Mehr! Mehr! Mehr! Wachsen! Wachsen! Wachsen! Vor dem Kapitalismus-Credo warnen viele - aber keiner tut dies so pointenreich, erzählstark, alltagstauglich und witzig-bissig wie Jürgen Becker. Obendrein verwandelt der bekennende Kölner seinen Redemarathon in einen „dialektischen“ Konfettiregen samt oszillierender statt oller Kamellen. Und so verwundert nicht, dass die Mannheimer Klapsmühl’ am Rathaus trotz Schnee knallvoll besetzt ist.
Das Programm-Motto „Die Ursache liegt in der Zukunft“ ermöglicht es dem 63-Jährigen, so ziemlich alle Themen aufzugreifen. Weil das Gestern und Heute das Morgen bestimmen, schweift sein Blick immer wieder zurück: Als „Windows“ noch bedeutete, beim „Fenstergucken“ mit Kissen für die Unterarme algorithmenfrei an Nachrichten zu kommen. Als die Politik noch der „Lindenstraße“ glich, und man auch nach verpassten Folgen wusste, was lief. Es gehört zum Markenzeichen des Altmeisters, dass er in harmlos anmutenden Geschichten unvermutet auskeilt. Ja, früher war es üblich, dass die Söhne den Beruf des Vaters wählten - „gut Papa, dann werde ich eben auch Weihbischof!“
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Mit seiner süffisanten Art attackiert er gern die Kirche und besonders gern die Politik. Die CDU, so unkt er, besinne sich auf das Eigentliche der (Wahl-)Urne und denke über ein Stimmrecht für Verstorbene nach. Angesichts von Verschwörungs-Schwurbeleien wundert sich der Spitzzüngige über Sarah Wagenknecht und deren Talkshow-Aussage, den Corona-Impfstoff nicht in ihren Körper lassen zu wollen - „aber, die lässt ja auch Oskar rein“.
Eigentlich gibt es so gut wie Nichts, das Becker nicht kommentiert: Vom Passivhaus, das sich mit einem an Ostern gelassenem Pups bis Weihnachten heizen lässt. Über „die Zeugen Renowa“, die mit ihren Nobelkoffern zum Airbnb-Übernachtungsquartier rollern. Bis zum 800 Euro teuren Gedächtnistest - eine „IGeL“-Selbstzahlleistung, deren Preis ohnehin nur hinblättert, wer bereits gaga im Hirn ist.
Und natürlich geht es immer wieder ums Fliegen wie um Fleisch, stets verwoben mit dem „Weniger ist mehr“-Umweltappell. Und dazu schmiert er nicht nur Fakten aufs Brot, sondern auch köstliche Geschichten: Beispielsweise wie die einst schweinisch braune Schmierwurst mittels Erbsenprotein grün-vegetarisch mutiert ist.
Bevor Becker dem begeisterten Publikum süffiges „Kölsch“ aus dem mitgebrachten Bierkästen spendiert, adelt er wortreich Volksbrauchtum. Insbesondere Straßenfachnacht - ob mit oder ohne Dom.
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