„Wovon sprechen wir denn, tausend Dichter, alle wie mit einer Zunge? Na, immer und ausschließlich von diesem Verfehlen und jenem Danebengehen. Und zu wem reden wir davon? Zu lauter Vorüberziehenden, die Bücher nur mit einem Seitenblick in ein Schaufenster streifen. Passanten! Vergeblich der Versuch, sie aufzuhalten. “Also spricht im neuen Prosaband von Botho Strauß der alternde Dichter zu einem jungen Kollegen. Man darf diese Figur wohl als ein Alter Ego des Autors begreifen, der an diesem Montag 75 Jahre alt wird.
Das neue Buch von Botho Strauß, „zu oft umsonst gelächelt“, präsentiert sich als lose Folge von erzählten Szenen, Skizzen und Betrachtungen. Eingerahmt werden sie von Auslassungen jenes alternden Dichters, eines Menschenbeobachters „auf den Spuren ausgestorbener Liebesarten“. Ein solcher ist Botho Strauß seit seinen Anfängen. Sein Sujet als Dramatiker, Erzähler und Essayist sind die Passionen und Verrenkungen von Paaren, das komische Torkeln der „Liebestrottel“, die Wunden der Verlassenen und die Spleens der Vereinzelten. Botho Strauß kennt das Gestenrepertoire des Sozialen wie der Intimität.
Gefühle des Ergriffenseins
Insistierend richtet er nun erneut seinen physiognomischen Blick auf die beiläufig verrutschten Gesten, deutet leichte Fehlgriffe in der äußeren Erscheinung als versteckte Vorboten anstehender Verluste. Er hört den Unstimmigkeiten des Tonfalls nach. Dem großen Gefühl des Ergriffenseins vom Anderen nicht gewachsen, fallen die Liebenden bei Strauß nach Momenten der Verzückung zurück in ihre banale Existenz – und das auf ebenso erbärmliche wie hintergründig komische Weise.
Da ist beispielsweise die Frau, die ihren Ehemann gewohnheitsmäßig abkanzelt und dabei spitzfindig keine Kleinlichkeit auslässt: „das Kleinliche gehört zu den schlimmsten Heimsuchungen einer missglückten Liebe“. Die Indiskrete tritt auf, die „alle Männer hinter sich“ hat, und der Tollpatsch, lebenslang gedemütigt als „kälbischer Verpfuscher der ersten Liebesnacht“. Männer kommen hier auffällig oft als erbarmungswürdige Gestalten daher: forsch im Auftritt, nichts ahnend in ihrem Bescheidwissen; sich im Ton vergreifend, sind sie Narren verhinderter Nähe oder Inkarnationen der Vergeblichkeit im bunten Gewand der Spaßgesellschaft. Deutlicher noch als in realistisch aufgemachten Szenerien offenbaren sich die subtilen Verästelungen der Gefühle in phantasmagorischen Miniaturen.
Mit leichter Verschiebung ins Surreale bezirzt in ihnen der geheime Wunsch die Wahrnehmung, das Begehren blendet die Blicke. Oder es lenkt sie auf Wirklichkeiten jenseits des abgeklärten Beziehungsmanagements zwischen „Partnern“, also dorthin, wo die Liebe sich unbekümmert um „die liberalen Sicherungen unserer Moral“ in Szene setzt.
Da kann vorgetäuschte Untreue prekären Liebesordnungen Bestand verleihen und von der Mitwelt verlachte Duldsamkeit sich als Stärke erweisen. Wenn dann in einem Hotelflur auf wundersame Weise alle Türen offenstehen, erlaubt das, was im realen Leben sich kaum jemand herausnehmen würde: verstohlene Blicke auf Kampfplätze der Liebe.
Der Erzähler Strauß entwirft solche Konstellationen mit leichtem Federstrich und Gespür für eine Komik, der alles Auftrumpfende oder Besserwisserische fremd ist. Von den oft angestrengten, gelegentlich auch prätentiösen Bezügen auf mythologische Muster , wie man sie von ihm kennt, bleibt die aktuelle Prosa weitgehend frei. Wenn es sich hier um ein Alterswerk handelt, dann eines, das zu erstaunlich lakonischem, beinah heiterem Tonfall fähig ist.
Botho Strauß kann auch anders, wie er in seinem ebenfalls gerade erschienenen Lesedrama „Saul“ beweist. Die Geschichte des von Gott und dem Glück verlassenen ersten Königs der Israeliten hat viele zur Gestaltung gereizt: von Händel über Rilke bis zu Karl Wolfskehl. Strauß macht den Stoff zum Kammerspiel über einen unglücklich Überforderten. Von seinem Amt gezwungen, innerem Mangel Stärke abzugewinnen, tut er im unbesonnenen Übereifer stets das Falsche. Obwohl der ans Alte Testament angelehnte Tonfall nie ins Archaisierende gerät, erscheint das Stück ein wenig sperrig, jedenfalls fürs gegenwärtige Theater. (Wolfgang Rihms Oper nach dieser Vorlage ist wegen der Krankheit des Komponisten bislang noch nicht aufgeführt worden.)
Mag Strauß also auf der Bühne derzeit nicht so präsent sein wie früher – der Erzähler ist noch zu vernehmen: eine unverwechselbare Stimme, die vielleicht unzeitgemäß anmutet. Aber wer genau hinhört, kann in unangestrengt kunstvoller Sprache mit Vergnügen den scharfsichtigen Chronisten unserer taumelnden Liebesversuche sprechen hören.
Erzähler und Dramatiker
- Botho Strauß, 1944 in Naumburg/Saale geboren, ist einer der bedeutenden deutschsprachigen Dramatiker und Erzähler der Gegenwart. Vor allem die Literatur der 1970er und -80er Jahre hat er maßgeblich geprägt, mit mit vielgespielten Theaterstücken wie „Groß und klein“, „Kalldewey, Farce“, oder „Der Park“.
- Von seinen erzählerischen Werken waren vor allem die Miniaturen „Paare, Passanten“ (1981) und der Roman „Der junge Mann“ (1984) einflussreich.
- Strauß erhielt viele Preise, darunter auch der Georg-Büchner-Preis.
- Die neuen Bücher heißen „zu oft umsonst gelächelt“ (erschienen im Carl Hanser Verlag, München. 213 Seiten, 22 Euro) sowie „Saul“ (Rowohlt Verlag, Hamburg. 92 Seiten, 20 Euro). tog
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