Musiktheater - Christoph Marthaler inszeniert Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" in Stuttgart

Torkelnde Kellner

Von 
Frank Armbruster
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Sophie Marilley (l.) und Marc Laho in der Rolle Hoffmanns.

© Bernd Weißbrod/dpa

Die Erwartungen waren groß in Stuttgart: nicht nur war es für die Neuinszenierung von Jacques Offenbachs Oper "Hoffmanns Erzählungen" gelungen, zum ersten Mal den Schweizer Christoph Marthaler als Regisseur an die Staatsoper zu holen. Auch zeichnete die in vielen Stuttgarter Produktionen bewährte Anna Viebrock für die Bühne verantwortlich, dazu vertraute man mit Ana Durlovski und Simone Schneider den beiden besten Sängerinnen des Stuttgarter Ensembles tragende Rollen an. So recht überzeugen wollte das künstlerische Ergebnis der Koproduktion mit dem Teatro Real in Madrid aber dem obligatorischen Premierenjubel zum Trotz nicht.

Denn die vier Stunden in Stuttgart ziehen sich - vor allem ab dem dritten Akt - beträchtlich. Marthaler hat den Plot über den frustrierten Künstler Hoffmann, der nach gleich drei Liebesgeschichten sein amouröses Scheitern eingestehen muss, in das Ambiente des "Círculo de Bellas Artes" der Madrider Altstadt verlegt, eine Art Kunstverein mit Malschule, Theatergestühl und Bar, in dem junge Aktmodelle auf- und abtreten.

Ein typischer, angejahrter Viebrockraum, der den passenden Rahmen bietet für allerlei skurrile Einlagen aus dem marthalerschen Regiearsenal wie torkelnde Kellner, somnambul wandelnde Mädchen und eine lustig kostümierte Besuchergruppe, die sich das rote Absperrseil gleich selber mitbringt. Marthaler inszeniert hier Theater im Theater, surreal zugespitzt und mit einigen wunderbar schrägen Figuren garniert wie dem krächzenden, mit Gliedmaßen hantierenden Frankenstein-Spalanzani.

Doch auch wenn das grundsätzlich gut passt zur Konzeption dieser Oper, in der Innen- und Außenwelt, Realität und Fantasie nicht zu trennen sind: der Eindruck, die Regie versuche hier mit allerlei Mätzchen zu verdecken, dass ihr eine wirkliche tragfähige Deutung des Stoffes nicht recht gelingen will, drängt sich im Verlauf des Abends auf. Spätestens nach zwei Stunden macht sich Langeweile breit, daran kann auch das erstklassige sängerische Personal nichts ändern.

Großartig Ana Durlovski als autistische Olympia, deren Soprankunststücke in Stratosphärenlagen dem Publikum Szenenapplaus abfordern. Simone Schneider (Giulietta) und Mandy Fredrich (Antonia) bestätigen das vokale Niveau, dem die Männerstimmen kaum nachstehen. Alex Esposito bringt für die Bass-Bösewichter die passende dämonische Schwärze mit, Marc Laho singt die Titelrolle mit lyrischem Schmelz und einer dezenten Gebrochenheit, die dem Charakter des Protagonisten entspricht.

Sylvain Cambreling zeichnet seine eigene Fassung der Partitur mit dem Staatsorchester satt farbig und mit rhythmischer Verve nach, vernachlässigt aber die Anführungszeichen, das Zitathafte dieser schillernden Musik: Gerade in dieser Oper ist nicht alles so gemeint, wie es scheint.

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