Hintergrund - Musikverlage, darunter Schott aus Mainz, sind schwer von Corona getroffen / Wenige Aufführungen, wenig Umsatz

Warum Corona die Existenz von Musikverlagen stark bedroht

Von 
Georg Rudiger
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Ein seltenes Bild: Weil Orchester größtenteils nicht spielen, werden Noten und Partituren nicht gebraucht. Das trifft das Geschäft von Musikverlagen immens. © dpa

Mainz. Eigentlich wollte der Schott-Verlag im vergangenen Jahr seinen 250. Geburtstag feiern. Bei einem Festakt im Mainzer Staatstheater hätte das Orchester der Stadt als erstes deutsches Orchester nicht aus gedruckten Noten, sondern aus iPads gespielt. Ein Fest für 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland fiel auch ins Wasser.

Ein breit aufgestellter, moderner, wirtschaftlich gesunder Verlag mit einem Jahresumsatz von rund 30 Millionen Euro (2019) - so alt wie Beethoven, dessen „Missa solemnis“ und 9. Symphonie bei Schott erschien - ist durch die Pandemie in seiner Existenz bedroht. „Jetzt geht es ums Überleben. Außerdem fehlt Liquidität für Investitionen“, sagt Christiane Albiez, Mitglied der Geschäftsleitung.

Dabei ist der Verkauf von Noten 2020 im Verhältnis zum Vorjahr sogar knapp gestiegen. Der wichtige Umsatz aus dem Bühnen- und Konzertbereich ging aber um 80 Prozent zurück. Rund 8000 Bühnen- und Orchesterwerke hat Schott Music in seinem Programm. Werden sie von Theatern oder Orchestern ausgeliehen, ist eine Gebühr fällig, die von der Größe des Orchesters und von Anzahl und Preis der verkauften Tickets abhängt. Zusätzlich verdient der Verlag an Tantiemen, wenn die gespielten Werke urheberrechtlich geschützt sind, was bei etwa zwei Drittel des Verlagsprogramms der Fall ist. Wenige Aufführungen vor wenig Publikum heißt auch wenige Einnahmen. Bei gestreamten Produktionen fällt fast nichts ab.

Wie wenig die mehr als tausend Musikverlage in Deutschland mit ihren rund 2500 Erwerbstätigen und Gesamterlösen von 583 Millionen Euro (2019) auf dem Schirm der Bundesregierung waren, beweist der Umstand, dass sie bei dem im August angekündigten Rettungsprogramm „Neustart Kultur“ zunächst gar nicht vorkamen. Nur aufgrund von Nachverhandlungen konnten noch 2,5 Millionen Euro für die Musikverlage, zehn Millionen Euro für Urheber und vier Millionen Euro für die Digitalisierung aus der Kulturmilliarde gesichert werden.

Zeitversetzte GEMA-Zahlungen

Nur 16 Prozent der durchschnittlichen Verlagseinnahmen werden aus dem Verkauf von Musikalien bestritten. Die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften, vorrangig der GEMA, die jeweils im Sommer für das Vorjahr erfolgen, betragen rund 56 Prozent der Gesamteinkünfte. „2021 wird es für Autorinnen und Autoren sowie für die Musikverlage dramatisch. Die zeitversetzten Ausschüttungen der GEMA werden um ein Vielfaches einbrechen - denn wo nichts aufgeführt wird, keine Musik in Restaurants, Clubs und Diskotheken abgespielt wird und deutlich weniger TV-Sendungen und Kinofilme entstehen, kann auch keine Gebühr eingezogen werden. Das werden wir in diesem und auch im folgenden Jahr deutlich spüren“, sagt Birgit Böcher, Präsidentin des Deutschen Musikverleger-Verbands. Sie hofft, dass es auch dann noch Hilfen gibt, um die Branche zu stützen. „Es werden nicht alle Verlage überleben“, sagt Böcher. Die Einbußen lagen 2020 zwischen 40 und 60 Prozent.

Je spezialisierter ein Verlag ist, desto schwieriger gestaltet sich die Situation. Der Stuttgarter Carusverlag ist mit 30 000 Chorwerken weltweit einer der größten Anbieter von Vokalmusik, was in Coronazeiten zu einem Nachteil wird. Der Verlag hat das schlechteste Geschäftsjahr seit seiner Gründung 1972 erlebt.

„Insbesondere seit dem zweiten Lockdown kommen kaum noch Bestellungen von Chören“, sagt Johannes Graulich. Der Geschäftsführer macht sich auch langfristig Sorgen um die Chöre und das Laienmusizieren. „Das chorische Singen hat einen hohen kulturellen und gesellschaftlichen Wert.“

Einige wenige Gewinner der Krise

Neben allen schlechten Nachrichten gibt es auch wenige Corona-Gewinner unter den Musikverlagen. Das hängt mit dem Boom der häuslichen Kammermusik zusammen. Der erst im vergangenen Jahr gegründete Aurio-Verlag hat mit seinem Notenabonnement für einzelne Instrumente samt Übevideos und Begleittexten eine Marktlücke gefunden. Das Angebot wird rege nachgefragt.

Der Henle-Verlag blickt mit einem Umsatzplus von zehn Prozent gar auf sein bestes Geschäftsjahr zurück. Das Programm besteht aus Urtextausgaben lizenzfreier Komponisten, davon etwa 70 Prozent Literatur für Soloklavier. „In der Krise investiert der Mensch in Werte, in Verlässliches und Vertrautes“, sagt Geschäftsführer Wolf-Dieter Seiffert. „Da sind unsere hochwertigen Notenausgaben offensichtlich ein Produkt, an dem man sich freuen kann.“ GEMA-Ausschüttungen bezieht der auf das Papiergeschäft spezialisierte Verlag so gut wie keine. Deshalb schaut Seiffert auch positiv auf das neue Geschäftsjahr, das für seine Kollegen vielleicht noch schmerzhafter wird als das vergangene.

Werke von Wagner und Mozart sowie Beethovens 9. Sinfonie

  • Die in Mainz ansässige Schott Music Group gehört nach eigenen Angaben zu den „weltweit führenden Musik- und Medienverlagen. Neben dem Mainzer Mutterhaus gibt es demnach Niederlassungen „in wichtigen internationalen Märkten“.
  • Gegründet wurde der Verlag 1770 vom Kupferstecher und Klarinettisten Bernhard Schott. Mittlerweile versammeln sich knapp fünfzig Verlage unter dem Dach der Schott Music Group.
  • Neben unter anderem Noten, Gesamtausgaben und Partituren gibt der Schott Verlag auch Fachzeitschriften, wie etwa „Das Orchester“, die „Neue Zeitschrift für Musik“ oder „Musik in der Grundschule“, heraus und verfügt auch über eigene Plattenlabels.
  • Schott editierte unter anderem das gesamte kompositorische Werk Richard Wagners sowie Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie und Werke von Wolfgang Amadeus Mozart

Freier Autor Georg Rudiger beobachtet von Freiburg aus das Musikleben im Südwesten, der Schweiz und auch mal in Südafrika. Meistens schreibt er über Klassik, gelegentlich aber auch über Jazz und Pop, wenn er nicht gerade am Cello sitzt.

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