Literatur - Wie sich der Schriftsteller Günter Grass in Briefen um Willy Brandt bemühte

Wahre Liebe rostet nicht

Von 
Wolf Scheller
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Günter Grass (l.) am 4. September 1976 neben dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt auf einer Wahlkampfveranstaltung.

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Am 18. Januar 1969 schrieb der damalige Außenminister Willy Brandt wieder mal ein paar Zeilen an den durch den "Blechtrommel"-Roman berühmt gewordenen Schriftsteller Günter Grass: "Lieber Günter, ... Du wirst gehört haben, dass ich einige Wochen ausspannen muss. Besser jetzt als im Frühjahr oder Sommer! Herzlichen Gruss. Dein W." Verständnisvoll antwortet der "liebe Günter" in einem gut zehnmal so langen Brief, in dem er ausführlich über seine "literarischen Hausarbeiten" referiert, zugleich aber auch wieder intensiv darlegt, wie er sich die Außenpolitik der SPD vorstellt.

Kein Mangel an Ehrgeiz

Immerhin heißt es gegen Ende: "Im Übrigen wünsche ich Dir Erholung und ein engmaschiges Sieb, das Dir Ärgernisse vom Leib hält." Die beiden Herren waren sich Anfang 1968 bei einem familiären Treffen in Berlin nähergekommen und zum Du gewechselt. Beste Freunde sind sie deswegen aber keineswegs geworden, wie aus dem jetzt veröffentlichten Briefwechsel hervorgeht. Auffallend ist zunächst, dass in dieser Korrespondenz, beginnend im März 1964, Grass den Löwenanteil beanspruchen kann. Häufig lässt Brandt durch sein Büro oder seinen engsten Vertrauten Egon Bahr antworten. Und wenn er später doch mal persönlich zum Federhalter greift, fällt die Antwort meist freundlich reserviert aus. Man gewinnt den Eindruck, dass das Werben von Grass dem späteren Bundeskanzler eher lästig wurde, zumal Grass keine Gelegenheit ausließ, um Brandt in seiner zögerlichen Art immer wieder anzutreiben.

Wiederholt warnt Grass Willy Brandt vor der Beteiligung an einer Großen Koalition. Als Warner und Mahner nimmt er den von seinem Naturell nicht gerade zu schnellen Entschlüssen neigenden SPD-Vorsitzenden, den er zugleich wortreich verehrt, wiederholt ins Gebet. Der Dichter, der sein Idol seit Beginn der Sechziger persönlich kennt, geriert sich als Prophet. Er sieht, dass sich die "Jugend unseres Landes vom Staat und seiner Verfassung abkehren" werde - sie "wird sich nach links und rechts verrennen".

Brandt wiederum appelliert an die Intellektuellen, an die "demokratische Linke", sie dürfe sich nun erst recht nicht ins "Abseits der Resignation oder des bloßen Protestes" stellen, sondern müsse als das "geistige Deutschland" an der Seite einer SPD bleiben, deren Gewissen nicht außerhalb dieser Partei schlage.

Grass wiederum, der erst in den 70er Jahren Mitglied der SPD wird und sich wie kein anderer Schriftsteller für die Politik der Sozialdemokraten engagiert, lässt nicht nach in seinem Eifer, Brandt zu Entscheidungen und Positionen zu drängen, die sich der Kanzler überhaupt nicht zu eigen machen will.

Hans-Werner Richter, der geistige Vater der "Gruppe 47", vermutet, Grass habe es darauf angelegt, irgendwann ein politisches Amt zu übernehmen, vielleicht eine Art Kulturminister für die Republik zu werden. Die Beziehung zwischen diesen beiden höchst ungleichen Temperamenten - Grass, dem es an Ehrgeiz und Selbstbewusstsein keineswegs fehlt, und Brandt, der sich oft in seine Depressionen flüchtet - ist nur vordergründig mit der Differenz zwischen Geist und Macht zu erklären.

Wenn Grass den Kanzler mit allerlei politischen Traktaten überzieht, die eigene Ansicht durchgängig als richtungsweisend propagiert und hartnäckig auf persönlichem Gedankenaustausch besteht, kann man im Nachhinein die Ausweich- und "Fluchtversuche" des Bedrängten verstehen. "Ich wünsche mir", so Grass in einem Brief an Brandt kurz vor Weihnachten 1972, "dass wir im kommenden Jahr Gelegenheit finden, auch über ein Wochenende oder während 2-3 Feiertagen, ausgiebig miteinander zu sprechen, damit unsere Freundschaft nicht zu einer verplanten verkümmert." Brandt hat sich solchen Ansinnen immer wieder zu entziehen gewusst. Gleichwohl belegt der Briefwechsel, dass die Freundschaft bis zum Schluss bestanden hat, auch wenn es nach dem Rücktritt Brandts als Kanzler für Grass immer schwieriger wurde, zu ihm vorzudringen.

Der einstigen Idolatrie tat dies freilich keinen Abbruch. Brandt, der Emigrant und Hitler-Gegner, blieb für Grass d i e Lichtgestalt, der er auch verzieh, wenn sie ihm nicht mehr zuhören wollte, wie Grass in späteren Jahren im Interview schimpfte. Der Herausgeber des Briefwechsels - Martin Kölbel - hat viel Fleiß und mehrere Jahre in dieses Projekt investiert. Freilich hätte die Edition bei entsprechender Straffung auch schmaler ausfallen dürfen. Vielleicht wäre dann weniger mehr gewesen.

Die SPD und Günter Grass

  • Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass, geboren 1927 in Danzig, engagierte sich schon früh für die SPD, trat aber erst in den 70ern in die Partei ein.
  • 1965 initiierte er ein "Wahlkontor deutscher Schriftsteller" zur Unterstützung Willy Brandts und veröffentlichte das Buch "dich singe ich demokratie - loblied auf willy". Anders als Brandt lehnte Grass im Jahr 1990 eine schnelle deutsche Wiedervereinigung ab. 1992 trat er aus Protest gegen den Asylkompromiss aus der Partei aus, blieb ihr aber verbunden.
  • Willy Brandt, Günter Grass: Der Briefwechsel. Hrsg. von Martin Kölbel. Steidl Verlag, Göttingen. 1232 Seiten, 49,80 Euro. tog

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