Interview

Warum mehr außereuropäische Musik im Radio laufen sollte

Der Mannheimer Musikjournalist Ubbo Gronewold schlägt mit seinen Projekten eine musikalische Brücke zwischen Afrika und Europa. Warum er dahingehend auch Radiosender in der Verantwortung sieht, verrät er im Interview

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Georg Spindler
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Die südafrikanische Band BCUC ist zuletzt 2022 beim von Ubbo Gronewold kuratierten Festival Planet Ears aufgetreten. © Alte Feuerwache

Mannheim. Herr Gronewold, die westliche Lebensart ist für viele Länder dieser Welt kein Vorbild mehr. Gilt das auch für westliche Popmusik, die ja ein künstlerischer Ausdruck dieses Lebensstils ist? Wird globaler Pop sich davon entfernen und künftig anders klingen als heute?

Ubbo Gronewold: Es ist deutlich erkennbar, dass es etwa vielen Künstlern aus Afrika und auch afroamerikanischen Musikern wichtig ist, ihre Herkunft im Sound zu manifestieren und in diesem Sinne wegzugehen von dem, was europäische und angloamerikanische Popmusik ausmacht. Da muss man aber differenzieren. Nicht jeder Künstler und jede Künstlerin aus Afrika macht traditionelle afrikanische Musik, und vieles ist für die großen Märkte schon etwas weichgespült und massenkompatibel gemacht.

Was mir spontan einfällt, ist der Bereich des Desert- oder Touareg-Blues in der westafrikanischen Sahara-Zone, der sehr stark auf ethnische Traditionen zurückgreift und eine eigene Identität besitzt. Und es gibt Künstler wie Burma Boy aus Nigeria, die stark auf die rhythmische Tradition des Afrobeat zurückgreifen.

Gronewold: Diese Touareg-Szene ist in der Tat eine ganz eigene Szene. Es gibt Vertreter wie Tinariwen und Tamikrest, die sehr erfolgreich in Europa sind, bei großen Festivals spielen und wie Bombino sogar bei Major Companys veröffentlichen. Das ist sehr ursprüngliche Musik und da ist auch nichts für den westlichen Markt umgeschrieben, was ich super spannend finde. Viele junge Bands aus Westafrika beziehen sich auch auf die Afrobeat-Legenden Fela Kati und Tony Allen.

Ubbo Gronewold: Booker für Konzerte

  • Ubbo Gronewold hat Soziologie, Anglistik und Philosophie in Heidelberg studiert. Seit 2017 organisiert er hauptberuflich als Booker Konzerte in der Alten Feuerwache Mannheim. Außerdem ist er als DJ und Musikjournalist aktiv. Beiträge unter: mixcloud.com/Caresscaress
  • Planet Ears ist eine Konzertreihe in der Alten Feuerwache, die seit 2019 Popmusik aus Asien, Afrika und Südamerika präsentiert - außerhalb angloamerikanischer und europäischer Stile. Gronewold zeichnet für das Programm verantwortlich.
  • Konzerte: BCUC, Trance-Funk aus Südafrika (24. April), Jembas Groove, Afro-Jazz aus Berlin (3. Mai). Weitere Termine im Herbst.

Afrika ist ja als Popmarkt für die Musikindustrie interessant: Dort leben 1,4 Milliarden Menschen und die Hälfte davon ist unter 20 Jahre alt.

Gronewold: Ja, das Selbstbewusstsein der Musiker steigt immer weiter. Der jungen Generation ist schon bewusst, dass sie durch demographische Entwicklung immer mehr an Bedeutung gewinnt, dass ihr die Zukunft gehört, was Märkte und globale Auftritte anbelangt. In jedem afrikanischen Land gibt es Künstler, die sehr ursprünglich klingen oder ihre Traditionen auch mit elektronischer Musik verbinden.

Im Jazz ist es gang und gäbe, dass es regionale musikalische Dialekte gibt. Jazz aus Südafrika klingt anders als der aus Israel, Kuba oder Brasilien. Sehen Sie solche Phänomene auch im Popbereich?

Gronewold: Meine Wahrnehmung ist, dass die Leute sich irgendwann entscheiden: Wollen sie auf die ganz große Bühne, und wenn das der Fall ist, wird der Sound verwässert. Sampa The Great fällt mir da ein, eine Rapperin aus Sambia, die bei dem britischen Indie-Label Ninja Tune war. Jetzt ist sie zu Warner gewechselt, und sofort wird der Sound westlicher. Es gibt aber eben viele, die das nicht machen wollen.

