Heidelberg. Es ist ein Bild des Grauens: Während Alwa, der sich mehr und mehr verliebende (und also verlierende) Schriftsteller, quasi seinen Schlussmonolog singt und den Körper dieser Mörderin als Musikstück mit grazioso, cantabile und misterioso beschreibt, spreizt Lulu auf ihrem omnipräsenten roten Diwan die Beine. Ihr Kopf hängt dem Publikum entgegen herunter, die Gliedmaßen hat sie von sich gestreckt, das Becken angehoben. So liegt sie da. Empfängnisbereit und so, wie sich angeblich viele Männer Frauen erträumen. Die maximale Verführungsposition also.
Und Frank Wedekinds und Alban Bergs „Lulu“ ist so eine Männerfantasie. Eine Sexmaschine, ein Männer mordendes Monster, eine Nymphomanin, die nur auf eines aus ist: des Mannes Triebe in Rage zu versetzen und ihn danach aufgrund seiner Besitzansprüche zu entsorgen. Alwa singt folgerichtig: „Du hast mich um den Verstand gebracht.“
Sexuelle Macht auf dem Diwan
Dass diese Szenen am Computer kaum Kraft entfalten, ist der Tatsache geschuldet, dass derartige Bilder vom Film schon tausendmal besser und konsequenter umgesetzt und gesehen wurden. Doch bei dieser Heidelberger Opernpremiere (ja: ein echtes digitales Live-Event mit Orchester) bekommen wir am Samstagabend zumindest eine Ahnung, was eines Tages, wenn wir nicht gestorben sind, in echt auf uns wartet. Axel Vornam und sein Team verfrachten „Lulu“ in einen Einheitsraum mit Klapptüren. Fast wähnt man sich in Herzog Blaubarts Burg mit den sieben Türen. Ein Rein und Raus löst die Frage von Auf- und Abtritten. Gut.
Im Zentrum von Vornams Sicht steht Lulu und der rote Diwan als Metapher für ihre sexuelle Macht. In immer wieder neuer Version erscheint Lulu, einmal als Pierrot, dann wieder als unwiderstehlicher Würgeengel, als perlenbehängte Diva mit Revolver – doch immer als teuflische femme fatal, die freilich auch die lesbische Gräfin Geschwitz in ihren Bann zieht. Ein bisschen Brecht ist dabei. Ein bisschen Glanz und Glamour. Das ist alles gut gemacht und stringent. Über das Werk hinaus weist es nicht, ist nicht als aktueller Blick 84 Jahre nach der Uraufführung in einer Gender-Welt zu lesen. Doch auch wenn der Ton selbst über Stereoanlage nicht ganz befriedigen kann, hört man doch, dass GMD Elias Grandy mit dem Theaterorchester einen guten Job macht, Bergs expressive Partiturschärfen klar formuliert. Die Singenden James Homan, Zlata Khershberg, Wilfried Staber, Corby Welch, Ipca Ramanovic überzeugen weitgehend in ihren oft hoch liegenden Partien, allen voran auch Jenifer Larys Lulu, die versucht, selbst in hohe Dramatik noch Seelenlosigkeit zu infiltrieren.
„Über die ließe sich freilich eine interessante Oper schreiben“, meint Alwa über Lulu in einem Moment. Bergs Oper ist ein unvollendetes Meisterwerk, das in Heidelberg nun in der analogen Warteschleife ist.
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