Mannheim. Mister Elling, Sie kommen am 7. Mai zum Landesjazzfestival nach Mannheim. Das ist Teil Ihrer ersten Europa-Tournee seit Beginn der Pandemie – fühlt sich das nach zurückgewonnener Freiheit an?
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Kurt Elling: Sehr sogar! Es macht mich glücklich, in Europa und mit der Band auf Tour zu sein. Es bedeutet mir aber jetzt besonders viel, für Leute zu singen und so ein bisschen zur Gemeinschaft beitragen zu können – so weit ich es mit meinem kleinen Arsenal an Fähigkeiten kann.
Apropos Band: Wer steht mit Ihnen auf der Bühne in der Alten Feuerwache? Wahrscheinlich Gitarrist Charlie Hunter und Drummer Nate Smith, mit denen Sie zuletzt aufgenommen haben ...
Elling: Charlie auf jeden Fall, Nate wohl nicht. Ich weiß noch nicht genau, wie die Rhythmussektion, also die Besetzung an Bass und Schlagzeug, aussehen wird. Ich denke, wir werden zu viert sein.
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Wird die Setlist hauptsächlich aus Ihren Disco-Soul-Funk-Interpretationen vom jüngsten Album „SuperBlue“ (2021) und der kommenden EP „Guilty Pleasures“ bestehen?
Elling: Es wird ein Mix aus Alt und Neu. „SuperBlue“, die EP und „SuperBlue 2“, das gegen Ende des Frühlings erscheinen soll, werden aber eine große Rolle spielen.
Ist Disco-Funk für Sie als Jazz-Sänger „Guilty Pleasures“, also schmutzige, verbotene Vergnügen?
Elling: Das zu behaupten, wäre etwas kokett. Mir geht es um das Ergebnis. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich jemals einen Song von AC/DC covern würde wie auf „Guilty Pleasures“. Oder etwas von Eddie Money. Wir versuchen einfach Spaß zu haben und Musik zu machen, die ich noch nie zuvor gespielt habe – um sich weiterhin zu entwickeln.
„Guilty Pleasure“s könnte man auch auf die sexuelle Nebenbedeutung des Wortes Funk beziehen – als Geruch, der beim Sex entsteht.
Elling: Das wäre möglich ... (lacht).
Bisher kann man Isaac Hayes’ „Wrap It Up“ und den durch Al Jarreau zum Welthit gewordenen Motown-Klassiker „Boogie Down“ auf den Streaming-Diensten hören. Was ist bei solchen Songs die gesangliche Herausforderung?
Elling: Es ist eigentlich dieselbe wie bei jedem verjazzten Song: Mit dem Level der Band mitzuhalten, es funky hinzubekommen und so gut zu singen, wie ich kann. Das ist es schon.
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Sie sind einer der vielseitigsten Sänger, die ich kenne, und absolut unberechenbar im guten Sinn. Auch auf Platten etwa so unvorhersehbar wie Prince in den 80ern. Ist diese Abwechslung auch für Sie der große Reiz an Ihrem Beruf?
Elling: Ich glaube schon. Ich muss ja selbst interessiert bleiben und versuchen, weiter etwas dazuzulernen. Die Welt ist so ungeheuer reich an musikalischen Stilen – und an großartigen Musikern. Deshalb bleibe ich neugierig und abenteuerlustig. Das gehört dazu, wenn ich die beste Musik machen will, die mir möglich ist.
Sie haben schon angesprochen, dass sie „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“ aufgenommen haben – einen sogar für AC/DC sehr linearen Song. Für mich eine großartige Wahl, aber fürchten Sie nicht, dass Jazz-Puristen die Nase darüber rümpfen werden?
Elling: Das beschäftigt mich nicht. Mich interessiert, zu lernen, Chancen wahrzunehmen und dahin zu gehen, wo mich die Inspiration hin ruft – ganz egal, wo das ist. Charlie und ich sind große Freunde. Eines Tages waren wir ohne großen Matchplan im Studio, haben etwas herumgealbert – so entstehen manchmal ganz spontan Ideen. Wie auch diese Coverversion.
Sie wurden musikalisch in Chören sozialisiert. Inwiefern profitieren Sie heute noch von dieser Zeit?
