Bilanz-Interview

Warum Geschäftsführer Sören Gerhold gern die Alte Feuerwache verlässt

Nach insgesamt 18 Jahren in diversen Positionen räumt der 39-Jährige gerade seinen Schreibtisch im Mannheimer Kulturzentrum. Im Interview erklärt Sören Gerhold, dass er gerne gehe, gerade weil er eine extrem positive Bilanz ziehen könne. Wie es weitergeht, lässt er offen, Wetten auf seine künftige Tätigkeit nimmt er nicht an

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Sören Gerhold hat quasi sein gesamtes Berufsleben im Mannheimer Kulturzentrum Alten Feuerwache verbracht und will sich ab 2023 mit 39 Jahren neu orientieren. © Thomas Tröster

Mannheim. Herr Gerhold, Sie haben 18 Jahre in Mannheims Alter Feuerwache (AFW) gearbeitet, seit 2012 als Geschäftsführer – wie fällt ihre persönliche Bilanz aus?

Sören Gerhold: Es ist eine durchweg positive Bilanz, auch wenn es natürlich Höhen und Tiefen gab. Weil es mir durchweg Spaß gemacht hat – bis heute. Weil es immer noch funktioniert und läuft, weil das Haus nicht auseinander gefallen ist und immer noch 85 Prozent der Teammitglieder dabei sind. Alle immer noch mit vollem Herzen und voller Power. Das ist nach so einer langen Zeit schon etwas sehr Besonderes.

Klingt gut. Weshalb hören Sie noch mal auf, mit zarten 39 Jahren?

Gerhold: Genau wegen dieser positiven Bilanz kann ich sagen: Jetzt reicht es für mich. Nicht, weil ich keine Lust mehr habe oder mich hier alle vom Hof jagen wollen. Es war einfach eine lange Zeit. Und ich habe ja vor der Feuerwache außer meiner kleinen DJ- und Barkeeper-Karriere nie etwas Anderes gemacht.

Die Murals Ihres Projekts Stadt.Wand.Kunst haben ästhetisch die größten Spuren in der Stadt und darüber hinaus hinterlassen. Was sind für Sie selbst die „Greatest Hits“ als AFW-Chef?

Gerhold: Klar, ist Stadt.Wand.Kunst irgendwie mein Baby. Auch, weil wir vorher schon viel mit Streetart und Graffiti gearbeitet haben. Das ist ein riesiges Ding geworden, mit dem wir nachhaltig das Erscheinungsbild der Stadt verändert haben. Es hat international für Furore gesorgt. Aber es gab noch viele andere Sachen.

Zum Beispiel?

Gerhold: Das 2019 gestartete Festival Planet Ears ist ein ganz wichtiges Format. Das ist dann zwar voll in die Corona-Bredouille gekommen. Aber damit haben wir einen wichtigen Knopf gedrückt, der absolut gedrückt werden musste. Es geht darum, das Thema internationale Musik ohne Klischee, Exotismen und eurozentrischen Blick auf die Bühne zu bringen. Es geht da nur um gute Musik – egal wo sie gemacht wird. Wir stecken sie nicht in eine Afrika- oder eine „Das ist arabische Musik“-Schublade. Dass wir damit den Zeitgeist getroffen haben, merken wir an der enormen Resonanz. Lesen.Hören würde ich auch dazu zählen ...

Sören Gerhold

  • Sören Gerhold wurde 1983 in Speyer geboren. Künstlerisch agierte er in der Mannheimer Hip-Hop-Szene – als „Huckspin“ war er im Künstlernetzwerk Addictz auch international aktiv.
  • Schon 2004 begann Gerhold, in der Alten Feuerwache (AFW) im Eventmanagement zu arbeiten und absolvierte dort eine Lehre zum Veranstaltungskaufmann.
  • 2009 übernahm er noch unter Egbert Rühl die stellvertretende Geschäftsleitung des Mannheimer Kulturzentrums.
  • Von 1. Dezember 2012 bis Ende 2022 war Gerhold AFW-Geschäftsführer. Zuletzt half er seinem Nachfolger Christian Handrich (32) beim Einfinden.

Wobei das Literaturfestival der AFW schon vor Ihrer Zeit als Geschäftsführer erfolgreich war.

Gerhold: Ja. Da denke ich an die ganze Geschichte mit Roger Willemsen, den ich noch als Fahrer kennengelernt habe. Er ist dann vom Schirmherr zu unserem Programmchef geworden, und war uns bis zu seinem Tod 2016 sehr verbunden. Dann die Übergabe an die heutige Festivalkuratorin Insa Wilke. Und jetzt blicken wir voraus auf die Ausgabe ab 24. Februar 2023, die genau daran anschließt und wieder sehr erfolgreich sein wird, wie die Ticketverkäufe schon jetzt zeigen. Da könnte ich noch viele weitere Beispiele nennen.

