Das Interview - Statt mit seinem Jahresrückblick „Tilt!“ im Rosengarten aufzutreten, lässt Kabarettist Urban Priol das Jahr 2020 im Gespräch Revue passieren

Urban Priol: "Xavier Naidoo hätte in Mannheim keine Rolle gespielt"

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Live müssen Urban Priol und seine Fansauf den kabarettistischen Jahresrückblick „Tilt!“ pandemie-bedingt verzichten.Aber auch im Interview ist sein Umgang mit den Themen des Jahres gewohnt kernig – und nicht auf das Coronavirus beschränkt. © Axel Hess/WortArt

Mannheim. Dass Urban Priol jeden Januar im ausverkauften Mannheimer Rosengarten „Tilt!“ spielt wie ein elektroschockfrisierter Flipper, hat seit Jahren Tradition. Wie so vieles kann sein kabarettistischer Jahresrückblick am 10. Januar 2021 nicht stattfinden und wird auf 2022 verschoben. Stattdessen lässt der 59-Jährige das Corona-Jahr im Interview mit dieser Redaktion noch einmal über sich ergehen.

Dabei findet er immer noch wenig gute Worte für die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel, wünscht sich aus Satirikersicht Friedrich Merz als ihren Nachfolger und hält die Debatten um Satirefreiheit für viel Lärm um Nichts. Zumindest 45 Minuten statt der live üblichen gut drei Stunden „Tilt!“ zeigt 3sat am 30. Dezember um 20.15 Uhr.

Herr Priol, sind Sie womöglich nicht komplett unfroh, dass Ihr traditioneller Jahresrückblick „Tilt!“ 2020/21 nicht über die Bühne gehen kann oder? Schließlich gab es wohl noch nie ein derart dominantes Thema wie die Covid19-Pandemie … und das haben 82 Millionen Virologen ja langsam gründlich satt.

Urban Priol: Abseits von Corona gibt es Themen genug, die nicht unter den Tisch fallen sollten, und die hätte ich sehr gerne im Rosengarten auf die Bühne gebracht. „Monnem“ zum Jahresabschluss fehlt mir arg.

Fiele Ihnen rund um das Virus denn noch etwas Neues ein?

Priol: Meine kleinen Kladden quellen über.

Man kann viel über die Corona-Maßnahmen diskutieren, vor allem über die Verhältnismäßigkeit der Schließungen von Kinos und Theatern. Trotzdem lief es hierzulande lange vergleichsweise gut. Hätten Sie der Politik vorher so viel Entschlusskraft und vor allem finanzielle Tatkraft zugetraut?

Priol: Die finanzielle Tat der Novemberhilfe kann nicht kraften, weil das Software-Tool streikt. Die Soforthilfen sind für viele bürokratische Monster. Und wenn Entschlusskraft bedeutet, dass man sich im ersten Lockdown und in langen Sommermonaten auf Herbst und Winter überhaupt nicht vorbereitet hat, dann mag man das so nennen.

Sehr viele sind froh, in der Krise von einer nüchternen Wissenschaftlerin regiert zu werden. Sie auch? Angela Merkel war auf der Bühne ja lange ihr Feindbild Nummer eins. Werden Sie sie vermissen?

Priol: Nein. 16 Jahre nüchterne Narkotisierung sind genug.

Kann man zu Merkel überhaupt noch harte Pointen setzen, wenn die dann Applaus von rechts-geistigen Querfliegern bekommen?

Priol: Nur weil rechts-geistige Tiefflieger über ihr reflexartiges „Merkel-muss-weg“-Gekreische nicht hinauskommen, werde ich bestimmt nicht aufhören, weiter heiter über sie zu spotten.

Wer wäre für Sie der ideale Nachfolger oder die Nachfolgerin der Bundeskanzlerin - einmal aus der Sicht des Kabarettisten, dann aus der Sicht des politischen Privatmanns Urban Priol?

Priol: Der große Bierdeckelstratege und zweitgrößte Sauerländer nach Heinrich Lübke: Friedrich Merz. Das wird ein Fest, wenn er all das ausbaden muss, was seine Partei dem Land eingebrockt hat. Er darf das gerne auch ganz alleine oder mit der FDP probieren. Für Satiriker ist er auf jeden Fall ein großes Geschenk.

Immerhin: Donald Trump ist 2021 nur noch Nebenpräsident auf Twitter. Glauben Sie, dass in den USA unter Joe Biden so etwas wie Normalität einkehren kann? Also, dass die Clownsrolle wieder bei den Humorfachleuten liegt, zum Beispiel …

Priol: Trump - da hat die Realität die Satire überholt. Ihn zu toppen, war eine Herkulesaufgabe. Ich freue mich darauf, wenn jetzt die ganzen Anklagen gegen ihn erhoben werden, und frage mich, wie viele Truthähne es wohl brauchen wird, die ihn begnadigen könnten.

Die USA sind in der Entwicklung oft etwas weiter, auch in der negativen: Wie verhindern wir eine derart massive Spaltung mit Tendenz zum Irrationalen? Die Bundesrepublik ist ja auf einem ähnlich schlechten Weg ...

