Anna Ermakova ist die Tochter von Boris Becker und dessen Kurzzeitaffäre Angela Ermakova. Sie wuchs in London auf, wo sie nach wie vor lebt, und wir alle erinnern uns vermutlich an die Kinderbilder der kleinen Anna, die uns die Boulevardmedien (und nicht nur die) genüsslich unter die Nase hielten. Inzwischen ist Anna Ermakova 24 Jahre alt, hat einen Bachelor-Abschluss in Kunstgeschichte und probiert sich seit einigen Jahren auf verschiedenen Feldern der Unterhaltungsbranche aus.
Mit „Behind Blue Eyes (The Movie Album)“ veröffentlicht Ermakova nun eine Sammlung von Coversongs, deren Originale wie „Sweet Dreams (Are Made Of This)“, „Enjoy The Silence“ oder „Blue Monday“ mehrheitlich in den Achtzigern entstanden. Eine neue Annie Lennox oder Lana del Rey wird eher nicht aus Anna, aber anhören kann man sich das durchaus. Wir unterhielten uns mit Anna Ermakova über Zoom.
Frau Ermakova, ich erwische Sie gerade in Monaco, wo Sie zusammen mit Ihrer Mutter und ein paar Freunden der Familie Urlaub machen. Wird das mit der Entspannung umso wichtiger, je mehr Sie beruflich um die Ohren haben?
Ermakova: Oh ja. Je mehr ich arbeite, desto mehr muss ich auch abschalten. Ich finde es sehr wichtig, mich immer wieder nur auf mich selbst zu konzentrieren. Schwimmen ist das Beste, aber auch Yoga und Meditation tun mir gut.
Abschalten und an gar nichts denken ist oft nicht so leicht. Wie schaffen Sie das?
Ermakova: Indem ich mich ganz meinen Tagträumereien hingebe. Dann denke ich über mein Leben nach, meine Zukunft, daran, was ich erreichen möchte, welche Ziele ich habe. Vor allem versuche ich, die ganzen fremden Stimmen auszuschalten, die Meinungen der anderen, die Kommentare im Internet, dieses ganze Grundrauschen, was einen echt runterziehen kann. So viele Menschen meinen, ihr Urteil über mich fällen zu können. Besonders übel ist es im Internet. Dort kauern die Leute hinter ihren Bildschirmen und bewerfen dich mit Dreck. Umso wichtiger ist es, dass ich selbst so gut es geht bei mir bleibe.
Vielseitige Karriere
- Anna Ermakova begann ihre Modelkarriere im Alter von 14 Jahren mit einem Auftritt auf der Berlin Fashion Week. Sie war auch auf dem Cover des britischen Modemagazins You zu sehen.
- 2023 wurde sie durch „Let’s Dance“ zusammen mit Profitänzer Valentin Lusin einem breiteren Publikum bekannt. Seit Januar 2024 ist sie Jurymitglied bei „Das Supertalent“ und hat sich auch als Sängerin einen Namen gemacht.
Was sind das für Urteile?
Ermakova: Über mein Aussehen. Meine Stimme. Meine Eltern. Mein ganzes Anna-Sein. Man muss das zur Seite schieben. Die Ansichten anderer Leute kann ich eh nicht ändern. Aber schön ist das trotzdem nicht.
Sie haben als Model gearbeitet, Kunstgeschichte studiert, 2023 „Let’s Dance“ gewonnen und bringen nun mit „Behind Blue Eyes“ ein Album mit Coversongs raus. Was ist eigentlich Ihr Beruf?
Ermakova: Tja, ich verändere mich ständig und wachse als Person. Wir alle haben viele Seiten an uns, und ich möchte alle meine Seiten ausprobieren und ausleben. Ich halte nichts davon, in eine Schublade gesteckt zu werden, aus der ich nicht mehr rauskomme. Ich bin sehr dankbar für all die Möglichkeiten, die ich bekomme. Mir ist bewusst, dass nicht jeder in so einer privilegierten und glücksgeküssten Position ist wie ich selbst. Es ist wundervoll, dass ich machen kann, was ich liebe, meinen Leidenschaften folgen kann. Und mich währenddessen selbst immer besser kennenlerne.
Haben Sie sich immer schon ungern auf eine Sache festgelegt?
Ermakova: Ich sehe das Leben als eine nicht endende Reise, auf der man stets darauf achten sollte, sich nicht selbst zu bekämpfen und nett zu sich zu sein. Als Kind hatte ich so viele Flausen und Gespinste im Kopf, ich wollte Tänzerin, Sängerin, Schauspielerin werden. Und alle immer so: Anna, du musst dir eine Sache aussuchen. Das hat mich gestört. Ich habe keine feste Definition dafür, wer und was ich bin. Ich möchte mich mit allen Mitteln ausdrücken können, sei es mit meiner Stimme oder mit meinem Körper.
Waren Sie glücklich als Teenager?
Ermakova: Glücklich ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich war auf der Suche. Ich wollte wissen, was denn Sinn und Zweck meines Lebens ist. Das hing damit zusammen, dass ich mich nicht richtig zugehörig fühlte, nirgendwo wirklich reinpasste. Meine Herkunft, mein kulturelles Erbe, meine Interessen - es war manchmal ein bisschen viel für mich.
