Bayreuth. Da ist er ja wieder, der Tristan-Akkord, Wagners so berühmte wie verflixte Viererbande aus f, h, dis und gis, die nicht zu knacken ist und uns schon beim Versuch wie automatisch in ein Verrücktwerden über Leben, Lieben und Leiden führt. Kompakt und fast scharf strömt er aus dem mystischen Abgrund. Der Dirigent, Semyon Bychkow heißt er, scheint die Fäden streng in Händen zu halten. Die vertikale Ordnung ist enorm. Das ändert sich auch die kommenden sechs Stunden nicht. Und wenn dann das Festspielorchester mit den beiden Toten in den sicheren Hafen H-Dur einfahren und sogar die Harfe noch ein Glitzerchen abschießen wird, wird das musikalisch ein sehr guter Abend gewesen sein. So weit, so erfreulich.
Sie spielen aus der Region bei den Bayreuther Festspielen
- Vier Musiker aus Mannheim: Wolfgang Hammar, (1. Violine, Nationaltheater-Orchester Mannheim), Alexander Michael Petersen (Viola, Nationaltheater-Orchester Mannheim), Antonia Zimmermann (Fagott, Nationaltheater-Orchester Mannheim) und Eva Röthke (Harfe, Nationaltheater-Orchester Mannheim).
- Eine Musikerin aus Ludwigshafen: Anikó Katharina Szathmáry (2. Violine, Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz).
- Zwei Musiker aus Kaiserslautern: Guillem Selfa Oliver (Viola, Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern), Ilka Emmert (Kontrabass, Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern).
Diese Ordnung und Transparenz sind aber gewissermaßen der Maximalkontrast zu dem, was der Regisseur auf der Bühne veranstaltet. Thorleifur Örn Arnarsson und Bühnenbildner Vytautas Narbutas richten, darin vermutlich dem Seelenleben der Protagonisten Tristan und Isolde folgend, auf der Bühne nach und nach immer größeres Chaos an. Im ersten Aufzug herrschen noch große Ästhetik und edle Schönheit. Isolde fummelt da immerzu an einem riesigen weißen Kleid (der Unschuld?) herum, auf das sie schreibt und Zeichen setzt. Ein textiles Diary? Das Ding ist kreisförmig um sie herum drapiert wie bei Jean-Pierre Ponnelle anno 1981. Ein Zitat?
Bayreuth: Isolde Camilla Nylund muss man beim Liebestod suchen
In Aufzug zwei sind wir dann nicht in einem „Garten mit hohen Bäumen vor dem Gemach Isoldes“, sondern in einem gefängnisartigen Schiffsrumpf, der vollgeramscht ist mit allerlei Objekten – mutmaßlich aus Isoldes bisherigem Leben. Grammophon. Globus. Kontrabass. Diverse Büsten und Statuen. Und viel mehr. In Aufzug drei ist dieses Sammelsurium zusammengepfercht in der Mitte und bildet Tristans Totenbett. Es herrscht dermaßen totale Unübersichtlichkeit, dass man, wenn Isolde endlich nach fast sechs Stunden Opernabend mit dem „Mild und leise wie er lächelt“ den Liebestod anstimmt, suchen muss, wo die Frau sich in diesem Moment auf der Bühne überhaupt aufhält. Haaallo?
Es ist naheliegend, dass die Objektansammlung das bisherige Leben der Figuren darstellt im Gegensatz zum antimateriellen Tod, den die beiden in diesem „Adagio der Nacht“ (Ernst Bloch) anstreben und der eine große Klarheit hat – allein, weil keiner weiß, was danach kommt. Und natürlich ist im Dramaturgentheater klüger, wer Programmhefte liest. Um die Auflösung der eigenen Identität geht es Arnarsson auch tatsächlich, wie er im Interview sagt. Okay.