Elling: Nun, man lernt im Chor alles, was generell fürs Singen nötig ist: das Können, im Einklang zu singen – und ein Bewusstsein dafür zu haben. Die Worte richtig auszusprechen, ein Gefühl für Dynamikwechsel. Am Ende ist gute Musik gute Musik. Wie man sie physikalisch und physiologisch kreiert, ist immer gleich. Man hat natürlich verschiedene Tricks, Stile und Techniken. Am Ende ist es alles Singen.
Kurt Elling: 16 Alben und 14 Grammy-Nominierungen seit 1991
- Kurt Elling wurde am 2. November 1967 in Chicago als Sohn eines Kirchenkapellmeisters geboren.
- Der begeisterte Chorsänger und Literatur-Fan mit Wohnsitz in New York ist Experte für Unsingbares. Größte Beachtung erfuhr zum Beispiel 2009 das Album " Dedicated to You", weil er darauf unter anderem das Spiel von John Coltrane gesanglich vertonte.
- Der extrem vielseitige Bariton wurde vom Portal Jazzfuel.com auf Platz vier der besten männlichen Jazzsänger aller Zeiten gesetzt – nach Frank Sinatra, Louis Armstrong und Nat King Cole.
- Schon sein zweites Album „Close Your Eyes“ (1995), Ellings Debüt beim Kult-Label Blue Note, bekam eine Grammy-Nominierung – die erste von 14. Zwei Grammy-Awards stehen in seinem Regal.
- Am 17. Februar veröffentlicht er die Digital-EP „Guilty Pleasures“ mitCoverversionen unter anderem von AC/DC und Al Jarreau.
- Kurt Elling & Band beschließen am 7. Mai in der Alten Feuerwache das Landesjazzfestival in Mannheim. Der Vorverkauf startet am 1. März.
Zusammen mit Cassandra Wilson haben Sie avancierte Interpretationen von Pop- und Rocksongs, die keine absoluten Gassenhauer sind, für Jazzgesang etabliert. Ist es nicht eine Schande, dass dann die Rod Stewarts und Michael Bublès mit diesem Ansatz das große Geld verdient haben?
Elling: Ach, ich weiß nicht. Sie müssen tun, was sie tun müssen. Ich bin mit meiner eigenen Musik genug beschäftigt. Wenn ich anfangen würde, mich damit zu befassen, die Sachen aller anderen zu beurteilen, wäre das nicht sehr gut für meine Seele. Und ich bin sicher, dass dann andere auf die dummen Ideen schießen würden, die ich so habe (lacht).
Gesunde Einstellung. Sie waren nach Bobby McFerrin lange sehr allein an der Spitze männlicher Jazzsänger. Ihr jüngerer Kollege Gegrory Porter hat inzwischen sogar ein großes Mainstream-Publikum erreicht. Sind Sie froh, dass da endlich jemand auf Augenhöhe mit Ihnen agiert – oder sehen Sie ihn als Konkurrenten?
Elling: Oh Mann, ich liebe Gregory! Ich bin so stolz auf ihn, und glücklich, dass es ihn gibt. Ich wundere mich auch, dass so wenige Jazzsänger nachkommen. Es könnte daran liegen, dass es dabei normalerweise nicht viel Geld zu verdienen gibt. Wenn Du berühmt werden und richtig groß rauskommen willst, dann wirst du eher kein Jazzsänger. Aber ich bin sehr zufrieden damit das Banner weiterzutragen und für die Cats zu singen, die mich inspiriert haben: Mark Murphy, Duke Ellington, Count Basie, Ben Webster, Lester Young. Ich versuche, ihr Erbe in die Zukunft zu tragen. Das ist mein Ding. Ich bin dankbar, dass es Leute gibt, die mir dabei folgen und mir ihre Zeit anvertrauen. Ich versuche, künstlerisch das Beste aus meiner Zeit auf Erden zu machen und meinem Herzen zu folgen. Das muss nicht jedem gefallen.
Glauben Sie, dass man die gespaltene US-Gesellschaft jemals wieder in Vereinigte Staaten verwandeln kann?