Die Eltern meiner Mutter stammen aus Nigeria und Russland, mein Vater ist Deutscher, ich sah anders aus als die anderen. Ich wollte immer klein sein, mich klein machen. Aber irgendwann funktionierte das nicht mehr, ich war, rein körperlich, nicht mehr klein. Und ich entschied, dass ich mich nicht länger verstecken will. Viele haben sich gewundert, selbst Menschen, die mich ganz gut kennen, meinten „Anna, wo kommst du denn plötzlich her?“
Auf dem Album singen Sie das Stück „Iris“ von der Band Goo Goo Dolls. Im Text heißt es: When everything’s made to be broken/ I just want you to know who I am“, also „Wenn eh alles den Bach runtergeht, will ich wenigstens, dass du weißt, wer ich bin.“ Ist das so ein typisches Anna-Ermakova-Gefühl?
Ermakova: Oh Gott, der Song bedeutet mir wirklich wahnsinnig viel. In meiner Jugend dachte ich oft, es ist leichter für mich, wenn ich unsichtbar bin. Als ich jung war, wirklich noch ein Kind, fand ich oft - ohne das auch nur im Ansatz zu wollen - in den Medien statt. Das war super unangenehm und oft echt peinlich. Also trat ich einen Schritt zurück, bewegte mich unter dem Radar und versuchte, herauszufinden, was ich selbst vom Leben will. Ganz früh war mir klar, dass ich kein Leben möchte, in dem andere mir sagen, was ich tun soll.
Was hat Sie besonders gestört?
Ermakova: Das Gerede und Geraune der Leute darüber, wie ich sozusagen entstanden bin. Unter welchen Umständen. Vieles war einfach dummes Zeug, aber für ein Kind ist das hart, solche Dinge zu lesen. Und dann immer diese Berichte über meine Eltern. Der Wunsch, den Leuten zu zeigen, dass ich mehr bin als das, was sie in mir sehen, der wuchs immer mehr.
Man kann sich seine Eltern nun mal nicht aussuchen.
Ermakova: Nein, das kann man nicht. Ich kann auch meine Herkunft und mein Leben nicht ändern. Ich will auch gar nichts ändern. Ich möchte keine anderen Eltern, ich möchte kein anderes Leben. Aber dadurch, dass viele Geschichten über mich so falsch waren, bin ich vorsichtiger geworden, vielleicht etwas weniger offen. Jetzt kommen oft Menschen zu mir und sagen „Mensch, Anna, du bist ja richtig nett, das hätten wir gar nicht gedacht“. Ja, was haben die Leute denn geglaubt? Ich habe doch nichts verbrochen (lacht).
Das letzte Lied auf dem Album heißt „Sorry Seems To Be The Hardest Word“ von Elton John. Ich kann mir vorstellen, dass Sie der eine oder andere in Ihrem engsten Familienkreis irgendwann mal um Entschuldigung gebeten hat.
Ermakova: Ich habe es nie so gegenüber meinen Nächsten in Worte gefasst, doch dieser Song spricht die Dinge wunderbar an, die mich seit langem sehr beschäftigt haben. Ich habe dieses Lied, wie viele andere auch, immer im Badezimmer gesungen. So etwas zu singen und auszudrücken, war und ist sehr heilend für mich.
Sie singen aber auch leichte und fröhliche Nummern wie „Son Of A Preacher Man“ oder erotische Lieder wie „Wicked Game“.
Ermakova: Ja, der Song ist wirklich sexy. Die Liebe ist ein Teil des Lebens, ein sehr schöner Teil des Lebens. Auch was die Liebe betrifft, bin ich eine Träumerin und ziemlich romantisch drauf.
2023 war ein großes Jahr für Sie. Sie haben bei „Let’s Dance“ gewonnen und Ihr Studium der Kunstgeschichte abgeschlossen. Was haben Sie an der Uni gelernt?
Ermakova: Ich war auf einem sehr kleinen Institut, wir haben zu zehnt in der Klasse mit den Lehrkräften diskutiert, und ich habe gelernt, respektvoll zu widersprechen und angstfreier meine Meinung zu sagen. Außerdem fasziniert es mich, wie du aus philosophischer, zeitgeschichtlicher oder politischer Perspektive auf ein Kunstwerk schauen und dabei ganz unterschiedliche Rückschlüsse auf Kunst und Künstler zu ziehen. Ich habe gelernt, dass es diverse Blickwinkel gibt, und alle können auf ihre Art schlüssig sein.
Seit „Let’s Dance“ lernen Sie auch Deutsch. Wie machen Sie sich?
Ermakova: Gar nicht so schlecht. Ich bin in London sehr multikulturell aufgewachsen, mit vielen Freundinnen und Freunden aus aller Welt, bei uns zu Hause wuchs ich am ehesten mit der russischen Kultur auf, obwohl ich in meinem ganzen Leben nur einmal für zwei Tage in Russland war. Mit Deutschland war es so, dass ich häufiger dort zu Besuch war und auch ein bisschen durchs Land gereist bin, aber immer ein bisschen zögerlich war, mich diesem Teil meiner Identität anzunähern.
Wann haben Sie begonnen, Ihre deutsche Seite zu umarmen?
Ermakova: Während „Let’s Dance“. Da bin ich endgültig aus meinem Schneckenhaus gekrochen. Das Fremdeln, das ich lange in Bezug auf mein Deutschsein spürte, ist seitdem verschwunden.
So ein wenig haben sich die Deutschen in Sie verliebt, oder?
Ermakova (lächelt): Ich selbst will das nicht behaupten, aber es ist sehr schön, wenn Sie das sagen. Ich glaube, dass mich die Menschen jetzt, auch durch dieses Album, tatsächlich kennenlernen. Früher war ich immer nur das Resultat aus den Entscheidungen und Aktionen meiner Eltern. Jetzt werde ich als eigene Person mit einer eigenen Identität gesehen und anerkannt. Ich bin Anna. Und das fühlt sich wirklich sehr gut an.
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