Klassik

Vitales Spiel, attraktiver Klang

Finale bei Pro Arte: Das Klavierduo Katia und Marielle Labèque, gemeinsam mit den Filarmónica Joven de Colombia unter der Leitung des kolumbianischen Dirigenten, Andrés Orozco Estrada, verzücken das Publikum.

Von 
Eckhard Britsch
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Berühmtes Klavierduo: Katia und Marielle Labequé. © Umberto Nicoletti

Was war das damals ein Aufschrei der Bürgerlichen, als Joschka Fischer in Hessen zu seiner Minister-Vereidigung in Turnschuhen antrat. Inzwischen sieht man in Stuttgart manchen Industriekapitän mit selbigem Fußwerk in die Oper pilgern, und soeben trat im Mannheimer Mozartsaal eine Musiker-Jungschar mit solchen Tretern als Erkennungsmerkmal an: Die Filarmónica Joven de Colombia mit Andrés Orozco-Estrada am Pult spielte Heimisches plus die riesenhafte „Symphonie fanrtastique“ von Hector Berlioz mit jugendlichem Elan und opulentem Klangsinn, wonach Begeisterung zu Recht aufbrandete.

Dieser temperamentvolle Orchesterleiter würde am liebsten jede Note ausdirigieren, sein Temperament, Schwung und intensive Deutung der Stücke teilen sich den Musikern unmittelbar mit. Es ist Kolumbiens Nachwuchselite, die sich in dieser Philharmonie versammelt und nach einer Probenwoche in Wolfenbüttel auf Deutschlandtournee begibt.

Grelle Orchesterschlacht

Die Qualität dieses Orchesters hat auch die Klavier-Schwestern Katia und Marielle Labèque so beeindruckt, dass sie gerne das Stück „Nazareno“ von Osvaldo Golijov für Orchester, zwei Klaviere und Percussionisten (Gonzalo Grau und Raphael Séguinier) servieren. Zum perfekten Spiel der Pianistinnen passt ihr extravagantes Outfit; das Orchesterwerk selbst beeindruckt durch rhythmische Vitalität, Zitierung heimischer Melodik und ein ungeniertes Ausleben dessen, was die Partitur hergibt. Als Zugabe hämmerten die vier Solisten noch Bernstein (aus der „West Side Story“) sehr beschwingt, ja mitreißend in die Instrumente. Alle glücklich.

Als Eingangsstück hatten die Gäste das neunminütige „Travesia“ ihres Landsmanns Wolfgang Ordoñez, in welchem solistische Qualitäten (Klarinette, Geige) ebenso gefragt sind wie ein satter, farbenfroher Sound, der Lebensfreude vermittelt.

Nach der Pause präsentierte Orozco-Estrada mit seinem Klangkörper die „Episode aus einem Künstlerleben“ von Hector Berlioz auf. Der kühne Aufriss dieses fünfsätzigen Selbstbekenntnisses eines liebestollen und von der Liebe enttäuschten Jünglings wurde in der Wiedergabe des lustvoll und voller Elan aufspielenden Orchesters exemplarisch ausgelebt. Die Stimmungen einer exaltierten Künstlernatur, eingebettet in ein überbordendes Instrumentarium, fanden hier attraktiven Ausdruck. Die „Szene auf dem Land“ mag an Beethovens „Pastorale“ erinnern, der finale „Traum in der Walpurgisnacht“ wird im Spiel der Gäste aus Kolumbien zur grellen Orchesterschlacht.

Nach 53 Minuten hatten die Musikerinnen und Musiker noch nicht genug und schenkten das „Intermezzo sinfonico“ von Pietro Mascagni dem begeisterten Publikum ebenso süffig wie sentimental als Zugabe.

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