Priol: Löhne rauf, mehr Kohle her für Bildung und eine vernünftige Vermögenssteuer. Die hatten wir doch schon mal, oder? Bis 1996. Kohl hieß der Kanzler damals, meine ich. Und der wurde trotz dieser Schreckgespenststeuer vier Mal wiedergewählt. Kann also nicht so schlimm sein.

Sie haben sich ja früher schon gern mal am Mannheimer Popsänger Xavier Naidoo auf der Bühne abgearbeitet. Hätte er dieses Mal in seiner Heimatstadt in seiner neuen Funktion als Querdenker eine besondere Abreibung bekommen?

Priol: Nö. Ich hätte allenfalls erwähnt, dass das, was er sagt, noch schlimmer ist, als das, was er singt.

Wie sehen Sie die Diskussion um Satirefreiheit rund um Dieter Nuhr, Lisa Eckhart, Serdar Somuncu? Darf Satire in einer derart reizbaren Gesellschaft noch alles, oder muss sie sich an gesellschaftliche Verantwortung rückkoppeln? Hat das Einfluss auf Ihre Arbeitsweise - „Zonenwachtel aus der Uckermark“ ist zum Beispiel zwar lustig, aber auch sexistisch.

Priol: Viel Lärm um nichts auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten.

Sie müssen sich selbst vermutlich finanziell wenig Sorgen machen. Hatte die Corona-Zwangspause für Sie dann wenigstens etwas Gutes - Entschleunigung, mehr Sport und Zeit für die Oldtimer-Leidenschaft? Oder überwogen der Bühnenentzug und Pointenstau. Sie können die Verwertungsmaschine beim Zeitunglesen oder Nachrichtenschauen ja wohl kaum abschalten, oder?

Priol: Stimmt: Tausend Seiten Text liegen auf Halde, also genügend Stoff für neue Programme und ein Buch. Ich habe eine Modelleisenbahn aufgebaut, die dampft jetzt durch meine Wohnung, das entschleunigt kolossal. Insbesondere, wenn ich gerade wieder eine Pressekonferenz mit Söder im Fernsehen ertragen muss.

Wie geht es Ihrem eigenen kleinen Theater, dem Kabarett im Hofgarten in Aschaffenburg, und den Mitarbeitern dort?

Priol: Schlecht, wie der gesamten Kulturbranche. Die Bühnen haben, wie die Gastronomie auch, Hygienekonzepte erarbeitet und viel Geld investiert. Die fragen sich alle: Für was eigentlich?

Planen Sie eine Art Open-Air-Saison?

Priol: Pläne sind Schall und Rauch. Das haben uns Covid-19 und die Maßnahmen der Politik gezeigt. Siehe oben.

Wahrscheinlich wird der Termin vom 10. Januar 2021 auf den 13. Januar 2022 verschoben und die Karten bleiben gültig?

Priol: Genauso ist es. Vielen Dank an alle, die ihre Karten nicht zurückgeben.

Wie anders feiern Sie in diesem Jahr Silvester?

Priol: Völlern statt böllern und dann zoomen wir um Mitternacht.

Der etwas andere Blick auf zwölf Monate

  • Urban Priol wurde am 14. Mai 1961 in Aschaffenburg geboren. Statt sein Lehramtsstudium in Würzburg zu beenden, konzentrierte er sich ab 1982 aufs Kabarett.
  • 1988 gehörte er zu den Gründern der Kleinkunstbühne Kochsmühle in Obernburg, seit 1998 betreibt er in Aschaffenburg das Kabarett im Hofgarten.
  • 2003 bekam Priol mit „Alles muss raus“ auf 3sat seine eigene TV-Show. 2007 startete er mit Georg Schramm die Politkabarett-Sendung „Neues aus der Anstalt“ im ZDF. Schramm wurde im Oktober 2010 von Frank-Markus Barwasser (Erwin Pelzig) beerbt. Das Duo stieg 2013 aus der Erfolgssendung aus.
  • Seit 2002 bringt Priol jährlich seinen satirischen Jahresrückblick „Tilt!“ auf die Bühne. Der Auftritt am 10. Januar 2021 im Mannheimer Rosengarten muss pandemiebedingt entfallen. Die Karten bleiben für den nächsten Termin am 13. Januar 2022 gültig. Karten und weitere Auftritte unter www.urbanpriol.de/termine 
  • Wie gewohnt zeigt 3sat immerhin 45 Minuten von „Tilt! 2020“ – am 30. Dezember ab 20.15 Uhr (Wiederholungen: Silvester um 1.55 Uhr sowie am 24. Januar 2021 um 20.15 Uhr).
  • Eine größere Dosis „Tilt!“ gibt es im Radio: Der WDR sendet am 31. Dezember Priols Rückblick von 20.03 bis 22 Uhr als „Unterhaltung Spezial“ (Wiederholungen: 5. Januar und 6. Januar, jeweils, 22 bis 23 Uhr).
  • 85 Minuten passen auf „Tilt! 2020 – Der etwas andere Jahresrückblick von und mit Urban Priol“. Die Audio-CD erscheint am 30. Dezember bei WortArt.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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