Mannheim. Das ist kein Festival wie jedes andere: Planet Ears präsentiert vom 17. bis 26. September in und vor der Alten Feuerwache Mannheim Musik, weit entfernt von angloamerikanischen Klängen. Zu Gast sind Künstler aus Ost- und Nordeuropa, Afrika und dem Orient. Das Leitungsteam des Festivals erklärt das Konzept von Planet Ears. Wir sprachen mit Sören Gerhold, Leiter der Alten Feuerwache, dem Booker Ubbo Gronewold und Maria Kretzschmar, die das Begleitsymposium kuratiert.
Herr Gerhold, ist Planet Ears eine Eigenkreation der Alten Feuerwache oder arbeiten Sie mit Agenturen oder Partnerfestivals zusammen?
Sören Gerhold: Es ist eine Eigeninitiative in Kooperation mit dem Mannheimer Kulturamt, aber die thematische Verantwortung liegt überwiegend bei der Alten Feuerwache. Es war aber auch dem Kulturamt ein wichtiges Anliegen, internationale Musik jenseits vom Mainstream, aber auch von traditionellen Klängen zu präsentieren. Wir wollen zeigen, was gerade in Ländern wie der Ukraine oder in arabischen Staaten passiert, die im alltäglichen westeuropäischen Musikkonsum keine so wichtige Rolle spielen. Doch es gibt einfach so viel interessante Musik jenseits des Bekannten, die entdeckt werden muss. Wir verstehen Planet Ears als Plattform, auf der auch musikwissenschaftlich daran gearbeitet wird und ein Netzwerk aufgebaut werden soll.
Sie vermeiden ganz bewusst den Begriff Weltmusik?
Gerhold: Wir wollen Planet Ears auf keinen Fall als Weltmusik-Festival etikettieren. Es geht natürlich um Musik aus der ganzen Welt, aber nicht unter traditionellen Aspekten. Ein arabischer Künstler oder eine Künstlerin muss nicht unbedingt arabisch klingen. Wir wollen genauso Techno aus arabischen Ländern vorstellen. Und dann gibt es so ein Phänomen wie Altin Gün, die in Deutschland schon sehr bekannt sind, eine Band aus den Niederlanden, die auf Türkisch singt, und trotzdem findet jeder Berliner Hipster die großartig. So etwas hätte es vor zehn Jahren nicht gegeben.
Ist der Electro-Einfluss wichtig?
Gerhold: Nicht zwingend. Es ist aber etwas, das durch Digitalisierung und Homebase-Musikproduktion per Computer schon eine Rolle spielt. Aber das ist nicht die Basis von dem, was wir mit Planet Ears machen wollen. Es gibt für uns keine stilistischen Grenzen. Wir sind frei.
Aber von Altin Gün einmal abgesehen findet man die klassische Rockband nicht im Programm?
Gerhold: Das hatten wir eigentlich auf dem Schirm. Doch das hat nicht ganz geklappt. Man muss sagen, dass wir total froh sind über das, was jetzt herausgekommen ist. Es ist eine runde Sache geworden. Aber es ist eigentlich die vierte Version von dem, was wir haben wollten. Weil wir so viel umplanen mussten wegen Corona-bedingter Absagen.
Worauf haben Sie Wert gelegt bei der Zusammenstellung des Programms?
Gerhold: Dieses Jahr war es wegen Corona extrem schwierig, einen roten Faden durchzuziehen. Wir hatten Bands aus Südafrika, aber irgendwann war klar, die können nicht kommen. Es spielt aber auch eine Rolle, was in Mannheim los ist. Wir haben einen Film über Ghana und ghanaische Musiker, das Duo Fokn Bois; das ist etwas, was in Mannheim relevant ist. Türkische Musikerinnen sind vertreten und arabische Musik, weil ich denke, da ist zurzeit am meisten Innovation zu finden, vor allem wenn es um experimentelle Musik geht, um Improvisation. Wir haben da unser, ich nenn’s mal so, Partnerfestival, Irtijal in Beirut, das sind mittlerweile alles gute Bekannte von uns.
Der Irtijal-Macher, Gitarrist Sharif Sehnaoui, ist ja 2018 bei Enjoy Jazz mit Claus Boesser-Ferrari in der Alten Feuerwache aufgetreten.
