien, von wo übrigens in der Pause Mannheims Ex-GMD Alexander Soddy „alle Mannheimer Opernfreunde ganz herzlich grüßen“ lässt.

Erstaunlich, wie sich Guths Konzept sowohl mit der doch schon tapfer Richtung Zeitgenossenschaft schlagwerkenden Komposition Puccinis als auch zunehmend mit dem Dirigat Marco Armiliatos verzahnt, der im ersten Akt ein wenig zu heftig aufdreht und es so den Stimmen nicht leicht macht. Doch Armiliato lässt musikalische Bilder aufblühen, lässt großen Pomp zu und setzt auf Dramatik. Mannheims ehemaliger GMD Axel Kober wird übrigens die zweite Aufführungsserie ab Juni 2024 leiten. Ohne Mannheim geht es also auch hier nicht.

Tenor Jonas Kaufmann schlägt aus seinem baritonalen Timbre reichlich Kapital für die Rollengestaltung, ohne beim „Nessun dorma” auf die Lieferung der Höhentreffer zu verzichten. Man hat es schon italienischer und heldischer gehört, aber sein Calaf ist eben emotional, überlegt - wofür er Ovationen erntet, auch wenn ihn Asmik Grigorian stellenweise an die Wand singt. Weder Calaf noch Turandot, noch Liù (dramatisch und glänzend: Kristina Mkhitaryan) helfen die emotionalen Ausbrüche: Ein autoritäres asiatisches Regime hat das Sagen.

Auch für den Charakter des von Puccini nicht fertiggestellten Werkes findet die Produktion eine Pointe. Das von Franco Alfano zu Ende komponierte Finale ist nichts als Show. Nicht ohne Ironie ist es, wenn Guth das Paar, als es sich endlich zur gegenseitigen Liebe bekannt hat, in einer Hochzeit zusammenführt. Ein eiskalter Staatsakt, gegen dessen Lieblosigkeit für Turandot und Calaf nur eine Waffe taugt: Nix wie weg! Bei der Premiere gab es dafür einen Buh-Orkan. Durchsetzen wird sich die Inszenierung aber ohnehin.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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