Bayreuther Festspiele - Barrie Kosky überrascht mit seinem Blick auf "Die Meistersinger von Nürnberg" - und wird bejubelt

Wagner jagt seinen Meisterjuden

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Bei dieser Keilerei wird nur einer verprügelt: der Jude. Dort, wo Wagners Musik wie eine effizient getaktete Maschinerie giftigen Gezeters vor sich hin tuckert, wo sich Lehrbuben, Gesellen und Nachbarn die Köpfe einschlagen und singende Handwerker unblessiert aus der Affäre ziehen (möchten), dort richten sie ihn hässlich zu: Sixtus Beckmesser. Sie schubsen ihn. Sie isolieren ihn. Sie zwingen ihn unter ein Gemälde Cosima Wagners, halten ihn und schlagen zu, dann, in einem Akt höchsten Hohns, setzen sie ihm auch noch die fratzenhafte Maske auf, die alle Klischees vereint: Hakennase, Zöpfe, große Ohren, spitzes Kinn, diabolischer Blick.

Die Uhr im Gerichtssaal des Nürnberger Justizpalastes steht längst auf 19. 33. Zufall ist das nicht. Dann: Beckmesser, der antisemitisch imaginierte Maximaljude, steht auf, torkelt und zieht sich unter das heißluftballongroße Zerrbild zurück, das sich schon monumental aufgeblasen hat und sein Ebenbild darstellt. Puh.

Bayreuth, 25. Juli. Regen. Besinnung: unmöglich. Wagners Musik gönnt sich hier keinen Moment der Stille und Sprachlosigkeit. Sie drängt und ist bei Dirigent Philippe Jordan zunehmend eine tickende Zeitbombe mit Drang zu Chaos, zu Explosion. Trotzdem jagt uns die hässliche Szene Schauer über den Rücken, entlässt uns mit einem Gefühl der Leere in die Pause. Scham.

Regisseur Barrie Kosky, selbst Jude, wird drei Stunden später für diese immer wieder auch sehr amüsante Inszenierung frenetisch gefeiert. Fast 17 Minuten lang. Seine Regie konzentriert sich vor allem darauf: Wagner und der Jude, der deutsche Gesamtkunstwerker und sein Feindbild, die totalitären Ansprüche und das Sensible, Zerbrechliche. Nürnberg ist Kosky nur Folie, ein magischer Ort (urdeutscher Seele). Ein Abend wie eine Mahnung vor dem Schreckgespenst Antisemitismus.

Kulisse als leeres Versprechen

Damit ist der Australier weit weg vom deutschen Regietheater - auch Katharina Wagners, die ja die Vorgängerversion besorgte. Dass man dieses Werk kaum noch ohne die kritische Befragung des Deutschen inszenieren kann, war aber auch ihm klar.

Kosky und sein Ausstattungsteam (Bühne: Rebecca Ringst. Kostüm: Klaus Bruns) lassen an drei Orten spielen. Haus Wahnfried. Grüne Wiese. Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse. Überragend und detailreich deckt Kosky hier die Polarität von Wagner und dem jüdischen Dirigenten Hermann Levi auf. Während Wagner - neben vielen anderen Rollen - zum omnipotenten Hans Sachs wird, wird aus Levi Beckmesser, das Opfer von Wagners Judenhass. Die psychologische Durchdringung des Komponisten, der in Villa Wahnfried mit historischen Begleitern wie Schwiegervater Franz Liszt haust und zum Regisseur aller und des eigenen Lebens wird, ist großartig. Koskys Personenführung ist - auch dank der schier übermenschlichen Michael Volle (Sachs) und Johannes Martin Kränzle (Beckmesser) - so ausgeklügelt, dass sie auch überall dort packt, wo Aktion fehlt - etwa in Aufzug zwei, wo rein Zwischenmenschliches bebt.

Womit wir bei Koskys Verweigerung sind. Abgesehen von Wahnfried-Aufzug und Prügelszene vermeidet er ein Denken in den Kategorien Schuld und Sühne. Die Kulisse des Gerichtssaals bleibt leeres Versprechen, Zeugenstand und Anklagebank verkommen zu Orten szenischen Zufalls. Hier finden einfach nur zufällig "Meistersinger" statt. Das führt zu buchstäblicher Enttäuschung und zur Frage: Was will Kosky eigentlich? Genau das! Deutschland und die Deutschtümelei, die Geschichte und ihre Verbrechen, sie verblassen hinter der Kunst, der es hier ja am Ende gilt. Sachsens "Verachtet mir die Meister nicht, und ehrt mir ihre Kunst!" erscheint da wie ein Wegwischen historischer Dämonen. Der Australier klagt die Deutschen nicht an, räumt die Bühne am Ende auf von all den historischen Kulissen und überlässt die Bühne eben sich selbst. Wenn hier jemanden Schuld trifft, dann wird sie kollektiv geteilt. Von uns. Von unseren Vorfahren. Das hat Stringenz.

Dass der Abend so gut funktioniert, liegt freilich auch daran: Volle und Kränzle charakterisieren sensationell, betonen gekonnt und spielen vital, auch die Meistersinger sind bestens besetzt, Daniel Behle ist einer der besten Davids und Klaus Florian Vogt der zur Zeit wohl weltweit beste Stolzing. Nur Anne Schwanewilms, die als Eva allenfalls im lyrischen Pianobereich überzeugt, in den dramatischeren Höhen aber oft mit Schärfen und leider auch mit der Intonation zu kämpfen hat (und gar ausgebuht wird), fällt ab. Doch Philippe Jordan begleitet mit einem gut aufgelegten Orchester und grandiosem Chor, ohne in der Festwiesenszene auf den berühmten "Reichstagsorgasmus" (leider mit Patzern) zu verzichten, überaus sensibel, was zu hoher Textverständlichkeit führt.

Unter dem Strich werden diese "Meistersinger" (so besetzt) wohl der Renner der nächsten Jahre werden. Rätselhaft, wie sie sind, lassen sie uns und dem Werk zwar teils zu viel Freiheit für Fantasie. Aber wer wollte das in diesen Zeiten schlecht finden!

Bayreuther Festspiele

"Meistersinger"-Regie mahnt

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Die Kosky-Inszenierung am Grünen Hügel

Das Werk: Wagners "Meistersinger von Nürnberg" entstanden von 1845 (Prosaentwurf) bis 1868 (Uraufführung in München). In Bayreuth wurde das Werk erstmals 1888, fünf Jahre nach Wagners Tod, gespielt.

Die Handlung: Die Meistersinger sind eine christliche, verkrustete, von alten Regeln und Bräuchen erlahmte Gesellschaft vor allem von Handwerkern. Sie singen sogar nach präzisen Regeln ihre Lieder, die schablonenhaft aus Bar, Stollen und Abgesang bestehen, die der strenge Beckmesser eisern hütet. In diesen Kreis tritt der Junker Walther von Stolzing und verliebt sich in Eva, Tochter von Goldschmied Pogner. Der gibt seine Tochter aber nur einem Meistersinger zur Frau. Stolzing kreiert mit Hilfe von Hans Sachs, der hinter seinem modernistischen Singen eine große Begabung sieht, ein Meisterlied und besteht die Prüfung im Beisein von ganz Nürnberg. Als er zum Meister gemacht werden soll, lehnt er ab. Sachs mahnt: "Verachtet mir die Meister nicht."

Die Termine: 31.7., 7./15./19./27.8. (16-22.30 Uhr, ausverkauft). Vorverkauf 2018 vermutlich ab Herbst. dms

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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