Elling: Ich persönlich (lacht)? Ich kann nur Musik machen und meine Meinung sagen, wie die Wahrheit für mich aussieht. Ohne missionarisch zu predigen. Es ist ein großes, kompliziertes Chaos. Es gibt massenhaft Themen, die die Vereinigten Staaten spalten, mit denen wir uns als Gesellschaft nie verantwortungsvoll, ehrlich und auf gesunde Weise beschäftigt haben. Denken Sie nur an den strukturellen Rassismus, der über Generationen unglaublich viel Ungleichheit und Schmerz erzeugt hat. Sie in Deutschland sind viel, viel besser mit den Sünden Ihrer Vorväter umgegangen.
Gezwungenermaßen ...
Elling: Ja, durch den Zweiten Weltkrieg. In den USA sind die Leute sehr naiv – oder vorsätzlich ignorant. In den USA gibt es Leute, die alles negieren. Aber wie will man Menschen überzeugen, die Fakten komplett ignorieren? Und absolut wahnsinnige Sachen glauben, mit denen sie von der extremen Rechten in die Irre geführt werden. Wenn da schon rhetorisch viel versierte Experten und Politiker scheitern, was soll da ein Jazzsänger tun? Aber gleichzeitig kann manchmal Musik besser ohne Worte Verbindungen zwischen Menschen schaffen, als es jede Ansprache könnte.
Trotz Joe Bidens starker Rede zur Lage der Nation: Glauben Sie, dass bei der nächsten Präsidentschaftswahl ein Weg an Donald Trump oder einem noch gefährlicheren Republikaner vorbeiführt?
Elling: Sie deuten es ja an: Ich denke, dass viele Leute Donald Trump satt haben. Das mag positiv klingen. Aber Leute wie Ron DeSantis und andere politische Akteure, die nicht so buchstäblich verrückt sind, können viel gefährlicher sein. Und ihnen folgen Millionen aus den verschiedensten Gründen.
Welche Gründe sehen Sie vor allem?
Elling: Soziale Entwurzelung, wirtschaftlicher Abstieg, Naivität, Rassismus, Furcht und Intoleranz, die aus verrückten Quellen im Internet und von rechten Medien befeuert werden. Dazu kommt etwa der Fakt, dass ein Großteil der Amerikaner nie das Land verlassen hat. Sie haben Glück in Europa: Sie müssen nur ein paar Meilen fahren und treffen quasi vor ihrer Haustür Nachbarn, die andere Sprachen sprechen, andere Traditionen und Kulturen pflegen. Für den durchschnittlichen Amerikaner ist es enorm teuer, außerhalb der USA zu reisen – allein, weil das Land so riesig ist. Es ist also nicht nur vorsätzliche Ignoranz.
Reisen bildet, das wissen Sie am Besten, oder?
Elling: Ja, ich bin mir auch bewusst, was es für ein Glück ist, dafür auch noch bezahlt zu werden. Ich will mich deshalb also gar nicht als Teil einer weltmännischen Elite aufspielen. Ich reise, weil es in meinem Job nötig ist – und bin sehr dankbar dafür. Und sehr neugierig auf die Welt. Trotzdem muss ich mir in Deutschland, Frankreich oder Spanien bei jedem Auftritt ein paar Sätze aufschreiben, um so zu tun, als ich ein wenig gebildeter, als ich wirklich bin.
Wobei Ihr Nachname auf deutsche oder dänische Vorfahren deutet.
Elling: Ja, und ich bin sehr stolz auf meine deutschen Wurzeln. Ich habe unseren genauen Herkunftsort noch nicht herausgefunden, Es muss im Raum Hannover sein. Aber ich weiß, dass die meisten Ellings über Bremerhaven in die USA kamen. Väterlicherseits gab es wohl Zwillingsbrüder, die im niedersächsischen Einbeck Bierbrauer waren. Sie haben eine Münze geworfen oder so etwas. Der eine erbte die Brauerei, der andere wanderte in die USA aus – und ist mein Vorfahr. Das habe ich mal Till Brönner erzählt. Der sagte sofort: „Kurt, da müssen wir hin. Die müssen Dir Bier spendieren.“
Faszinierend. Denken Sie manchmal daran, was wäre, wenn Ihr Vorfahr die Brauerei geerbt hätte?
Elling: Natürlich! Denn ich fühle mich immer extrem wohl in Deutschland. Auch in Dänemark, wo es ein winziges Städtchen namens Elling im Norden gibt.