Gerhold: Ja, der war schon ein paarmal hier und wir waren dort. Claus hat auch schon in Beirut gespielt. Und jetzt haben wir uns gesagt: Die Leute, die sich unter arabischer Musik etwas Traditionelles vorstellen, die hauen wir diesmal bei dem Konzert von Claus, Sharif und der Sängerin Jutta Glaser komplett um - mit Noise und Free Jazz. Das ist das Tolle am Claus, dass er so neugierig ist, sich auf Dinge einlässt und sich immer wieder neu erfindet.
Der norwegische Musiker Stian Westerhus ist auch so ein Experimentalgitarrist, der bei Planet Ears zu Gast ist.
Gerhold: Ja, er war ja auch schon ein-, zweimal hier. Und jetzt wollen wir ihn mit dem Percussionisten Joss Turnbull zusammenzubringen. Wir haben Westerhus ein paar Sachen von Joss nach Norwegen geschickt und er hatte sofort Lust auf ein Konzert. Die haben noch nie miteinander gespielt und bereiten sich zwei Tage am Stück auf ihr Konzert vor.
Es gibt bei Planet Ears also Musik, die frei improvisiert ist, es gibt aber auch zugänglichere Musik von der Band Altin Gün …
Ubbo Gronewold: Ja, das ist richtiger Pop.
… und es gibt reine DJ-Musik, zum Beispiel von DJ LAG aus Südafrika.
Gronewold: Ja, er spielt Gqom, das kommt aus Durban, und ist geprägt von einem hyperschnellen, energetischen Sound.
Gerhold: Das hat mittlerweile sogar Eingang gefunden in die Musik von Beyoncé, DJ LAG hat einige Titel von ihr mitproduziert. Es gibt so einen regelrechten Hype um diese Musik. Und er ist ihr Begründer.
Gronewold: Er lebt zum Glück in Frankreich, sonst hätten wir ihn wegen der Corona-Lage in Südafrika gar nicht für einen Auftritt gekriegt. Ich bin mal gespannt, wie das Publikum auf ihn reagiert, denn er macht nicht das übliche DJ-Set. Das ist schon sehr experimentell.
Wie wichtig ist Ihnen die Einbindung der lokalen Szene? David Kirchner von der Mannheimer Band Hochtief spielt ja mit Ozan Ata Canani und der Band Karaba.
Gerhold: Es ist extrem wichtig, dass die regionale Komponente eine Rolle spielt. Wir haben noch das Duo Mahlukat, das sind die türkische Sängerin und Geigerin Güldeste Mamac und die polnische Percussionistin Kasia Kadlubowska, beide studieren in Mannheim an der Popakademie. Und die treten zusammen mit dem bulgarischen DJ Cooh auf. Da kommt Thilo Eichhorn vom Kulturamt ins Spiel, weil der genau weiß, was es im Weltmusikstudiengang an der Popakademie für progressive Entwicklungen gibt.
Und die meisten Konzerte laufen bei freiem Eintritt?
Gerhold: Das ist ein Punkt, der bei der Förderung durch die Allianz Kulturstiftung und den Musikfonds wichtig war. Für sie war es ein großes Anliegen, dass wir möglichst viele Leute mit dieser Musik erreichen.
Welche Rolle spielen die Gesprächsrunden bei Planet Ears, die das Festival auch musikwissenschaftlich beleuchten?
Maria Kretzschmar: Wir wollten das von Anfang an bei Planet Ears miteinplanen, auch den musikwissenschaftlichen Aspekt. Ein Panel aufbauen, dazu ein Symposium, und daraus eine Art Kompetenzzentrum entwickeln. Und die Allianz-Stiftung will genau diese multikulturelle Vielfalt fördern und war vor allem an diesem Panel interessiert, am musikwissenschaftlichen Diskurs.
Gerhold: Rim Jasmin Irscheid, die früher bei uns gearbeitet hat und heute in Cambridge studiert, hat diese Panels inhaltlich kuratiert.
Kretzschmar: Und sie nutzt das für ihre Doktorarbeit. Das Ziel ist, dass Planet Ears eine Plattform wird, sich auch wissenschaftlich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Gerhold: Die Plattform wird noch aufgebaut. Denn so etwas gibt es bislang noch nicht. Planet Ears spielt da eine Vorreiterrolle.
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