An dem Abend, der unter dem Strich sehr nah an einer konzertanten Aufführung vor Kulissen vorbeischrammt, ist man geneigt zu sagen: Eine Regie mit stringenter Personenführung findet nicht statt. Schon Aufzug eins besteht aus wenigen Aktionen über 85 Minuten. Ein paar Mal geht Brangäne nach hinten. Ein paar Mal kommt Kurwenal nach vorn. Einmal auch Tristan. Überraschend für einen Regisseur, der vom Schauspiel kommt. Den vermeintlichen Todestrank brauchen die beiden so wenig wie körperliche Nähe. Dort, wo Wagner alles tut, um den Geschlechtsakt zu verklanglichen, stehen Tristan und Isolde rund sieben Meter fünfzig von einander entfernt. Arnursson scheint ein Fan des telepathischen Sex’ in Woody Allens Sci-Fi-Komödie „Der Schläfer“ zu sein. Von einer Testosterondiktatur ist Tristan jedenfalls so weit entfernt wie von der Geliebten. Zwei Satelliten der Liebe.
Zu lachen gibt es hier auch rein gar nichts. Bisweilen sehnt man sich nach dem subtil-morbiden Humor Christoph Marthalers zurück, dessen Theater zumindest eines war: magisch. Arnursson hingegen verabreicht noch nicht mal einen „Liebestrank“ (findet er nicht nötig), wobei er da einem Missverständnis aufliegt, denn die beiden denken ja, dass sie einen Todestrank zu sich nehmen. Und erst im Angesicht des Todes können die Sittengesetze fallen (und sie über sich her). Immerhin Dramaturg Andri Hardmeier hat das kapiert.
Wer da die Augen für 20 Minuten schließt, sieht keine Veränderung
Zur schlechten bis nicht vorhandenen Personenführung, bei der Regisseur Arnarsson Andreas Schager (Tristan) eine gefühlte halbe Stunde lang im Todeskampf von Aufzug drei mit Händen und Füßen improvisieren lässt, kommt eine schultheaterartige dunkle Ausleuchtung (Sascha Zauner), die sicherlich für die ersten zehn Reihen des Festspielhauses nahezu ausreicht. Offenbar aber hat niemand dem Regieteam erklärt, dass es im Festspielhaus 1974 Plätze, 30 Reihen plus Logen, Balkone und Galerien gibt, und dass hier nicht per Telepathie Details in die Köpfe der Gäste gebeamt werden ergo: Man befindet sich in einer ärgerlichen Wimmelaufführung und sucht auf die Ferne die nicht handelnden Handelnden in Dunkelheit und Chaos. Wer da die Augen für 20 Minuten schließt und wieder öffnet, wird keine Veränderung wahrnehmen.
Das überzeugt mitnichten und wird allein musikalisch getragen. Bychkov und dem Festspielorchester fehlt es vielleicht manchmal etwas an horizontaler Magie, ja, Übergänge sind bisweilen etwas nüchtern „überspielt“, besonders geliebte Stellen zu flüchtig. Insgesamt aber klingt das brillant und schlüssig in seiner hohen Klangbalance und Kultur. Und sängerisch werden am Ende Tristan Andreas Schager und Isolde Camilla Nylund lautstark gefeiert. Schager singt sich mit viel Dezibel, Edelmetall und Emphase die Seele aus dem Leib. Das klingt nicht immer gut, bisweilen auch allzu sehr „gebellt“ und mit zu wenig Legato. Doch einen ähnlich starken und expressiven Tristan gab es dennoch lange nicht (inkl. Stephen Gould). Nylund versteht man zwar nicht so gut wie einst Nina Stemme. Aber unter dem Strich bleibt eine kultivierte, starke und schön phrasierte Isolde, deren größtes Manko ein leicht manieriertes Vibrato ist.
Schade, dass „Tristan und Isolde“ nur Zustände erzählt
Kein Vergleich indes zu dem von Kurwenal Olafur Sigurdarson, das in Aufzug eins bisweilen schon fast karikatural gestemmt klingt. Später wird es besser. Herausragend ist aber wieder mal die Brangäne von Christa Mayer mit ihrer Mixtur aus Attacke und Kontrolle, und der Marke Günther Groissböcks (wuchtig, edel), der Melot Birger Raddes (brillant angriffslustig), der Hirte von Daniel Jenz, der Steuermann von Lawson Anderson und der Junge Seemann Matthew Newlins unterstreichen die musikalische Exzellenz. Schade, dass keine Geschichte erzählt wird. Nur Zustände in den Schattierungen der Nacht, die man am Ende auch herbeisehnt.
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