Auch nicht ganz unwichtig nach dem großen Finanzloch, das Ihr Vorgänger Siegfried Dittler vorgefunden hat: Sie können zwar nicht Hip-Hop-Superstar Kendrick Lamar auf eigene Rechnung buchen, dafür haben Sie jedes Jahr den Etat eingehalten, oder?

Gerhold: Ja.

Dabei konnte sich das Programm trotzdem sehen lassen. Wobei viele namhafte Musik-Acts ja über Timo Kumpfs Delta Konzerte oder Enjoy Jazz eingebucht werden.

Gerhold: Klar, kommen da gute Sachen. Ich will zwar eigentlich kein Namedropping betreiben, aber auch ohne Timo und Enjoy Jazz könnte ich Hunderte namhafte „eigene“ Acts aufzählen. Mein erster selbstgebuchter Act war zum Beispiel Bonobo. Ich habe das erste Europa-Konzert des New Yorker Rappers Action Bronson überhaupt gemacht, da sind Leute aus Frankreich und sonst woher gekommen. Primo, DJ Shadow, Yung Hurn. Das haben wir alles selber gemacht – bis hin zu Trettmann, die Beginner bei „Catch A Fire“, Nina Hagen, Grönemeyer. Da würde ich schon sagen, dass wir ziemlich viele große Namen nach Mannheim gebracht haben (lacht).

Gab es denn auch Fehler?

Gerhold: Das sind ja Fragen wie im Bewerbungsgespräch (lacht). Klar, habe ich Fehler gemacht.

Formulieren wir es anders: Bereuen Sie etwas? Verpasste Chancen?

Gerhold: Ja, eine Sache würde ich nie noch mal machen: dieses Programm von Mario Basler (lacht). Da haben wir im Team vorher viel diskutiert und uns dafür entschieden, weil er als Fußballer regional große Bezüge hat. Der Abend hat uns finanziell in dem Moment zwar geholfen. Aber inhaltlich war das ein Fehler. So etwas gab es aber selten. Tja, und die Mail zur verpassten Chance schicke ich heute noch gern mal herum, witzig, dass Sie ihn schon erwähnt haben: Mir hat tatsächlich vor Jahren eine kleine Berliner Agentur Kendrick Lamar angeboten, lange vor dem großen Durchbruch. Da habe ich geantwortet „Sorry, da geht nichts.“ Wahrscheinlich wäre zu dem Zeitpunkt auch noch kein Mensch gekommen. Aus heutiger Sicht wäre das natürlich so eine Nirvana-im-Schwimmbad-Club-Geschichte gewesen, wo kaum Leute kamen. Da beiße ich mir schon noch ein wenig in den Hintern.

Was kann Ihr Nachfolger Christian Handrich besser machen?

Gerhold: Das fragen Sie besser ihn.

Das habe ich schon, aber er schwärmt nur von Ihrer Arbeit und Kompetenz.

Gerhold (lacht): Ich hoffe, dass er generell vieles anders macht. Frischer Wind ist generell eine gute Sache. Ich merke gerade, dass der Wechsel neue Power bringt.

Bei unserem Antrittsinterview vor zehn Jahren war noch viel von Kultur-Leuchttürmen die Rede, wie – theoretisch – das Nationaltheater oder die Kunsthalle. Für Ihr Haus sahen Sie das Thema damals mit Blick auf den Etat eher skeptisch. Wo steht die Alte Feuerwache 2022 überregional?

Gerhold: Sehr, sehr gut, würde ich sagen. Wir verkaufen für das Programm der nächsten Monate auch Karten nach Frankreich oder Spanien. Für Louis Cole am 21. Mai etwa. Wir waren mit dem Team zuletzt in Straßburg, da haben sie uns auch auf dem Zettel. In der Wahrnehmung sind wir absolut da. Aber zentral ist doch die Frage: Was wollen wir?

Was will die Alte Feuerwache?

Gerhold: Klar, gab es politisch diesen Willen: Alles muss bitte möglichst international strahlen. Das ist ja auch eine schöne Sache. Mittlerweile hat sich die Diskussion verändert: Es geht Richtung Teilhabe. Die Frage ist: Welche Menschen nehmen die Feuerwache als Haus wahr, in dem für sie relevante Dinge passieren? Ob das nun Konzerte sind, ob es der Plattformgedanke ist oder ob ich mit guten Ideen dahin gehen kann. Gerade Letzteres ist mir zuletzt häufig aufgefallen: Wir werden als Ort gesehen, der etwas ermöglicht, wo man etwas aufbauen kann. Das ist in der aktuellen gesellschaftlichen Situation ganz, ganz wichtig. Natürlich ist es auch gut, Strahlkraft für die Stadt zu entwickeln. Aber das haben wir mit Stadt.Wand.Kunst wie kaum eine andere Institution in Baden-Württemberg geschafft – mit „heute“-Journal, 30 Minuten bei Arte, „Süddeutscher Zeitung“ und, und und ...

