Nur 20 Sekunden bei Sonnenschein, aber fast 20 Minuten an einem wolkigen Tag – so kurz oder lang dauerte die Belichtung eines Fotos im 19. Jahrhundert. Und selbst bei gutem Wetter durften sich die Menschen nicht bewegen, sonst wurde das Bild unscharf. Oft waren Tricks nötig, auch beim Blick auf Venedig mit Dogenpalast und Campanile. Denn die zwei Gondolieri im Vordergrund staken nicht ins Wasser, um das leere Boot zu bewegen. Vielmehr halten sie mit den Rudern die Gondel ruhig.
Dieses Foto von Carlo Naya, entstanden um 1875, hängt nun in riesiger Vergrößerung am Eingang der Grafischen Sammlung des Frankfurter Städels. So merkt der Betrachter rasch, dass der Schnappschuss gar keiner ist. Ein gutes Beispiel dafür, wie man bereits vor rund 150 Jahren die Fotos inszenierte.
Derzeit zeigt das Städel aus seinem Bestand von mehr als 5000 Fotos eine exquisite Auswahl von 90 Schwarz-Weiß-Bildern des 19. Jahrhunderts, alle in Italien entstanden. Schon damals legte das Städel eine Lehrsammlung für die Studenten und Lehrer an, als die Kunstakademie noch Teil des Museums war.
Die Reisenden erwarben die kleinen Lichtbilder als Souvenirs, zudem versendeten einige geschäftstüchtige Fotografen ihre Aufnahmen an die Daheimgebliebenen. Dass Italien zum Sehnsuchtsland für alle wurde, verdankte sich auch dem um 1850 einsetzenden Foto-Boom. Tourismus und Fotografie entwickelten sich also parallel und beförderten sich gegenseitig.
Diese typisch italienischen Motive sind seit 170 Jahren gleich – der Canal Grande in Venedig, der Petersdom in Rom, die Ponte Vecchio-Brücke in Florenz. Folglich, so Städel-Kuratorin Kristina Lemke, reisen wir jenen Ansichten nach, die wir schon aus anderen Abbildungen kennen. Offensichtlich können wir uns an diesen Motiven nicht sattsehen. So ist eines der ältesten Bilder der Städel-Sammlung auch eines der meistfotografierten Motive. Der Schiefe Turm von Pisa, um 1855 von Enrico van Lint geknipst, hat heute nichts von seiner Faszination verloren.
Diese Fotos aus der Zeit von 1850 bis 1880 haben ihren ganz eigenen Reiz mit vielerlei Brauntönen, ohne starken Schwarz-Weiß-Kontrast. So führt uns die Schau wie ein Reiseführer durch Italien, von Venedig nach Mailand, Pisa, Florenz und Siena, von Rom nach Neapel, Pompeji, Amalfi und Sizilien.
Wie gut, dass das Städel auch einige Gemälde aus dieser Zeit beisteuert. Friedrich Nerlys große Venedig-Ansicht von 1840-54 etwa ergänzt ein ähnliches Foto von Carlo Naya. Beim Vergleich sieht der Betrachter natürlich auch, was die Fotos nicht einfangen konnten, vor allem die Farben von Kleidern und Häusern, von Wasser, Himmel und Sonnenuntergang.
Die Tricks der Fotografen
Doch die Fotografen wussten sich zu helfen, allen voran der Italiener Carlo Naya. Er versorgte die Touristen mit den begehrten Mondschein-Bildern von Venedig oder Rom, indem er das Negativ zuerst dunkel kopierte und damit das Motiv ins nächtliche Licht hüllte, danach Wolken und Mond einzeichnete. Gut zu sehen ist das an zwei Fotos des venezianischen Canal Grande, eines bei Tag, eines bei Nacht und Mondschein.
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