Schön wie Poesie selbst sind bereits die Titel seiner Werke: „Die Blumen des Bösen“, „An eine Vorübergehende“, „Leuchtfeuer“, „Die Verwandlung des Vampirs“, „Mein bloßgelegtes Herz“, „Der Schwan“. Auf Französisch, wenn wunderte es, klingt natürlich noch schöner, was sich bei ihm im Laufe eines Lebenswerks – merklich aus der Romantik kommend – zu ästhetisch aufgeladenem Symbolismus entwickelt.
Charles-Pierre Baudelaire, an diesem Freitag vor 200 Jahren in Paris als Sohn eines kunstsinnigen Beamten geboren, gilt als Basiskünstler der literarischen Moderne, einer, dem heutige Literatur- und Kunstfreunde mit Fug und Recht all das zurechnen, was in der Kulturgeschichte bis heute als „typisch französisch“ gilt: salon, décadence, l’art pour l’art, flaneur, dandy, aber eben auch tristesse und mélancholie – motiv- wie kulturgeschichtliche Begrifflichkeiten, die am Ende in ein großes Wort münden: Moderne.
Romantisch war das Leben des früh zum Halbwaisen und Stiefsohn eines strengen Generals gewordenen Charles nicht. Ungeliebt fühlt er sich als Jugendlicher – eins bedingt das andere –, ist Problemschüler vieler Internate und bringt als junger Dandy früh seinen nicht unerheblichen Pflichterbteil mit Prostituierten, Alkohol und anderen Substanzen durch. Und als wäre das nicht genug, wird er 1848 auch noch dichtender Revolutionär.
Künstler und Bürgerschreck
In einer Zeit des Umbruchs gehört Baudelaire zu den intellektuellen Müßiggängern jener „aufgelösten und hin und her geworfenen Masse, die die Franzosen la bohème nennen“, schreibt der nahezu angewiderte Karl Marx. Alles, was würdig und recht ist, wird den getriebenen syphilitischen Flaneur später versuchen festzuhalten – mit Worten, Gemälden oder der frühen Technik der Fotografie: Arthur Rimbaud, Paul Verlaine, Edouard Manet, Félix Nadar, bis hin zu Walter Benjamin oder Jean Starobinski.
Berühmt berüchtigt wurde der leidenschaftliche Übersetzer Edgar Allen Poes mit der Besprechung einer Kunstausstellung, des Pariser Salons von 1846, den er frech „den Bourgeois“ widmete. Der Bürger nicht als Edelmann und nicht als Citoyen, sondern als kleinlicher (Spieß-)Bürger mit leidlicher Besserverdienerbildung … – ein Skandal! Baudelaire rieb sich an Napoleon III. oder dem Präfekten und Paris-Modernisierer Baron Haussmann. Sein Feindbild war der bürgerliche Fortschrittsoptimismus, den eben jene beiden Herren in einer technikgläubigen und in Frankreich früher als in Deutschland einsetzenden „Gründerzeit“ zweckoptimistisch vorantrieben.
Mit nahezu religiöser, dämonischer, wortwörtlich oft satanischer Inbrunst machte Baudelaire sich ans lyrische Werk, dessen wollüstiges Verlangen, tiefe Traurigkeit und gerechter Zorn bei der Politik wenig, bei den Künstlern seiner Zeit hingegen glänzend ankam.
In „künstlichen Paradiesen“ beging er Zivilisationsfluchtversuche. Mittels Wein, Opium und Haschisch feierte er im „Götterhimmel“ „Feste der Phantasie“, die halfen, der Banalität der Wirklichkeit zu entrinnen. Den Überblick über das soziale Gefüge seiner Zeit verlor er dennoch nicht. Im „Spleen von Paris“ schreibt er einfühlsam in kleinen Prosa-Gedichten über Armut, Elend und Altern in einer zunehmend von industrieller Arbeit bestimmten Welt.
„Die Blumen des Bösen“
Bekannt wird der zu Lebzeiten wirtschaftlich nicht erfolgreiche Dichter also als Rezensent, als Verfasser theoretischer, kritischer Aufsätze und Kunstbetrachtungen, buchstäblichen „Ästhetischen Merkwürdigkeiten“, es folgen Novellen und eben seine unvergleichliche Lyrik. Doch das System schlägt zurück: Wegen „verderblicher Wirkung der Bilder“ und „Verletzung des Schamgefühls“ und „Verhöhnung der guten Sitten“ schossen seine „Blumen des Bösen“ bis zu Gericht auf, wo ihm und ihnen Geldstrafen und Ausmerzung einzelner Gedichte blühten. Ein Urteil, das übrigens erst 1949 aufgehoben wurde.
Baudelaire unterscheidet nicht zwischen den einzelnen Kunstgattungen, seine einzige und alle Genres umfassende große Kunst heißt Ästhetik. Ab 1860 ist der „radikale Romantiker“, als den er sich bezeichnet, glühender Verehrer des mit „Tannhäuser“ in Paris gastierenden Richard Wagners. In seinem Wagner-Aufsatz oder dem Gedicht „Correspondances“ legt er die Grundlage für Symbolismus und synästhetische Betrachtungen. Dem Musiker erscheinen „Farben, Düfte und Strahlen als Töne“, der Maler sieht Klänge. Das Empfinden ist somit das eigentliche Wesen der Kunst, in der vom Künstler belassene Lücken deren eigentliche Schönheit ausmachen.
Zu seiner noch um 1850 vertretenen These, Kunst sei von Nützlichkeit nicht zu trennen, stellt somit keinen Widerspruch zum späteren Einsatz für den Gedanken einer l’art pour l’art. Kunst um der Kunst willen, die sich an keinen Zweck binden, in keinen Dienst stellen lässt.
Charles Baudelaire machte damit auch die künstlichen Reize der Großstadt salonfähig. In einer Sprache, die ins Fleisch dringt, die aufschäumt, berauscht und zerschmettert, um dann wieder nahezu lakonisch im leeren Raum zu schweben scheint, um sich für eigene Gedanken zu öffnen.
Es sind jene „Lücken der Schönheit“, für die ihm die nachfolgenden Symbolisten und die Nachwelt zu danken haben.
Felina zeigt Choreographien
Sein trauriges Ende: Nach einem schweren Schlaganfall verbrachte der Dichter noch ein Jahr, betreut von seiner Mutter, stumm und gelähmt in einem Pariser Pflegeheim, bevor er am 31. August 1867 mit nur 46 Jahren starb. Begraben liegt er auf dem Pariser Friedhof Montparnasse.
In seiner 1847 erschienenen Erzählung „Die Tänzerin Fanfarlo“ befand Baudelaire: „Tanz, das ist Poesie mit Armen und Beinen, ist der Stoff, anmutig und schrecklich, beseelt, verschönert durch die Bewegung.“ Das Mannheimer Theater Felina Areal widmet dem „radikalen Romantiker“ und „Vater der Symbolisten“ daher die Online-Tanzproduktion „Tanzt, böse Blumen!“.
Von 15. bis 19. April werden von 19 bis 21 Uhr vier vierteilige Choreographien gezeigt (den Link gibt es zuvor unter theater-felina.de). rcl
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