Was braucht die Gesellschaft von einem Kulturhaus heutzutage?

Gerhold: Wir müssen schauen, dass die Nischen nicht aussterben. Weil das tun sie gerade. Die großen, namhaften Veranstaltungen funktionieren ja wieder einigermaßen. Aber was ist mit den schrägen, eigenartigen Künstlerinnen und Künstlern, die anecken und provozieren? Die verschwinden klammheimlich, Ganze Tourneen werden abgesagt, weil die Ticketverkäufe nicht ausreichen. Da muss man sich drum kümmern. Das ist mir persönlich wichtiger als Reichweite, Feuilleton und diese ganzen Geschichten.

Politisch war die Erhöhung der Gehälter Ihrer Mitarbeitenden ein Thema. Wie ist da der Stand?

Gerhold: Zumindest für 2023 haben wir eine einmalige Zuschusserhöhung um 80 000 auf 1 054 000 Euro bekommen. Die Gehälter anzupassen war auch dringend notwendig – natürlich auch über das nächste Jahr hinaus. Das sollte künftig auch ohne großen Kampf, bürokratischen Aufwand und die Akteure der Politik möglich sein. Aber generell ist klargeworden, wie wichtig dieses Team für das Haus ist. Ohne dieses Team geht hier gar nichts! Das habe ich zuletzt noch mal überall deutlich gesagt. Wenn man sich um das Team nicht kümmert, zerbricht es irgendwann. Oder es fehlt der Enthusiasmus, der das Haus jetzt füllt und trägt. Das scheint mir aber angekommen zu sein. Wir haben zuletzt viel Unterstützung aus der Politik gekommen.

Was die Belegung des Hauses angeht, konnten Sie zuletzt einen Gordischen Knoten durchschlagen und Ihr Team bekommt mehr Platz. Abgesehen vom baulichen Sanierungsbedarf: Hinterlassen Sie eine gemähte Wiese?

Gerhold: Ich würde sagen, die Weichen sind gestellt. Sie sprechen den Auszug der Druckwerkstatt der BBK an. Das war mir sehr wichtig mit Blick auf mein Team, sozusagen meine letzte Amtshandlung. Das geht trotzdem alles langsam voran, wie wohl in jedem städtischen Gebäude, aber ich gehe davon aus, dass es 2023 Form annimmt. Aber eigentlich geht es darum, dass hier eine Generalsanierung ansteht. Lüftung, Heizung – das ist alles uralt. Wir haben regelmäßig Wasserschäden. Aber klar, der Haushalt ist auch ein anderer als vor fünf Jahren. Deshalb wird die Sanierung der Feuerwache wohl vorerst nachrangig behandelt, aber sie wird kommen. Inhaltlich und vom Team sind wir sehr, sehr gut aufgestellt. Es herrscht Aufbruchstimmung, Christian ist extrem motiviert. Ich freue mich sehr, dass bald als klassischer Konzertgänger weiterzuverfolgen. Ich bin total happy, dass es so endet, auch wenn der Abschied für mich sehr emotional ist.

Ein schönes Schlusswort, aber Sie könnten noch das Geheimnis lüften, was Sie künftig tun.

Gerhold (lacht): Auch, wenn’s mir niemand glaubt oder es gesellschaftlich nicht vorgesehen ist: Ich werde mir erstmal eine Zeit der Orientierung gönnen. Alle warten darauf, dass ich die nächste höhere Position einnehme. Aber das wird nicht passieren. Zumindest nicht jetzt. Ich werde mich orientieren, durchatmen, Dinge Revue passieren lassen, für meine Familie und Freunde da sein. Die Muße, sich Gedanken zu machen, was man will oder – noch wichtiger – was gebraucht wird, hast du im Berufsalltag ja nie. Aber ich werde sicher wieder auftauchen. Und es wird keine Jahre dauern.

Aber Sie bleiben in der Region?

Gerhold: Das hoffe ich sehr.

Gönnen Sie mir noch einen letzten Versuch: Wenn ich wetten würde, dass es bei Ihnen in Richtung einer eigenen, womöglich international agierenden Agentur zum Thema Stadt.Wand.Kunst geht – welche Quote würden Sie mir geben?

Gerhold: Agentur? Das nicht. Generell ist das ein ungefährer Weg, der es sein könnte. Das würde vermutlich funktionieren, Anfragen gab es da schon, über die Expertise, die wir hier entwickelt haben. Es gibt zum Beispiel die Überlegung, Stadt.Wand.Kunst kuratorisch weiter zu begleiten. Das kann ich mir auch vorstellen, aber nicht als Fulltime-Job. Ich werde keinen Weg einschlagen, bevor ich mir nicht ganz viele andere vorgestellt und mal hier oder da reingeschnuppert habe.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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