Klassik

Bryce Dessner von The National veröffentlicht Album "Solos"

Indie-Rock trifft Klassik: Der Gitarrist Bryce Dessner der Band The National präsentiert eine Sammlung neoklassischer Werke, die tief in seiner musikalischen Vergangenheit verwurzelt sind

Von 
Marcel Anders
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Eigentlich ist der Mann aus Cincinnati ein Rockstar: Als Gitarrist der amerikanischen Indie-Rock-Band The National füllt Dessner Mehrzweckhallen und ist Stammgast in den internationalen Charts. Doch der 48-Jährige hat noch eine zweite, weitgehend unbekannte Seite - als gefragter Komponist der neo-klassischen Musik. Mit „Solos“ (Sony Classical) legt er nun eine Werkschau seines bisherigen Schaffens in diesem Metier vor: Auszüge aus Auftragsarbeiten der letzten 25 Jahre, die in der Pop- und Rockwelt kaum wahrgenommen wurden.

Dessner hat einen Magister in Musik und Komposition gemacht

„Tatsächlich bin ich mit klassischer Musik aufgewachsen“, setzt der Multiinstrumentalist an. „Zuerst habe ich Flöte gespielt, dann - als 13-Jähriger - Gitarre. Die habe ich auch studiert - und meinen Magister in Musik und Komposition an der Yale Universität gemacht. Anschließend habe ich das Konservatorium in Paris besucht. Insofern finde ich es lustig, wenn mich Leute fragen, wie ich vom Rock zur Klassik gekommen bin. Es war genau umgekehrt.“

Und: Als The National noch in winzigen New Yorker Clubs spielten und nur davon träumten, von ihrer Musik leben zu können, hat Bryce Dessner schon mit Ikonen wie Philip Glass und Steve Reich gespielt. Die Pioniere der Minimal Music - die sich ab den 1960ern in den USA entwickelte - waren seine Mentoren. Sie erteilten ihm erste Auftragsarbeiten, haben ihn zum Teil ihres Tour-Ensembles gemacht und in die Welt der E-Musik eingeführt - was außerhalb dieses Zirkels kaum jemand wahrgenommen hat.

Soundtrack für „The Revenant“ komponiert

„Die beiden Welten funktionieren völlig unabhängig voneinander“, setzt Dessner an. „Wobei Vertreter der Klassik mitunter pikiert reagieren, wenn sich etwas wie ein Crossover anfühlt oder von jemandem kommt, der nicht Teil der Akademie ist. Der mexikanische Regisseur Alejandro Inarritu hat mich gebeten, den Soundtrack zu „The Revenant“ zu übernehmen, nachdem er mich mit den Los Angeles Philharmonic gehört hatte. Als er von meiner Band erfuhr, hat das für Irritation gesorgt. Dabei will ich nur Musik machen, die mich wirklich interessiert - die ich aufregend finde.“

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Dessners erstes Klassik-Album „Solos“ ist eine Werkschau seines bisherigen Schaffens - und extrem vielseitig: 15 Stücke zwischen kurzen Zweiminütern und epischen Elfminütern. Mal mit Klavier, Cello, akustischer Gitarre, Harfe oder Marimba - mal verträumt, expressiv oder meditativ. Ein undefinierbarer Hybrid aus allen erdenklichen Stilen und Strömungen, der Elemente aus Folk, Barock, Romantik und Avantgarde aufgreift bzw. Bach, John Dowland, Liszt und Philip Glass zitiert. „Meine Einflüsse decken wirklich alles ab, aber für europäische Ohren dürften sie vor allem minimalistisch anmuten. Ich selbst bezeichne das als Mikro-Minimalismus, weil ich da nicht starr vorgehe. Gerade meine längeren Stücke haben viel Tiefe - und eine repetitive, rhythmische Energie. Die verändert sich ständig und bricht aus bekannten Mustern aus.“

Befreundete Künstler wirkten beim Album „Solos“ mit

Mit 48 Jahren zählt Bryce Dessner zu den jungen Wilden der Klassik. Ein Genre, gegen das er nicht wirklich rebelliert, aber dessen unterschiedliche Spielarten er auf progressive Weise kombiniert - für Ballett, Theater, Ausstellungen und Soundtracks. Für Orchester, Streichquartett oder Klavier - und befreundete Künstler, die auch an „Solos“ mitwirken: Koryphäen wie Katia Labèque, Pekka Kuusisto oder - im Stück „Tuusula“ - Anastasia Kobekina. „Ein virtuoses Stück - aber durchaus spielbar. Ich habe schon gehört, wie es von Studenten aufgeführt wurde. Doch Anastasia Kobekina ist eine der besten Cellistinnen der Welt. Sie ist unglaublich, spielt eine Stradivari und hat das Ganze in drei Versuchen aufgenommen. Das war’s.“

Auch neue Stücke für The National geplant

Seine Stücke komponiert Dessner auf einem historischen Bauernhof im südfranzösischen Ciboure. Aktuell arbeitet er an einem Soundtrack, einem Cello-Konzert und neuen Stücken für The National. Im November tourt er zum ersten Mal als Solist - durch klassische Konzertsäle. Ein erfülltes Künstlerleben zwischen zwei Welten. Kein Wunder, dass er auf dem Cover von „Solos“ lächelt wie ein Honigkuchenpferd.

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