Auch als DJ vielseitig: der Mannheimer Musikjournalist Ubbo Gronewold. © Sarah Haehnle

Glauben Sie, dass sich das Publikum bei uns bald an melismatischen Gesang im orientalischen Stil, an Vierteltöne und komplexe Polyrhythmen gewöhnen müssen wird?

Gronewold: Sagen wir mal so: Ich hoffe, dass es so weit kommt (lacht). Und ich halte es für nicht ausgeschlossen. Schauen wir mal auf die Radiolandschaft: Soll es so weiter gehen, dass SWR 3 und Co. die nächsten 20 Jahre nur ihr Schema F verbreiten? Es gibt ja kaum etwas Unspannenderes. Im Internet differenziert sich aber alles viel weiter aus, da gibt es inzwischen viele Sender, die sich auf außereuropäische Musik spezialisieren.

Es gibt Popstars aus Asien und Afrika, die nicht im Radio laufen, aber ein Millionenpublikum ansprechen. Die japanische Metal-Band B’Z hat über 100 Millionen Tonträger verkauft. Oder die Boyband BTS aus Korea mit 70 Millionen verkauften Einheiten.

Gronewolld: Jaja, die haben die Mercedes-Benz-Arena in Berlin innerhalb von 30 Minuten vier Mal ausverkauft.

Aber im Radio sind diese Bands nicht zu hören.

Gronewold: Das halte ich ein Stück weit für das Versagen der öffentlich-rechtlichen Sender. Die müssten viel mehr ihrem Bildungsauftrag nachkommen und ihrer Verantwortung gerecht werden. Zumindest in der Abendschiene müssten sie eine Alternative zum Weichspül-Pop bieten. Es gibt zum Glück noch Ausnahmen wie Klaus Fiehe im WDR, die Zündfunk-Redaktion des Bayerischen Rundfunks oder Klaus Walter und Thomas Meinecke, die Internet-Radio machen. In England sieht das anders aus, da findet man auf BBC Radio 2 oder Radio 6 eine ganz andere Bandbreite.

Festival

Planet Ears bietet in Mannheim internationale Musik fernab des Mainstreams

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Haben Sie auch Kontakte nach Brasilen? Das ist ja eines der Länder mit einer seit der Tropicália-Bewegung in den 1960ern ganz eigenen Pop-Identität mit Legenden wie Caetano Veloso, Gilberto Gil oder Milton Nascimento und Nachfolgern wie Marisa Monte, Céu oder Lenine?

Gronewold: Ich versuche gerade, in der Alten Feuerwache brasilianische Musik mehr zu featuren. Das ist in den letzten Jahren wenig passiert. Es hing auch damit zusammen, dass Konzerte wie das von Marcos Valle nicht wirklich gut besucht waren. Aber es wird Zeit, dass man da einen neuen Anlauf startet. Gerade ist eine sehr tolle junge Band unterwegs, Bala Desejo aus Rio, die einen experimentellen 70er-Jahre-Sound mit Tropicália- und Psychedelic-Effekten haben.

Die Mannheimer Alte Feuerwache hat ja mit „Planet Ears“ seit 2019 ein Festival, das den Blick auf die globale Musikkultur richtet. Wer hatte eigentlich die Idee zu Planet Ears?

Gronewold: Die Grundidee, ein solches Festival ins Leben zu rufen, stammt von Sören Gerhard, dem ehemaligen Leiter der Feuerwache, in Zusammenarbeit mit Thilo Eichhorn vom Kulturamt.

Sie kuratieren das Festival von Anfang an. Wie hat es sich seither entwickelt?

Gronewold: Das ist etwas speziell wegen Corona. Wir hatten nur zwei Jahre, um das Festival zu etablieren, deswegen sind wir jetzt nach wie vor in einer Phase der Aufbauarbeit, die man eigentlich 2020/21 hätte machen müssen. Wir haben daher jetzt auch beschlossen, ganzjährig etwa zehn, zwölf Konzerte unter dem „Planet Ears“-Banner zu präsentieren. Eventuell wird es im September einen kleinen Konzertblock an einem Wochenende geben, und im Dezember planen wir auch einen weiteren Schwerpunkt mit Diskussionsrunden und Vorträgen zum Thema. Wir haben bereits drei, vier Bands gebucht, Jemba Groove kommen im Mai, wir sind an einem indischen Rock-Act dran. Wir wollen unseren Asien-Anteil erhöhen. Wir planen, einen chinesischen Act zu verpflichten. Wir sind auch dran an koreanischen Bands. Ich sehe meine Selbstverpflichtung als Booker darin, immer auf der Suche zu sein und neue Dinge zu sichten.

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